9. Februar 2024, 16:44 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Die bislang unheilbare Autoimmunkrankheit Multiple Sklerose greift das zentrale Nervensystem an. Auch die Diagnosestellung – wenn auch in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert – gestaltet sich nach wie vor schwierig. Jetzt identifizierten Forscher neue unerwartete Symptome, die Jahre vor dem Ausbruch von MS auftreten und Indikatoren für eine bevorstehende Erkrankung darstellen können. FITBOOK fasst die Erkenntnisse für Sie zusammen.
Man nennt Multiple Sklerose auch „die Krankheit mit den 1000 Gesichtern“, da sie mit einer großen Anzahl verschiedener möglicher Anzeichen und Beschwerden einhergehen kann. Auch wie häufig, in welcher Form und in welcher Schwere Betroffene Krankheitsschübe erleiden, kann von Patient zu Patient sehr unterschiedlich sein. Das macht die Behandlung, besonders aber auch die zuvor bereits definierte Diagnose, herausfordernd. Ein Indikator dafür, dass ein erhöhtes MS-Risiko besteht, ist die familiäre Vorgeschichte. Sind z. B. bereits die Eltern betroffen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass auch das Kind erkranken kann – aber nicht muss. Offenbar gibt es einige – bisher noch nicht mit der Nervenkrankheit in Verbindung gebrachte – Frühwarnzeichen, die darauf hindeuten, dass ein erster Ausbruch von MS bevorsteht. Laut den Verantwortlichen einer neuen Studie können diese bis zu fünf Jahre vor der eigentlichen Erkrankung und Diagnosestellung auftreten.
Übersicht
Das haben die Forscher untersucht
Wissenschaftler der Sorbonne Universität in Paris werteten Gesundheitsdaten von rund 120.000 Personen aus Großbritannien und Frankreich, die im „The Health Improvement Network“ gesammelt worden waren.1 Dabei interessierte sie, welche frühen Symptome mit späteren Krankheitsdiagnosen in Verbindung stehen könnten. Zu diesem Zweck analysierten und verglichen die Forscher die Daten von:
- 20.174 MS-Patienten
- 54.790 Menschen, die nicht an Multiple Sklerose erkrankt waren,
- 30.477 Morbus-Crohn-Betroffene, und
- 7337 Personen, bei denen Lupus diagnostiziert worden war
Die Gesundheitsdaten der Personen mit den genannten Autoimmunerkrankungen glichen die Studienverantwortlichen mit einer medizinischen Checkliste ab. Diese enthielt 113 Krankheiten und Symptome. Die Forscher interessierte, ob die erkrankten Personen in einem Zeitraum von bis zu fünf Jahren vor ihrer Diagnose an dort vermerkten Beschwerden gelitten hatten. Auch die Daten der Kontrollgruppe – also Personen ohne Autoimmunerkrankung – prüften die Wissenschaftler. Hatten sie womöglich ähnliche Symptome und Beschwerden gehabt? Dann hatten sie bei ihnen natürlich offensichtlich nicht mit einer später entwickelten Autoimmunerkrankung in Verbindung gestanden.
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Folgende Frühsymptome wiesen MS-Patienten bereits Jahre zuvor auf
Durch ihre Analyse konnten die Wissenschaftler fünf gesundheitliche Beschwerden bzw. Symptome oder Erkrankungen identifizieren, die mit einer späteren MS-Diagnose im Zusammenhang zu stehen scheinen.
Bei diesen handelt es sich um:
- Depression
- Verstopfung
- Harnweginfektionen
- Sexuelle Störungen
- Blasenentzündungen
Besonders Verstopfung und sexuelle Störungen könnten mit späterer MS-Diagnose in Verbindung stehen
Die rund 20.000 in der Studie berücksichtigten MS-Patienten litten in den fünf Jahren vor ihrer Diagnose mit einer 50 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit an Verstopfung. Mit einer 47 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit erlebten sie sexuelle Störungen, während Harnwegsinfektionen mit einer 38-prozentigen Wahrscheinlichkeit aufgetreten waren. Mit 22 Prozent folgte die Depression als mögliches Frühwarnzeichen für eine spätere MS-Erkrankung und mit 21 Prozent schließlich noch die Blasenentzündungen.
14 Prozent der MS-Patienten hatten fünf Jahre, bevor sie Diagnose Multiple Sklerose erhielten, bereits Antidepressiva verschrieben bekommen. Bei den untersuchten Menschen ohne MS waren es in demselben Zeitraum zehn Prozent. Fünf Jahre nach der MS-Diagnose nahmen 37 Prozent der Betroffenen Antidepressiva. Bei den Personen ohne die Autoimmunerkrankung waren es 19 Prozent.2
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Einordnung der Studienerkenntnisse
Mit den Erkenntnissen aus der aktuellen Datenanalyse hoffen die französischen Forscher, das Verständnis rund um die Entstehung von Multiple Sklerose bzw. Beschwerden, die vor dem ersten Auftreten eines offiziell von Ärzten anerkannten Krankheitsschubs auftreten, zu erweitern.
Allerdings schränken sie auch ein, dass das Auftreten der genannten Symptome nicht immer als Frühwarnzeichen von MS gewertet werden kann. „Natürlich wird nicht jeder, der diese Symptome hat, später an MS erkranken“, betonte Studienautorin Celine Louapre in der Universitätsmitteilung. Dafür seien sie zu unspezifisch, könnten durch diverse Lifestyle-Faktoren bedingt sein oder mit anderen Erkrankungen in Zusammenhang stehen. „Wir hoffen, dass diese frühen Anzeichen uns helfen werden, die biologischen Mechanismen zu verstehen, die im Körper ablaufen, bevor die eigentlichen Symptome der Krankheit auftreten.“