25. Januar 2022, 20:56 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Die sich rasant ausbreitende Omikron-Variante lässt viele Warnmeldungen auf dem Handy aufleuchten und Tests anschlagen. Daten zeigen, dass schwere Verläufe seltener sind als bei Delta. Wie gefährlich ist es für den Einzelnen, sich zu infizieren?
Eine immense Omikron-Welle rollt durch Deutschland, längst ist die Virusvariante vorherrschend. Was sicher scheint: Omikron verbreitet sich zwar besonders schnell, schwere Verläufe sind aber seltener. Doch wie harmlos ist eine Omikron-Infektion wirklich? Wie Omikron das individuelle Risiko bei einer Ansteckung verändert – und warum Experten weiter zu Vorsicht mahnen.
Übersicht
- Hohes Risiko, sich zu infizieren, geringes Risiko für schweren Verlauf
- Covid-19-Patienten kommen seltener auf Intensivstation
- Großer Einflussfaktor: der Impfstatus
- Mild heißt nicht unbedingt harmlos
- Auch Ältere und chronisch Kranke im Fokus
- Entwarnung bei Kindern?
- Mögliche Erklärung für mildere Verläufe bei Omikron-Variante
- Quellen
Hohes Risiko, sich zu infizieren, geringes Risiko für schweren Verlauf
Im Podcast „Coronavirus-Update“ des NDR fasst Virologin Sandra Ciesek zusammen: Nie sei das Risiko, sich zu infizieren, größer gewesen – zugleich sei das Risiko für eine schwere Erkrankung, wenn man geimpft oder geboostert sei, niedrig wie nie.1 Der Hamburger Intensivmediziner Stefan Kluge verweist auf Daten aus mehreren Ländern. Diese zeigten, dass das Risiko, mit Omikron ins Krankenhaus zu müssen, im Vergleich zu Delta in allen Altersgruppen wohl um mehr als die Hälfte reduziert sei. „Das ist eine gute Nachricht“, so der Lungenfacharzt.
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Covid-19-Patienten kommen seltener auf Intensivstation
Virologin Ciesek beruft sich im Podcast auf eine noch im Preprint – also ohne Überprüfung von Fachkollegen – veröffentlichte Studie aus Südkalifornien. In dieser vergleichen Wissenschaftler klinische Verläufe bei Omikron-Patienten mit denen von Patienten mit Delta. Mit breiter Datenbasis zeige sich, dass Patienten mit Omikron seltener beatmet werden müssen und auf der Intensivstation liegen. Im Schnitt lägen sie bei Hospitalisierung zudem drei oder vier Tage kürzer im Krankenhaus.2
Nach allgemeiner Einschätzung gelten Corona-Infektionen, bei denen man ins Krankenhaus muss, als schwere Verläufe. Christian Karagiannidis, wissenschaftlicher Leiter des Divi-Intensivregisters, sagt: „Wir wissen noch nicht so viel darüber, wie schwer bei Omikron das Lungenversagen ist, wenn die Erkrankten auf die Intensivstation müssen.“ Er gehe „nach ersten vorsichtigen Berichten“ aus dem Ausland aber nicht davon aus, dass der Einsatz von Herz-Lungen-Maschinen (Ecmo) bei Omikron so häufig nötig sei wie bei Delta.
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Großer Einflussfaktor: der Impfstatus
Ein enormer Einflussfaktor für den individuellen Schweregrad einer Infektion ist den Experten zufolge der Impfstatus. Die Grundimmunisierung mit Auffrischimpfung schützt nach wissenschaftlichem Konsens zwar bei Omikron nicht unbedingt vor Ansteckung, aber zuverlässig vor schweren Verläufen.
Mit Blick auf US-Daten sagt Karagiannidis, derzeit seien etwa 90 Prozent der dort mit Corona im Krankenhaus liegenden Menschen ungeimpft.3 „Das ist sicher die Risikogruppe, bei der auch Omikron einen schweren Verlauf nehmen kann“, so der Intensivmediziner. Er warnt auch vor dem Long-Covid-Risiko nach Erkrankung vor allem der Ungeimpften, das nicht unbedingt mit ihrem Schweregrad zusammenhänge.
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Mild heißt nicht unbedingt harmlos
Typische Symptome einer Omikron-Infektion sind laut Kluge Schnupfen, Husten, Hals- und Kopfschmerzen – besonders bei Geimpften seien sie oft gering ausgeprägt. Geruchs- und Geschmacksstörungen, wie sie bei Delta-Infektionen häufiger aufgetreten seien, sehe man selten. Doch auch die als leicht oder mild bezeichneten Verläufe sind den Experten zufolge durchaus ernst zu nehmen. Karagiannidis macht klar, dass auch sie „einen ziemlich mitnehmen“ könnten und man ebenfalls mit deutlichen Krankheitssymptomen und sehr eingeschränkt im Bett liegen könne. Teils für längere Zeit.
Auch Ciesek verweist darauf, dass Infizierte, auch wenn sie laut Definition nicht schwer erkrankt seien, von einer Omikron-Infektion viel betroffener sein können als von einem „banalen Schnupfen“. Sie mahnt, niemand wisse, wie der individuelle Verlauf sei, wenn man erkranke. Omikron auf die leichte Schulter zu nehmen oder sich gar vorsätzlich zu infizieren, sei der falsche Weg.
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Auch Ältere und chronisch Kranke im Fokus
Neben den Ungeimpften ist es die Gruppe der Menschen höheren Alters, die den Experten auch in der Omikron-Welle besondere Sorgen macht. Bei den Über-60-Jährigen sei die Inzidenz derzeit noch vergleichsweise niedrig, so Karagiannidis. „Da müssen wir unglaublich gut hingucken in den nächsten Wochen.“ Bei vollständig geimpften hochaltrigen Menschen gebe es immer wieder Impfdurchbrüche. Mit welcher Krankheitsschwere sich diese entwickeln, bleibe abzuwarten. „Es wird sich noch viel stärker dahin verschieben, dass Ungeimpfte und Ältere von Infektionen betroffen sein werden.“
Bei gesunden, jungen Erwachsenen sei das Risiko eines schweren Verlaufs vor allem mit Impfschutz sehr gering. Bei Omikron sei die Gefahr sogar noch reduzierter, so Kluge. Doch er betont, dass sich dies mit zunehmendem Alter ändere. Man wisse, „dass der stärkste Risikofaktor, schwer zu erkranken, das Alter ist“. Mit jeder Dekade steige das Sterbe-Risiko.
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Für Menschen mit schweren Vorerkrankungen wie Krebs, Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen könne eine Infektion, besonders wenn sie ungeimpft seien, ebenfalls extrem gefährlich sein. „Alter und Vorerkrankungen scheinen bei Omikron genau die gleiche Rolle als Risikofaktoren zu spielen wie bei Delta und vorherigen Varianten“, stellt Kluge klar.
Entwarnung bei Kindern?
Experten nehmen an, dass Corona-Infektionen für Kinder und Jugendliche allgemein weniger kritisch sind als für Erwachsene. Das liege daran, dass ihr Immunsystem anpassungsfähiger sei und das Virus stärker schon in den Atemwegen abgefangen werde, erklärt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), Jörg Dötsch. Mit Blick auf Omikron verweist er auf US-Studiendaten, nach denen für Unter-Fünfjährige das Risiko, ins Krankenhaus zu müssen, ein Drittel so groß sei wie bei Delta.4
Jakob Maske, Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, schildert aus seinem Berufsalltag in einer Berliner Kinderarztpraxis. Demnach seien die meisten derzeit positiv getesteten Kinder „völlig gesund und symptomfrei“. Sie kämen wegen positiver Schnelltests in den Schulen zum PCR-Test in die Praxis und nicht wegen Beschwerden. Einige Kindern hätten Schnupfen, teils Husten und Fieber oder Magen-Darm-Probleme.
Dötsch erklärt, gerade bei Jüngeren könne die Infektion auch Fieberkrämpfe bewirken. Bei Omikron fielen die Symptome aber in der Regel leichter aus als etwa bei Delta. Bei den seltenen schweren Verläufen bei Kindern könnten allerdings schwere Atemprobleme bis hin zur Beatmung auftreten. Auch Komplikationen an den Blutgefäßen wie Blutgerinnsel seien denkbar, sagt Dötsch. Weil diese Dinge bei Kindern so viel unwahrscheinlicher seien als bei Erwachsenen, könne man aber sagen: „Bei Kindern in der Gesamtheit ist der Verlauf milder.“
Mögliche Erklärung für mildere Verläufe bei Omikron-Variante
Frankfurter Forscher haben eine mögliche Ursache für mildere Krankheitsverläufe bei der Omikron-Variante des Corona-Virus identifiziert. In Zellversuchen habe sich gezeigt, dass Omikron im Vergleich zur Vorgänger-Variante Delta besonders empfindlich gegenüber der sogenannten Interferon-Antwort des Menschen sei. Dies teilte das Uniklinikum in Frankfurt am Montag mit. Interferone sind Teil des Immunsystems.
Die Frankfurter Forscher veröffentlichten ihre Ergebnisse zusammen mit einem Team von der britischen University of Kent im Fachblatt „Cell Research“.5 „Offenbar kann Omikron im Gegensatz zu Delta nicht verhindern, dass die befallenen Zellen Interferon produzieren und ausschütten“, sagte Martin Michaelis von der School of Bioscience der University of Kent laut einer Medienmitteilung.
Von Viren befallene Zellen bilden bestimmte Interferone. Das sind vereinfacht gesagt Botenstoffe, die unter anderem andere Zellen über den Eindringling informieren. Interferone sind wichtig für die unspezifische Immunantwort. Damit eine sehr schnelle, wenn auch weniger spezifische Reaktion des Immunsystems gegen einen Erreger gemeint. Die unspezifische Immunantwort ist zu unterscheiden von der spezifischen Immunantwort, deren Aufbau mehr Zeit braucht. Dabei werden unter anderem passgenaue Antikörper gegen den Erreger gebildet.
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Quellen
- 1. NDR. (2022). Ciesek über Risiko mit Omikron: So hoch und so niedrig wie nie.
- 2. Leonard J. A., Hong V. X., Patel M. M. et al. (2022). Clinical outcomes among patients infected with Omicron (B.1.1.529) SARS-CoV-2 variant in southern California. medRxiv
- 3. Mc Daniel J., McCarthy E. (2022). About 90% of COVID-19 patients in some of Pa.’s hardest-hit hospitals are unvaccinated. The Philadelphia Inquirer.
- 4. Wang L., Berger N. A. Kaelber D. C. et al. (2022). COVID infection severity in children under 5 years old before and after Omicron emergence in the US. medRxiv.
- 5. Bojkova D., Widera M., Michaelis M. et al. (2022). Reduced interferon antagonism but similar drug sensitivity in Omicron variant compared to Delta variant of SARS-CoV-2 isolates. Cell Research.
- Mit Material von dpa