9. November 2019, 10:43 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Beim Arztbesuch läuft oft noch viel auf Papier. Die große Koalition will deswegen Tempo machen, um endlich einen Durchbruch für die Digitalisierung zu schaffen. Geht das für manche auch zu schnell?
Gesundheits-Apps auf Rezept, leichterer Zugang zu Online-Sprechstunden, weniger Papier in den Praxen: Neue digitale Angebote sollen für Patienten vom nächsten Jahr an breiter zu nutzen sein.
Der Bundestag beschloss dazu am Donnerstag mit den Stimmen der großen Koalition ein Gesetz von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Es regelt zudem, dass neben Praxen auch Apotheken und Kliniken an die geplante Datenautobahn des Gesundheitswesens andocken müssen. In der zuletzt umstrittenen Frage einer schnelleren Nutzung von Daten für die Forschung fügte das Parlament zusätzliche Sicherheitsregeln ein.
Spahn sagte, digitale Lösungen könnten den Patientenalltag konkret verbessern. „Wir gehen Schritt für Schritt in die digitale Zukunft.“ Jeder, der mitmachen wolle, solle mitmachen können. „Wer es aber lieber analog hat, bekommt es auch.“ Nach jahrelangem Gezerre um zusätzliche Funktionen für die elektronische Gesundheitskarte will der Minister mit seinem Digitalisierungsgesetz weiter Tempo machen. In Kraft treten soll es im Januar 2020, zustimmungspflichtig im Bundesrat ist es nicht. Vorgesehen sind mehrere digitale Bausteine:
Ein Jahr tragen die Kassen die Kosten
Bestimmte Apps fürs Handy sollen Patienten von der Kasse bezahlt bekommen, wenn ihr Arzt sie verschreibt. Spahn sprach von einer „Weltpremiere“, die das „Wildwest“ der Angebote beende. Es geht etwa um Anwendungen, die beim regelmäßigen Einnehmen von Medikamenten helfen oder digitale Tagebücher für Diabetiker. Dafür soll eine rasche Zulassung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte kommen. Ein Jahr tragen die Kassen die Kosten, in dieser Frist müssen die App-Anbieter dann auch den Nachweis einer besseren Versorgung liefern. Ärztepräsident Klaus Reinhardt sagte, die große Menge mache das Unterscheiden nicht ganz einfach. Es gebe sinnvolle und hilfreiche Angebote, aber auch viel „Schnickschnack“.
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Im vergangenen Jahr hatten die Ärzte das Berufsrecht weiter für Fernbehandlungen über digitale Technik geöffnet. Künftig sollen Patienten auch leichter Praxen ausfindig machen können, die Onlinesprechstunden anbieten. Darüber sollen Mediziner auf ihrer Internetseite informieren können. Einwilligungen und eine Aufklärung der Patienten sollen auch im Rahmen von Videosprechstunden möglich werden und nicht mehr nur persönlich vor Ort oder schriftlich.
Alle Akteure sollen verletzt werden
Ein neuralgischer Punkt ist der bisher eher stockende Aufbau einer Datenautobahn, die einmal alle Gesundheitsakteure mit hohen Sicherheitsvorkehrungen vernetzen soll. Neben den Arztpraxen werden nun auch die Apotheken verpflichtet, sich bis Ende September 2020 anzuschließen und Krankenhäuser bis Januar 2021. Hebammen und Physiotherapeuten können es freiwillig tun. Weiter erhöht wird der Druck auf hartnäckige „Offliner“, die Praxen nicht anschließen. Ihnen drohen ab 1. März 2020 höhere Honorarkürzungen von 2,5 Prozent.
Weniger Papier
In vielen Praxen rattern noch alte Drucker und Faxgeräte. Spahn will den Abschied von der Zettelwirtschaft mit sanftem Druck beschleunigen. Damit Ärzte mehr E-Befunde verschicken, soll der Faxversand nicht mehr höher vergütet werden. Erleichtert werden soll auch der elektronische Fach-Austausch unter Arztkollegen.
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Daten für die Forschung
Bei den Krankenkassen vorliegende Daten sollen schneller und auch umfangreicher für die Forschung nutzbar werden – für Erkenntnisse etwa zu chronischen Krankheiten. Das generelle Verfahren gebe es seit 15 Jahren, sagte Spahn. Konkret sollen die Kassen Daten jedes Versicherten unter anderem zu Alter, Geschlecht, Wohnort und Behandlungsleistungen an den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen übermitteln – und zwar schon in pseudonymisierter Form, wie das Parlament in einer Änderung festlegte. Zunächst war diese Sicherheitsvorkehrung erst bei der Weiterleitung an ein „Forschungsdatenzentrum“ vorgesehen.
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Wie schnell neue Digital-Angebote bei den Patienten ankommen, muss sich zeigen. Ärztepräsident Reinhardt verwies darauf, dass nicht alle Menschen die gleiche Vertrautheit mit neuen Technologien hätten, auch wegen ihres Alters. „Wenn wir zu stark und zu schnell auf digitale Unterstützung abstellen, darf man die Menschen nicht vergessen, die damit vielleicht nicht umgehen können“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Der IT-Branchenverband Bitkom hob „enorme Chancen“ hervor, Patienten eine leistungsfähigere Versorgung und letztlich mehr Lebensqualität zu bieten. Für ein zentrales Projekt laufen schon Vorbereitungen – den Start elektronischer Patientenakten bis 2021.