Direkt zum Inhalt wechseln
logo Das Magazin für Fitness, Gesundheit und Ernährung
Notarzt erklärt

Ins Eis eingebrochen – so viele Minuten ist man maximal noch handlungsfähig

Ins Eis eingebrochen – Notarzt sagt, wie groß die Überlebenschancen sind
Bricht man ins Eis ein, taucht mit dem Kopf unter und atmet Wasser ein, ist zunächst ein Stimmritzenkrampf sehr wahrscheinlich. Die Stimmbänder verschließen sich und man bekommt keine Luft mehr. Was dann? Foto: Getty Images / Neorodan
Anna Echtermeyer
Redakteurin

26. Dezember 2024, 9:12 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Schockfrost: Innerhalb von 15 Minuten kann ein Mensch nach einem Einbruch ins Eis handlungsunfähig werden. Als Erstes kommt es zu einer massiven Kreislaufbelastung, dann kann man sich nicht mehr bewegen. Doch ein Kreislaufstillstand aufgrund von Kälte hat – gegenüber dem Ertrinken im warmen Wasser – einen entscheidenden Vorteil bei der Wiederbelebung, erklärt ein erfahrener Notfallmediziner.

Artikel teilen

Dass jemand ins Eis eingebrochen ist und gerettet werden musste, hört und liest man immer wieder. Dr. med. Florian Reifferscheid ist Notarzt in der Luftrettung und Vorsitzender der Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND) und wurde zu vielen solcher Unfälle gerufen. FITBOOK sprach mit ihm über die unmittelbaren Folgen des Einbrechens in Eis sowie die körperlichen Reaktionen auf extreme Kälte. Wie lange bleibt man handlungsfähig, wenn es passiert ist? Kann man mit dicker Kleidung länger durchhalten? Warum sind die Chancen bei der Wiederbelebung größer, wenn der Kreislaufstillstand in kaltem statt warmem Wasser erfolgt ist?

Jetzt dem FITBOOK-Kanal bei Whatsapp folgen!

Ins Eis eingebrochen – das passiert mit Stimmbändern und Atmung

Bricht man ins Eis ein, taucht mit dem Kopf unter und atmet Wasser ein, sei zunächst ein Stimmritzenkrampf, Laryngospasmus genannt, sehr wahrscheinlich. „Die Stimmbänder verschließen sich und man bekommt keine Luft mehr“, erklärt Notfallmediziner Florian Reifferscheid FITBOOK. In der Fachsprache ist von „trockenem Ertrinken“ die Rede: Dabei funktioniere die Atmung nicht mehr, obwohl das Wasser noch gar nicht die Lunge erreicht habe. Ist man alleine bzw. konnte man bis zu diesem Zeitpunkt nicht auf sich aufmerksam machen, sinken die Überlebenschancen rapide.

Betroffenen bleibt maximal 15 Minuten bis zur Handlungsunfähigkeit

Gleichzeitig wird die Belastung des Herzens durch den Kälteschock zum Problem. „Die Körpertemperatur bleibt nur für einen kurzen Moment normal“, so Reifferscheid zu FITBOOK. Innerhalb weniger Minuten würden die Gefäße so enggestellt, dass der Körper den Blutkreislauf zentralisiere. Die Versorgung der Extremitäten werde eingestellt, das Herz stark belastet. „Gerade ältere Personen laufen hier Gefahr, binnen Minuten ein Herzversagen zu erleiden“, weiß der Notfallmediziner. „Aber natürlich kommt es auch darauf an, wie gesund die Person vorher war.“ Das Zeitfenster bis zur Handlungsunfähigkeit beziffert der Mediziner auf „maximal 15 Minuten“.

Zentralisierung bzw. Zentralisation ist ein typischer Vorgang im Rahmen eines Schocks. Bei zu geringer Blutmenge verteilt der Körper das zirkulierende Blut von der Körperferne (Extremitäten) auf lebenswichtige Organe (Herz, Gehirn). Er tut dies, indem er Katecholamine ausschüttet – die wichtigsten sind Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin.

Körperkerntemperatur unter 30 Grad – das Herz hört auf zu schlagen

Das Wasser unter einer Eisdecke hat etwa ein bis zwei Grad Celsius, das dürften viele noch aus dem Chemieunterricht wissen. Je schneller der Körper damit in Berührung kommt, desto schneller kühlt man aus. Sinkt die Körperkerntemperatur unter 30 Grad Celsius, hört das Herz auf zu schlagen, erklärt Reifferscheid.

Auch interessant: Der Unterschied zwischen Herzstillstand, Herzinfarkt, Herzversagen

Was macht dicke Kleidung aus?

Diesen Vorgang könne selbst dicke Kleidung, in mehreren Schichten übereinander getragen und wasserabweisend, lediglich abbremsen – nicht aber stoppen. Und natürlich spielt hier die Frage rein: Ist der Kopf trocken geblieben oder untergetaucht? Bekanntermaßen verliert man über diesen besonders viel Wärme.

Was passiert, wenn man unter die Eisfläche geraten ist?

Aber was, wenn man nicht nur ins Eis eingebrochen ist, sondern darin auch ertrinkt? Beispielsweise wenn man unter die Eisfläche geraten ist – und die Orientierung nicht reicht, um das Loch, durch das man eingebrochen ist, wiederzufinden? So erstaunlich es klingen mag: Für das Gehirn habe die Kälte eine gewisse Schutzfunktion. Ein Umstand, den man sich zum Beispiel auch bei Herzoperationen zunutze macht, bei denen der Körper auch entsprechend heruntergekühlt wird, um die Hypoxietoleranz etwas zu erhöhen.

Der Sauerstoffbedarf und die Durchblutung des Gehirns sind hoch. Je höher die Hypoxietoleranz, desto länger kann das Gehirn eine Unterbrechung der arteriellen Sauerstoff- und Glokosezufuhr tolerieren.

Kreislaufstillstand aufgrund von Kälte – Vorteil bei der Wiederbelebung

„Durch die Kälte steigt – nach einer erfolgreichen Wiederbelebung – die Wahrscheinlichkeit, das Ganze ohne neurologische Schäden zu überstehen“, erklärt Reifferscheid FITBOOK. Und zwar deutlich gegenüber dem Ertrinken im warmen Wasser oder wenn man einen Herz-Kreislaufstillstand unter normalen Bedingungen erleidet, so der Mediziner. Mit anderen Worten: Der Kreislaufstillstand aufgrund von Kälte hat, wenn man so will, einen gewissen „Vorteil“.

Das sei auch der Grund, weshalb man Menschen, die im Eiswasser ertrunken sind, immer so lange reanimiere, bis sie wieder eine normale Körpertemperatur haben. Reifferscheid berichtet von seltenen Fällen, in denen Eiswasserertrunkene auch nach ein bis zwei Stunden im Wasser noch überlebt hätten. Natürlich nur durch Wiederbelebung und intensivmedizinische Behandlung.

Jemand ist ins Eis eingebrochen – so reagieren Umstehende richtig

Für die Betroffenen ist es natürlich am besten, wenn jemand den Unfall beobachtet hat und direkt einen Rettungsversuch machen kann – etwa, indem man einen Gegenstand hinterherwirft, an dem sich der/die Eingebrochene festhalten und herausziehen kann. „Allerdings kann von dieser Person nicht erwartet werden, dass sie sich selbst in Gefahr bringt. Was Sie zumindest tun müssen: Den Rettungsdienst alarmieren und sofort den Notruf 112 wählen.“

Mehr zum Thema

Wie idealerweise reagieren, wenn man selbst eingebrochen ist?

Und sollten Sie selbst einmal in diese Situation geraten, haben wir hier noch die Tipps der Wasserwacht Bayern zusammengefasst:

  • Auch wenn es schwer fällt: Ruhe bewahren
  • Rufen Sie laut um Hilfe und machen auf sich aufmerksam
  • Zappeln Sie nicht wild herum, da der Körper bei Bewegung schneller auskühlt
  • Kommen Sie keinesfalls unter das Eis. Sie verlieren schnell die Orientierung
  • Versuchen Sie, sich am Rand der Bruchstelle festzuhalten und – wenn möglich – auf dickeres Eis hochzuziehen
  • Bricht das Eis weiter beim Versuch, darauf zu klettern, arbeiten Sie sich langsam Richtung Ufer vor, indem Sie mit Ellenbogen oder Fäusten die Eisfläche zerschlagen – bis zum Ufer oder bis Sie aufs Eis klettern können

Betreten sollte man zugefrorene Seen und Gewässer laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erst, wenn die Eisschicht 15 Zentimeter dick ist. In der Regel geben die örtlichen Behörden die Eisflächen frei.

Sie haben erfolgreich Ihre Einwilligung in die Nutzung unseres Angebots mit Tracking und Cookies widerrufen. Damit entfallen alle Einwilligungen, die Sie zuvor über den (Cookie-) Einwilligungsbanner bzw. über den Privacy-Manager erteilt haben. Sie können sich jetzt erneut zwischen dem Pur-Abo und der Nutzung mit Tracking und Cookies entscheiden.

Bitte beachten Sie, dass dieser Widerruf aus technischen Gründen keine Wirksamkeit für sonstige Einwilligungen (z.B. in den Empfang von Newslettern) entfalten kann. Bitte wenden Sie sich diesbezüglich an datenschutz@axelspringer.de.