15. Dezember 2023, 4:47 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Eine Depression kann sich schleichend ausbreiten und bleibt dadurch oft unbemerkt. Denn viele Menschen schaffen es trotz der Erkrankung ihren Lebensalltag zu meistern, obwohl ihre Lebensfreude immer weiter schwindet. Man spricht in diesem Fall von einer hochfunktionalen Depression, die über Jahre andauern kann.
Bei Depressionen handelt es sich um ein weitverbreitetes Krankheitsbild. Laut der „Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention“ leiden in Deutschland etwa 8,2 Prozent der Erwachsenen zwischen 18 und 79 Jahren an psychischen Erkrankung.1 Allein in dieser Altersgruppe sind es über fünf Millionen Bundesbürger. Deswegen gehört sie mittlerweile zu den Volkskrankheiten in Deutschland. Dabei gibt es unterschiedliche Ausprägungen von Depressionen. Die hochfunktionale Depression ist eine davon. Hierbei schaffen es die Betroffenen, ihr Leben teilweise jahrelang zu meistern, obwohl sie unglücklich und depressiv sind. FITBOOK erklärt, woran man diese Art der Depression erkennt.
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Übersicht
Was sind Depressionen?
Viele Menschen benutzen die Begriffe „depressiv“ oder „deprimiert“, um damit ein Stimmungstief in ihrem Leben auszudrücken. So kann uns unter anderem die dunkle Jahreszeit, Unzufriedenheit im Beruf und Privatleben oder der Verlust eines Menschen in ein tiefes Loch fallen lassen. Doch meistens handelt es sich dabei um eine vorübergehende depressive Phase, die wir aus eigener Kraft überwinden und zurück zur Lebensfreude und zur Zufriedenheit finden.
Bei einer Depression im medizinischen Sinne können Betroffene sich nicht allein helfen, denn die Erkrankung führt zu chemischen Veränderungen im Gehirn und Funktionsstörungen in anderen Körperregionen, die nicht von allein weggehen. Depressive Menschen werden von Schlaflosigkeit, Antriebslosigkeit, negativen Gedanken und Ausweglosigkeit geplagt. Der Leidensdruck ist in einigen Fällen so hoch, dass er die Betroffenen in den Suizid treibt. Dabei muss es nicht so weit kommen, denn Depressionen lassen sich medikamentös und therapeutisch behandeln – wenn man sie erkennt und behandelt. Betroffene finden Hilfe beispielsweise bei der „Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention“.
Welche Symptome auf eine Depression schließen lassen und wie sie sich behandelt lässt, hat FITBOOK bereits in einem anderen Beitrag berichtet.
Wodurch unterscheidet sich die hochfunktionale Depression?
Das Tückische an einer hochfunktionalen Depression ist, dass sie oft unentdeckt bleibt. Ob jemand überhaupt depressiv wird oder nicht, bestimmt meist die genetische Veranlagung. So werden die meisten Menschen trotz großer Lebensbelastungen wie Verlust und Rückschlägen nicht depressiv. Anderseits können erfolgreiche Menschen, die einen guten Job haben und eine erfüllte Beziehung, in eine Depression fallen. Hochfunktional bedeutet, dass die Betroffenen trotz der Depression noch im Alltag „funktionieren“, also die meisten Aufgaben meistern können. Deswegen wir die hochfunktionale Depression als eine leichtere Form eingestuft, die aber über Jahre anhalten kann.
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Wie erkenne ich eine hochfunktionale Depression?
Generell gilt: Um von einer Depression zu sprechen, müssen mehrere Krankheitszeichen über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen vorliegen, wie Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, FITBOOK in einem Beitrag zu Winterdepressionen erklärte. Bei einer funktionalen Depression sind die Symptome meist weniger stark ausgeprägt, wodurch es möglich ist, über Jahre damit zu leben, ohne sie medizinisch behandeln zu lassen. Auf folgende Anzeichen sollten Sie achten:2
1. Eigentlich läuft alles gut, Sie sind aber trotzdem unglücklich
Wie bereits erwähnt treten Depressionen oft unabhängig von der aktuellen Lebenssituation auf. Im Job läuft alles problemlos, die Beziehung mit dem Partner funktioniert gut und auch sonst gibt es keine großen Probleme im Leben – und dennoch sind Sie mit sich oder Ihrem Leben unglücklich? Das könnte ein Anzeichen für eine hochfunktionale Depression sein.
2. Sie empfinden keine tiefe Freude mehr
Manche Menschen können sich über die kleinsten Dinge des Lebens freuen. Man begegnet einem Bekannten auf der Straße und freut sich einfach darüber. Oder man genießt den ersten Kaffee am Morgen. Sie jedoch können keine richtige Freude mehr empfinden – weder bei den kleinen Dingen des Alltags noch bei großen Freudenspendern. Egal, ob ein Geschenk für Sie, ein guter Film, ein leckeres Essen oder ein geselliger Abend mit dem Partner oder Freunden – Sie können all das nicht wirklich genießen. Oder aber, die Freude hält nur für einen kurzen Moment an und weicht schnell wieder Ihrer Unzufriedenheit. Auch das ist ein starkes Indiz für eine Depression.
3. Sie funktionieren nur noch
Während stark depressive Menschen kaum noch ihren Alltag bestreiten können, oft arbeitsunfähig und sozial zurückgezogen leben, sind Betroffene einer hochfunktionalen Depression meist voll funktionsfähig. Sie arbeiten, kümmern sich um den Haushalt, um die Kinder und um die Beziehung zum Partner. Doch das alles fühlt sich nach einer Pflicht an. Sie haben das Gefühl, nur noch funktionieren zu müssen, empfinden dabei weder Freude noch Erfüllung. Es ist zwar ein Zustand, mit dem sie leben können, aber glücklich oder zufrieden sind die Betroffenen nicht.
4. Sie sind ständig erschöpft, schlafen schlecht
Egal, was sie machen, wie lange sie schlafen oder sich ausruhen, sie sind immer erschöpft. Oft liegt es daran, dass depressive Menschen generell schlecht schlafen und keinen erholsamen Schlaf haben. Sie quälen sich beim Einschlafen, können schlecht durchschlafen und sind am nächsten Tag wie gerädert. Aber auch die Freudlosigkeit nimmt Ihnen die Energie bei der Alltagsbewältigung. Sie quälen sich von einer Aufgabe zur nächsten und empfinden es als Pflicht, ohne den Sinn dahinter zu sehen. Es ist ein endloser Kreis, der einen erschöpft.
5. Sie grübeln oft übers Leben nach
Kennen Sie das Gefühl der inneren Stimme, die mit Ihnen spricht? Sie sind anduernd mit sich selbst im Dialog und fragen sich: „Warum, bin ich so unglücklich, obwohl doch eigentlich alles gut läuft? Ich müsste eigentlich dankbar sein für alles, was ich habe. Andere Menschen sind so viel schlechter dran als ich. Aber warum empfinde ich diese innere Leere, diese Freudlosigkeit?“ Wenn Sie sich solche oder ähnliche Fragen stellen und immer wieder damit konfrontieren, sollten Sie sich Ihrem Hausarzt anvertrauen oder einer Beratungsstelle für depressive Personen (siehe unten).
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6. Rückzug von sozialen Kontakten
Ein weiteres Indiz dafür, dass Sie depressiv sind, ist auch der Rückzug und das Meiden von sozialen Kontakten. Während sich normalerweise Menschen über eine Feier oder ein Treffen mit Freunden und Kollegen freuen, ist es für Sie eine Qual. Sie haben das Gefühl, eine Maske aufsetzen zu müssen, um so zu tun, als ob alles gut bei Ihnen ist. Depressive Menschen empfinden oft Scham für ihre Situation, haben Angst, sich jemandem anzuvertrauen und stigmatisiert zu werden. Die Gegenreaktion ist der Rückzug, um nicht mit anderen konfrontiert zu werden. Doch gerade soziale Kontakte sind wichtig und helfen Betroffenen. Versuchen Sie, sich einem guten Freund anzuvertrauen und Ihre Situation zu schildern. Falls Sie diesen Schritt nicht machen können, kontaktieren Sie eine Beratungsstelle.
Info-Telefon Depression: 0800 / 33 44 533
Mail-Beratung Depression: bravetogether@deutsche-depressionshilfe.de
Redakteurin berichtet über ihre Erfahrung mit Dysthemie
Nehmen Sie Warnzeichen ernst!
„„Depressive Episoden gibt es in vielen verschiedenen Formen und Stärken. Dazu zählt auch die hochfunktionale Depression. „Hochfunktional“ – das scheint erst mal ein gutes Wort und klingt nicht wie eine Erkrankung, die man behandeln sollte. Dysthymie klingt da schon eher nach einer ernst zu nehmenden Sache.
Denn zunächst bewältigt man ja den Alltag, ist leistungsfähig und liefert ab, egal ob in Schule, Studium oder Job. Genau darin liegt aber das Gefährliche an dieser Erkrankung. Viele Menschen mit diesen depressiven Symptomen lernen schnell, sie im Alltag zu verstecken oder sie so gut wie möglich zu ignorieren.
Allerdings entlädt sich dies dann spätestens, sobald man Schule oder Arbeit verlässt. Ich litt bereits während des Abiturs unter jahrelangen Schlafstörungen, grübelte über unangenehme Dinge nach, die Jahre zurücklagen, war reizbar, wenn ich nach Essenswünschen oder sozialen Aktivitäten gefragt wurde. Für mehr als schulische Leistungen hatte ich schlicht keine Energie.
Bleiben diese Symptome lange unbehandelt, laugen sie Betroffene immer weiter aus und können auch zu schweren Episoden – der Major Depression – führen und sich darin potenzieren.
Ich musste tatsächlich zwei schwere Phasen durchleben, bis ich mit 27 Jahren aufhörte, mich hinter Wörtern wie hochfunktionaler Depression und Burn-out zu verstecken und erkannte, dass meine Psyche Hilfe brauchte, um zu gesunden. Heute nehme ich die Symptome der Dysthymie viel ernster als früher und habe gelernt, wie ich damit umgehen kann. Selbst wenn sie für Außenstehende nicht sofort sichtbar ist, sollte man sie aufarbeiten und die Warnzeichen ernst nehmen.“ “– Louisa Stoeffler, Redakteurin