15. Juli 2022, 16:10 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Auf dem Berggipfel kann einem schon mal die Luft wegbleiben – (auch) im buchstäblichen Sinne. Denn: Ab einer gewissen Höhe läuft man Gefahr, an einer lebensbedrohlichen Sauerstoffunterversorgung zu leiden, der sogenannten Höhenkrankheit. Und die kostet Bergsteiger häufiger das Leben als Unfälle mit Lawinen, Steinschlag oder heftigen Witterungen zusammengenommen. FITBOOK sprach mit zwei Experten darüber, an welchen Symptomen man sie erkennt und wie man sich verhalten sollte, wenn man selbst erkrankt oder mit einem Betroffenen zusammen ist.
Ein Urlaub im Gebirge kann Glücksgefühle und beeindruckende Ausblicke mit sich bringen, aber auch körperliches Unwohlsein – und sogar Lebensgefahr. Etwa durch die Höhenkrankheit, auch D’Acosta-Krankheit genannt (nach José de Acosta, einem spanischen Missionar aus dem 16. Jahrhundert, der erstmals die Höhenkrankheit beschrieb). Das Fatale: Ihre Symptome sind relativ unspezifisch, weshalb Betroffene oft nicht wissen, dass – geschweige denn wie – zu handeln wäre. Genau dies haben wir uns von Medizinern erklären lassen.
Übersicht
Was steckt hinter der Höhenkrankheit?
Mit zunehmender Höhe wird die Luft dünner, was bedeutet, dass der anteilige Sauerstoffdruck abnimmt und die Lunge bei gleicher Atmung weniger Sauerstoff aufnehmen kann. Richtig brenzlig werde es laut Dr. Manke, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Sportmedizin, Akupunktur und Chirotherapie bei Revierdoc, ab etwa 5500 Metern, wo der Sauerstoffpartialdruck schon um die Hälfte reduziert sei. Doch auch bereits ab rund 2500 Meter könne es zu einer Sauerstoffunterversorgung (Fachbegriff: Hypoxie) des Gehirns und weiterer Körpergewebe kommen.
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Auf welche Symptome sollte man achten?
Dr. Manke spricht von „Kompensationsmechanismen“, die sich – je nach Schweregrad der Höhenkrankheit – durch unterschiedliche Symptome manifestieren. Zu den Frühzeichen zählen Kopfschmerzen, starke Übelkeit und Appetitmangel. Der Ruhepuls der Betroffenen steigt zudem deutlich an. Auch auffällig: „Höhenkranke sind oft ohne ersichtlichen Grund euphorisch.“
Wenn sich die ersten Symptome der Höhenkrankheit verstärken, etwa die Kopfschmerzen kaum noch auszuhalten sind, und weitere Symptome hinzukommen (Atemnot, trockener Husten, Schwindel, Schwäche), haben wir es laut dem Experten bereits mit ernst zu nehmenden Warnzeichen zu tun. Betroffenen selbst dürfte jetzt zudem auffallen, dass sie nur noch sehr wenig und unnatürlich dunkel verfärbten Urin ausscheiden.
Die nächste Steigerung ist laut Dr. Manke bereits als echtes Alarmsignal zu werten. „Höhenkranke bekommen blaue Lippen, zeigen sich verwirrt und sehr benommen“, schildert der Facharzt. „Ihre Atmung ist stark erschwert und wird immer wieder von hartnäckigem Husten mit braunem Auswurf unterbrochen.“ In diesem Stadium werde typischerweise gar kein Urin mehr produziert.
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Zusammengefasst: Typische Symptome der Höhenkrankheit
- Kopfschmerzen
- Übelkeit
- Appetitmangel
- Hoher Ruhepuls
- überschwängliche Euphorie
- Schwindel
- (trockener) Husten
- Atemnot
- Schwäche
- Blaufärbung der Lippen
- Benommenheit
- Verwirrtheit
- Brauner Auswurf
- Urinproduktion eingestellt
So verhalten Sie sich bei Höhenkrankheit richtig
Dr. Manke empfiehlt, die Therapie der Höhenkrankheit vom Schweregrad der Symptome abhängig zu machen. Die Kopfschmerzen ließen sich mit entsprechend starken Tabletten behandeln. Doch auch wenn die Frühzeichen zurückgehen – jetzt bitte auf keinen Fall verausgaben! Der weitere Aufstieg sollte bis morgen warten, im Idealfall nach erholsamer Nachtruhe in niedrigerer Lage.
Sofort reagieren
Zeigen sich erste Warnzeichen, müsste man laut Dr. Manke sofort reagieren! Andernfalls könnten sie sich weiterentwickeln und akute Lebensgefahr darstellen: Der geringe Luftdruck und Bluthochdruck könnten Flüssigkeitsansammlungen in Lunge und Gehirn entstehen lassen. Es gelte daher, den Patienten umgehend zu evakuieren. „Der selbstständige Abstieg ist nicht mehr möglich, da der Höhenkranke bereits zu stark körperlich und psychisch beeinträchtigt ist“, weiß der Experte.
Handy und Funkgerät
Dr. Manke betont, dass Bergsteiger immer ein Handy und Funkgerät mit sich führen sollten, um im Notfall Hilfe rufen zu können. Ebenso ratsam: eigene Erste-Hilfe-Utensilien, um den Zustand potenziell Erkrankter bestmöglich zu stabilisieren. Dazu gehören allen voran Sauerstoffflaschen (zum Beatmen) sowie Kortisontabletten. „Diese vergibt man“, wie der Experte uns erklärt, „um die potenziell tödlichen Wassereinlagerungen zu verhindern.“
Den Berg verlassen
Doch Tabletten und andere Erste-Hilfe-Utensilien hin oder her: „Die wichtigste Therapiemaßnahme bei allen Formen der Höhenkrankheit ist immer der Abstieg.“ Das sagt Dr. med. Ulrich Steiner – und der ist Höhenmediziner und Flugrettungsnotarzt in Tirol, der auch Betroffene der Höhenkrankheit aus dem Hochgebirge rettet.
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Man kann Höhenkrankheit vorbeugen: So geht’s!
Dr. Manke betont, es sei wichtig, sich im Vorfeld der Bergtour fit zu fühlen. Wer mit einem geschwächten Immunsystem an den Start geht, weil er etwa kürzlich an einem Infekt gelitten hat, sei generell anfälliger für die Höhenkrankheit. „Weitere Triggerfaktoren sind Schlafmangel und Alkohol“, fügt er hinzu. „Jägertee“ oder Ähnliches – zum Aufwärmen nach einem anstrengenden Aufstieg – sind entsprechend tabu. Aber auch wenn man topfit wandern geht, sollte man folgende Dinge wissen und beachten, um einer Höhenkrankheit vorzubeugen.
Auf die Schlafhöhe achten
So gilt laut Dr. Steiner die wichtige Faustregel: die Schlafhöhe nur zwischen 300 bis 500 Metern pro Tag erhöhen, damit sich der Körper akklimatisieren kann! Das heißt: Nach einer Nacht auf beispielsweise 2500 Meter Höhe sollte das Schlafquartier auf idealerweise unter 3000 Meter aufgeschlagen werden. Sollte man doch mal (deutlich) höher als am Vortag übernachtet haben (für unser Beispiel: 3500 Meter), empfiehlt es sich, einen Pausentag einzulegen und auch noch am Folgetag auf derselben Höhe zu übernachten. Natürlich vorausgesetzt, man hat in der Zwischenzeit keine Symptome einer Höhenkrankheit entwickelt.
Gleichzeitig muss man aber wissen, dass die Anpassungsfähigkeit sehr individuell ist. Man sollte also – ungeachtet der Höhe – unbedingt und primär auf den eigenen Körper hören.
Vorab einen Höhenverträglichkeitstest machen
Bevor man eine Reise in große Höhe antritt, kann man auch seine Höhenverträglichkeit testen lassen. Dafür atmet man über eine Maske Höhenluft ein. Via Pulsoxymeter am Finger werden Sauerstoffsättigung und Herzfrequenz im Blut gemessen. Das Ergebnis gibt dann Hinweise darauf, ob man mit höherer Wahrscheinlich die Höhenkrankheit bekommen würde oder nicht. Allerdings sollte man sich nicht nur auf diesen Test verlassen, sondern eine Reise in die Berge immer gut vorbereiten, sich optimal ausstatten, verantwortlich handeln und auf mögliche körperliche Warnzeichen achten.
Ein Berg, der besonders tückisch ist
Höhenmediziner Dr. Steiner – der ehrenamtlich im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin* arbeitet – hat FITBOOK weiterhin verraten, dass ein bestimmter Berg besonders bekannt für seine vielen und besonders schweren Fälle von Höhenkranken ist: der Kilimandscharo (5895 Meter) in Tansania. Warum? Weil der Aufstieg technisch nicht besonders anspruchsvoll sei und man die Höhe dementsprechend „gnadenlos steigern“ könne, sodass selbst „Hinz und Kunz“ diesen Fast-6000er erklimmen könnten. Die Folge: ein gehäuftes Auftreten von Höhenhirnödemen, die unbehandelt jederzeit zum Tod führen können. Das Problem beginne laut dem Experten schon bei Reiseanbietern, die den Kilimandscharo in 7-Tages-Touren reinquetschen. Klarer Fall: Kosten-Zeit-Druck auf Kosten von Akklimatisierung!
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Auch die Alpen nicht unterschätzen
Übrigens beginnt das Problem von lebensbedrohlichen Höhenhirnödemen nicht erst in Afrika, sondern schon in unseren Alpen. Dr. Steiner weiß von Kollegen, dass sie in den Westalpen regelmäßig Wanderer von Berghütten retten müssen, weil sie schwere Formen der Höhenerkrankung entwickeln. Solange man die Betroffenen schnell wieder auf tiefere Höhen evakuieren könne, würden die meisten Fälle glimpflich ausgehen. Wenn das Wetter aber eine (Flug-)Rettung verhindert, kann man auch in der heutigen Zeit – und mitten in Europa – daran sterben.
*Die Deutsche Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin (bexmed) fördert die Aus- und Fortbildung von Ärzten in Alpin- und Expeditionsmedizin. Auf diese Weise will man zur Unfall- und Krankheitsprävention in den Bergen beitragen.