1. April 2021, 14:45 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Ob Schokoriegel, Softdrink oder Fast Food: Werbeversprechen und ein ansprechendes Verpackungsdesign beeinflusst, was wir gut finden, kaufen und essen. Doch wie empfindlich reagieren Menschen auf Lebensmittel-Marketing? Eine kanadische Studie will herausgefunden haben, dass sich die Wahrnehmung dafür ändert, wenn Menschen signifikant an Gewicht verlieren.
Werbung ist überall. Für Luxusgüter, Autos, Kosmetik oder Lebensmittel. Vor allem der letzte Punkt sorgt immer wieder für Debatten: Ist es beispielsweise okay, Schokoriegel als „gesunden“ Snack anzupreisen? Was muss auf der Verpackung stehen? Erst kürzlich wurden in Deutschland Forderungen nach einem Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel laut. Schließlich sehen schon Kinder täglich durchschnittlich 15 Werbungen, die ihnen Lust auf für Süßigkeiten und Co. machen sollen.
Doch wie viel Einfluss hat Lebensmittel-Marketing eigentlich auf unser Essverhalten? Gibt es Menschen, die alleine durch ihre Veranlagung stärker auf bestimmte Produktversprechen und Werbung reagieren? Und sind Menschen, die unter Fettleibigkeit leiden, anfälliger für bestimmte Marketingmaßnahmen als andere? Mit dieser kontroversen Frage hat sich jetzt ein kanadisch-französisches Forschungsteam beschäftigt. Denn die Fettleibigkeitsraten in Industrieländern sind in den letzten 40 Jahren dramatisch angestiegen. Immer wieder kommt deshalb die Frage auf, ob Lebensmittel-Marketing (zumindest teilweise) dafür verantwortlich sein könnte. Die Forscher*innen wollten außerdem herausfinden, ob Menschen, die stark abgenommen haben, anders auf Lebensmittelwerbung reagieren.
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Wie wurde der Zusammenhang zwischen Lebensmittel-Marketing, Fettleibigkeit und Gewichtsverlust untersucht?
Für die Studie, die im Journal of Consumer Psychology veröffentlicht wurde, untersuchten die Forscher*innen drei Gruppen. Zum einen Frauen mit schwerer Adipositas, bevor sie sich einem Magenbypass oder anderen Operationen zur Gewichtsreduktion unterzogen. Zum anderen Frauen drei und zwölf Monate nach einer derartigen Operation. Und außerdem Frauen mit Adipositas, die sich keiner Operation zur Gewichtsreduktion unterzogen sowie Frauen, die nicht adipös waren.
Im Rahmen der Studie wurde untersucht, wie das „Framing“, also das Design, die Werbung und Etikettierung von Produkten, beeinflusst, wie Menschen Lebensmittel aussuchen und bewerten. Unter dem „Framing-Effekt“ versteht man den Effekt, dass eine Botschaft unterschiedlich aufgefasst wird, wenn sie anders formuliert wird, auch wenn der Inhalt gleich ist. Im Lebensmittel-Marketing kann das zum Beispiel die Vermarktung als vermeintlich gesunder oder nährstoffreicher Snack sein, auch wenn ein Produkt viel Zucker enthält und eigentlich eine Süßigkeit ist.
Die Teilnehmenden mussten den Kaloriengehalt in bekannten Snacks und Getränken zu schätzen. Darunter waren solche, die typischerweise als gesund beworben werden, beispielsweise Apfelsaft oder Müsliriegel. Und andere, die nicht als gesund beworben werden, etwa Softdrinks oder Schokoriegel.
Adipöse Menschen reagierten eher auf Produktversprechen und Etikettierung als schlanke Menschen
Die Forscher fanden heraus, dass alle Studienteilnehmerinnen den Kaloriengehalt von Snacks, die als gesund angepriesen wurden, unterschätzten. Am stärksten ausgeprägt war der Effekt aber bei Frauen mit Fettleibigkeit. Sie waren empfänglicher für Lebensmittelmarketing als die schlanken Teilnehmerinnen.
Um den Framing-Effekt weiter zu testen, mussten die Teilnehmerinnen hypothetisch eine Portion Pommes in einem Fast-Food-Restaurant wählen. Dazu wurden ihnen Nährwertangaben und das Gewicht für drei verschiedene Portionsgrößen von Pommes vorgelegt. Die drei Größen waren von der Menge her immer gleich. Aber in einem Fall waren sie als klein, medium und groß gekennzeichnet und in einem anderen Fall als mini, klein und medium. So wurde untersucht, ob eher der Beschriftung der Portionsgröße vertraut wurde oder ob auf die wirkliche Menge geschaut wurde. Der Versuch zeigte: Frauen mit Adipositas folgen eher der Beschriftung und nicht der tatsächlichen Information über die Menge. Sie wählten bei der Auswahl zwischen mini, klein und medium eher die Portion, die als „medium“ beschriftet war, obwohl es die Größte war.
Wie reagierten Menschen nach einem Gewichtsverlust auf Lebensmittel-Marketing?
Insgesamt fand das Forschungsteam heraus, dass die Teilnehmerinnen mit Adipositas tendenziell stärker auf Lebensmittelwerbung reagierten. Aber wenn sie aufgrund einer Operation zur Gewichtsreduzierung signifikant abnahmen, sank ihr Reaktionsvermögen auf Lebensmittelwerbung erheblich. „Menschen mit Adipositas, die sich einer bariatrischen Operation unterziehen, werden mit der Zeit weniger empfänglich für Marketing“, sagt Dr. Cornil. „Und nach 12 Monaten erreicht ihre Empfänglichkeit für Marketing das Niveau von Menschen mit mehr medizinisch empfohlenem Gewicht.“
Was die Studie allerdings nicht herausfinden konnte, war, woran die veränderte Wahrnehmung liegt. Es sei nicht klar, ob Menschen mit Adipositas aufgrund physiologischer Veränderungen nach der Operation, also durch hormonelle, neurologische Verschiebungen oder Veränderungen der Darmmikrobiota weniger empfänglich für Lebensmittel-Marketing werden. Oder einfach aufgrund des Wunsches, ihren Lebensstil und ihre Gewohnheiten zu ändern. Ein weiterer möglicher Grund sei, dass sich der Geschmack der Menschen nach einer derartigen Operation tendenziell ändert und deshalb auf bestimmte Produkte weniger angesprungen werde.
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Anfälligkeit für Lebensmittel-Marketing scheint nicht veranlagt zu sein
„Die Ergebnisse deuten eindeutig auf einen Einfluss zwischen dem Gewichtsstatus, der Psychologie und der Reaktion auf die Umwelt hin, einschließlich Marketing“, sagt Dr. Cornil. „Es ist also eine komplexe Beziehung.“ Eine gute Nachricht, denn hätten die Forscher*innen festgestellt, dass Menschen nach einer Gewichtsreduktion immer noch anfällig für Lebensmittel-Marketing wären, hätte das auf eine tiefer liegende Veranlagung hingewiesen. Und das würde bedeuten, dass Menschen mit unveränderlichen psychologischen Eigenschaften ausgestattet sind, die sie immer empfänglicher für Marketing machen. Das würde es für sie sehr schwierig machen, ein medizinisch empfohlenes Gewicht zu halten. Es sei sehr positiv, dass Menschen nach einer signifikanten Gewichtsabnahme weniger empfänglich für das Marketing werden, erklärt Studienleiter Dr. Cornil im Journal of Consumer Psychology.
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Warum ist die Studie wichtig?
Die Studie ist wichtig, weil seit Jahren angenommen haben, dass Lebensmittel-Marketing (vor allem für kalorienreiche und nährstoffarme Produkte) zumindest teilweise für die Adipositas-Epidemie in Industrieländern verantwortlich ist. Bisher gab es aber keine klaren empirischen Beweise. Ergebnisse wie diese könnten politische Entscheidungsträger animieren, Forderungen, wie dem Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel, nachzukommen und zu mehr Transparenz in der Lebensmittel-Industrie führen.