7. Dezember 2023, 12:47 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Sind junge Menschen weniger belastbar? Oder achten sie einfach besser auf sich und ziehen früher die Reißleine als ältere Generationen? Zahlen der AOK zeigen jedenfalls, dass die jungen Arbeitnehmer der Generation Z auffällig häufig krank sind. Irre ist: Im Jahr 2022 fehlte jede und jeder unter 30 Jahren 19 Kalendertage bei der Arbeit. Und nein, Corona war nicht der (Haupt-)Grund.
Passend zur aktuellen Infekt-Saison, in der teils halbe Belegschaften wegen Erkältung oder Corona ausfallen, kommt ein Bericht der AOK Rheinland/Hamburg in Zusammenarbeit mit dem BGF-Institut (Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung). Mit Blick auf 2022 zeigt dieser, dass Arbeitnehmer der Generation Z häufig wegen Krankheit fehlen.1 Doch was steckt dahinter?
Jetzt dem FITBOOK-Kanal bei Whatsapp folgen!
Übersicht
Die Analyse
Um herauszufinden, wie häufig unter 30-Jährige ihrem Arbeitgeber einen Krankenschein vorlegen, werteten die AOK Rheinland/Hamburg und das BGF-Institut mehr als 300.000 Daten aus. Diese stammten von berufstätigen Versicherten der AOK Rheinland/Hamburg zwischen Rhein und Ruhr mit einem Höchstalter von 29 Jahren. Deshalb wollen wir an dieser Stelle schon einschränkend betonen, dass die Ergebnisse der Analyse nicht auch auf andere Regionen Deutschlands übertragen werden können. Dazu wären weitere Datenauswertungen notwendig.
Auch interessant: Der erstaunliche Effekt einer Pflanze auf dem Schreibtisch aufs Gehirn
So viel fehlt die Generation Z wegen Krankheit
Laut der Analyse hat sich der Krankenstand bei der Generation Z im Vergleich von 2022 mit 2021 deutlich erhöht. Er stieg von durchschnittlich 3,65 auf 5,18 Prozent. Das macht einen Anstieg von 41,9 Prozent.
2022 fehlten am Arbeitsplatz täglich 5 von 100 Beschäftigten unter 30 Jahren. Auf jeden Versicherten kamen in der Generation Z über das Jahr verteilt 2,79 Krankenscheine. Die Zahl der Krankschreibungen übertraf den Vorjahreswert (1,83 Krankenscheine) um knapp 53 Prozent. Ein Negativrekord.
Jeder Krankenschein im Jahr 2022 wurde im Durchschnitt über eine Zeit von 6,8 Kalendertagen ausgestellt. Das bedeutet, dass jede und jeder Berufstätige aus der Generation Z in dem Jahr rund 19 Kalendertage wegen Krankheit am Arbeitsplatz ausgefallen ist.
Auch interessant: Darum sollten Sie im Stehen arbeiten!
Gründe für die krankheitsbedingten Fehltage
In erster Linie gab es 2022 folgende Ursachen für die Krankenscheine:
- Atemwegserkrankungen
- Magen-Darm-Erkrankungen
- Corona
Doch beim genaueren Hinschauen wird klar, dass diese Erkrankungen nicht die einzige und wahrscheinlich auch nicht die wichtigste Erklärung für die hohe Ausfallrate bei den jungen Arbeitnehmern sind.
Denn der Vergleich eines weiter zurückliegenden Zeitraums – die Jahre 2013 bis 2021 – mit dem Jahr 2022 zeigt, dass es bei den Diagnosen wegen Atemwegserkrankungen, Magen-Darm-Erkrankungen (und Corona) nur leichte Veränderungen gegeben hat. Was aber auffällt: dass immer häufiger psychische Gründe zur Arbeitsunfähigkeit führen. Bezüglich seelischer Leiden als Grund für einen Krankenschein ist seit 2013 laut AOK ein stetiger Anstieg festzustellen. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich der Anteil mentaler Beschwerden bei den Fehltagen jüngerer Beschäftigter um fast 50 Prozent erhöht.
„Das ist ein alarmierender Trend, der es notwendig macht, sich auch die dahinterliegenden Diagnosen genauer anzuschauen“, betont Sabine Deutscher, Vorstandsmitglied der AOK Rheinland/Hamburg in der Pressemitteilung. „Wir stellen fest, dass bei der jüngeren Generation vor allem Angststörungen, Belastungsstörungen und depressive Störungen signifikant zunehmen.“
Auch interessant: Diese Krankenkassen planen, 2024 den Beitrag nicht anheben zu wollen
Generation Z weniger belastbar als frühere Generationen?
In den Medien wird viel über die Generation Z diskutiert. Mit Blick auf die Arbeitswelt zeichnet sich gerne das Bild einer faulen jungen Generation. Auch wenn man diesbezüglich durchaus ein Déjà-vu bekommen kann. Denn es ist noch gar nicht so lange her, dass öffentlich provokativ, z. B. im „stern“, gefragt wurde: Sind die Millennials faul? Oder gehen wir noch weiter zurück, als die jungen Menschen der 1960er allesamt als nichtsnutzige Hippies verschrien wurden. Verständnisschwierigkeiten zwischen den Generationen gab es wohl schon immer – muss es wahrscheinlich auch, damit sich die Menschheit weiterentwickeln kann.
Doch wie sieht es nun im Fall der Generation Z aus, die ja faktisch tatsächlich auffällig häufig wegen Krankheit nicht arbeiten kann? Nicht von der Hand zu weisen ist wohl, dass sie als erste „Digital Native“-Generation eine Welt ohne Dauerbeschallung durch Handys, Internet, Social Media und Co. gar nicht kennt.
Hinzu kommen Existenzängste aufgrund der akuten Klimakrise, mit denen frühere Generationen sich allerhöchstens am Rande beschäftigen mussten. Zudem scheinen junge Menschen (zumindest im Durchschnitt) gleichzeitig auch in Sachen Selbstfürsorge und mentale Gesundheit aufgeklärt zu sein wie kaum eine Generation vor ihnen. Verwundert es da, dass ihre Psyche leidet bzw. sich U-30-Jährige ihrer Beschwerden viel stärker bewusst sind? Vielleicht erscheint die hohe Ausfallrate bei der Arbeit vor diesem Hintergrund dann auch gar nicht mehr so irre.
Veränderte Arbeitsbedingungen und hohe Belastung
Ähnlich sieht es auch Sabine Deutscher von der AOK, die folgende Erklärung für die vielen Krankheitstage der Generation Z hat: „Möglicherweise als Folge davon, dass sich für die Generation Z die Lebensrealität elementar verändert hat. Zukunftsängste, Leistungsdruck und eine permanente Erreichbarkeit können zu hohen Belastungen führen und psychische Erkrankungen begünstigen.“
Generation Z ist nicht arbeitsscheu
„Ja, ich gehöre zu dieser ominösen Generation Z und natürlich kann man einen Fall nicht per se auf alles und jeden übertragen. Aber das Thema mentale Gesundheit ist in jedem Fall ein wichtiges in meinem Umfeld. Dazu kommt, dass viele noch recht frisch auf dem Arbeitsmarkt sind und nun, nach mehreren Corona-Jahren, voll in die Erkältungswelle einzählen.
Krankschreibungen haben dementsprechend, zumindest meiner Ansicht und Erfahrung nach, nichts mit Faulheit oder Unlust zu tun. Sogar mein Hausarzt hat im Gespräch erwähnt, dass er momentan viele junge Arbeitnehmer hat, die so kurz wie möglich krankgeschrieben werden wollen, um das personell geschwächte Team nicht im Stich zu lassen. Fakt ist, dass sich Arbeiten und Arbeitswelt verändert haben – da sollte es nicht verwundern, dass es die Arbeitnehmer auch tun.“– Marlene Polywka, Redakteurin
Das können Betriebe tun
„Das Thema ist kein Tabu mehr und die Bereitschaft, über psychische Probleme zu sprechen und sich Unterstützung zu suchen, ist bei jungen Menschen sehr hoch“, erklärt Michael Wenninghoff, Geschäftsführer des BGF-Instituts. Mit anderen Worten: Die Generation Z ist – vielleicht anders als noch Millennials oder Boomer – nicht bereit, bei Krankheit durchzupowern, anstatt sich aufs Gesundwerden zu konzentrieren. Das gilt insbesondere im Fall von psychischen Leiden.
Diesen Faktor sollten Arbeitgeber mitbedenken in ihren Strategien, gute Arbeitskräfte zu finden und dauerhaft zu halten. So lautet der Rat von Wenninghoff auch: „In Zeiten des Fachkräftemangels ist es wichtig, als Arbeitgeber bei jungen Menschen zu punkten, um so Nachwuchskräfte zu gewinnen und diese an das Unternehmen zu binden. Ein Baustein dafür ist ein auf diese Zielgruppe zugeschnittenes Gesundheitsmanagement.“