
26. März 2025, 13:16 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Zwar sterben die meisten Männer eher mit einem Prostatakarzinom als daran – dennoch ist die Krebsart, sofern sie früh erkannt wird, gut heilbar. Die Vorsorge beim Urologen bestehe leider häufig nur darin, dass Männern um die 50 einmal auf den Bauch gedrückt werde – damit könne man viel abdecken, aber eben nicht alles, sagt der Onkologe Dr. med. Rainer Lipp. Welches Vorgehen er Männern ab der Lebensmitte empfiehlt.
Prostatakrebs ist mit ca. 26 Prozent die häufigste Krebsart von Männern in Deutschland.1 Weil er üblicherweise langsam wächst, verbessert eine Früherkennung die Heilungsschancen eindeutig. Sie senkt auch die Sterblichkeit an der Erkrankung. Diese Früherkennung gibt es – und sie ist etabliert; genauso wie für Darmkrebs, Brustkrebs und Gebärmutterhalskrebs. Richtig eingesetzt, ist die Früherkennung von Prostatakrebs also ein effektives Instrument, um Männern Lebensqualität im Alter zu verschaffen. In Anspruch nehmen muss die Früherkennung aber jeder Mann selbst. Und da beginnt aus Sicht des Onkologen Dr. med. Rainer Lipp schon das Problem: Er hat beobachtet, dass viele Männer nicht richtig wissen, wie sie das Thema angehen sollen. Was der Facharzt für Onkologie Männern ab 50 in Sachen Prostatakrebsvorsorge rät – und wie es aus seiner Sicht nicht geht, lesen Sie hier.
Übersicht
- Für eine Tastuntersuchung bekommt der untersuchende Arzt 17,85 Euro
- „Die Tastuntersuchung der Prostata ist nicht wirklich tauglich, um ausreichend Sicherheit in der Krebsfrüherkennung zu geben“
- Besser als die Tastuntersuchung: der PSA-Test
- Kehrseite: Gefahr von Überdiagnosen
- Die meisten Männer sterben mit und nicht an einem Prostatakarzinom
- » Operationen oder Bestrahlungen können Inkontinenz und Erektionsstörungen führen
- Diese 2 Fragen sollte sich jeder Mann ab 50 stellen
- Prostatakrebs-Früherkennung: Was sollten Männer jetzt konkret tun, wann und wie oft? Das rät der Onkologe
- Quellen
Für eine Tastuntersuchung bekommt der untersuchende Arzt 17,85 Euro
In Deutschland haben gesetzlich krankenversicherte Männer ab 45 Jahren Anspruch auf eine jährliche Früherkennungsuntersuchung für Prostatakrebs. Diese Leistung wird von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen und umfasst eine Tastuntersuchung, bei der der Arzt die Prostata über den Enddarm auf Verhärtungen oder Auffälligkeiten mit dem Finger abtastet. Neben dieser Tastuntersuchung der Prostata vom Enddarm sollten auch Lymphknoten in der Leiste abgetastet werden.
In der Praxis, so Dr. Rainer Lipp, würden diese Früherkennungsleistungen von den gesetzlichen Krankenkassen aktuell mit 17,85 Euro vergütet. Diese Summe erscheint dem Facharzt für Onkologie in Relation zur Arbeitsleistung nur bedingt wirtschaftlich. Nun kann man fragen: Wie gründlich untersucht ein Arzt für dieses Geld? Verständlicherweise möchte Rainer Lipp keine untersuchenden Ärzte angreifen. Auszuschließen, dass es bei der einen oder anderen Tastuntersuchung bei einem kurzen Drücken auf den Bauch bleibt, kann aber keiner. Für den durchschnittlichen Mann, der auf diese Früherkennungsuntersuchung vertraut, dürfte die Qualität kaum ersichtlich sein.
„Die Tastuntersuchung der Prostata ist nicht wirklich tauglich, um ausreichend Sicherheit in der Krebsfrüherkennung zu geben“
Genauso, wenn nicht sogar noch wichtiger, ist vielleicht die Frage: Ist die rektale Untersuchung überhaupt das geeignetste Instrument für die Früherkennung von Prostatakrebs? In Fachkreisen werde daran zunehmend gezweifelt, sagt Lipp. Er geht noch einen Schritt weiter: „Die Tastuntersuchung der Prostata ist nicht wirklich tauglich, um ausreichend Sicherheit in der Krebsfrüherkennung zu geben.“ Ganz besonders gelte das für jüngere Männer zwischen 45 und 55 Jahren.
Eine Studie aus dem Jahr 2022 unter der Leitung des Deutschen Krebsforschungszentrums zeigt: Gerade einmal bei 0,9 Prozent der Tastuntersuchungen war ein auffälliger Befund nachweisbar. Aber nur bei 5 Prozent dieser auffälligen Befunde konnte Prostatakrebs per Biopsie nachgewiesen werden.2
Besser als die Tastuntersuchung: der PSA-Test
Viel besser als die Tastuntersuchung schnitt hingegen eine andere Methode zur Früherkennung von Prostatakrebs ab: der sogenannte PSA-Test. In der erwähnten Studie glänzte dieser mit einer viermal höheren Nachweisrate für bösartige Tumore als die Tastuntersuchung. Ein weiteres, erschreckendes Resultat der Studie: Von den durch einen PSA-Test aufgespürten Prostatakarzinomen hatten 86 Prozent einen unauffälligen Tastbefund.
Beim PSA-Test wird im Blut das Prostata-spezifische Antigen ermittelt. Mithilfe dieses Eiweißes, das nur in der Prostata produziert wird, lässt sich das Risiko für bösartige Veränderungen auch bereits in sehr frühen Stadien abschätzen. Je höher der Wert, umso wahrscheinlicher ist ein Tumor vorhanden. Dr. Lipp hält viel davon: „Man muss sagen, dass diese PSA-Tests ziemlich sensitiv sind. Die geben gute Hinweise, man fischt damit eine Menge bis dahin nicht bemerkte Prostatakarzinome heraus.“
Unter jedem Dach ein Ach: Denn leider werden PSA-Tests aktuell noch nicht im Rahmen der Früherkennung von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Trotz ausdrücklicher Empfehlung in aktuellen Leitlinien. Die Kosten von 25 bis 35 Euro muss man selbst tragen – „außer, es gibt einen konkreten Verdacht auf Prostatakrebs“, so Lipp.
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Kehrseite: Gefahr von Überdiagnosen
Doch PSA-Tests haben auch eine Kehrseite. Diese, so Lipp, müssten mehr diskutiert werden. „Es gibt etliche Graubereiche, wo der PSA-Wert ein bisschen erhöht ist und man dann manchmal nicht so genau weiß, was der beste, nächste Schritt ist.“
Wie sich in Studien gezeigt habe, könne es in der Folge von leicht erhöhten PSA-Werten zu Überdiagnostik und damit auch zu Übertherapien können. So werde vor allem bei älteren Männern mehr behandelt, als es manchmal nötig wäre, klärt Lipp auf. Die Prostatakarzinom bedingten Todesraten konnten dadurch nicht gesenkt werden.
Eine Analyse von Daten aus den USA bestätige dies. Sie habe ergeben, dass Männer mit begrenzter Lebenserwartung häufig aggressive Therapien wie Bestrahlung erhielten, obwohl ihr Tumor wahrscheinlich zu Lebzeiten keine Probleme verursacht hätte. Unter anderem diese Erkenntnis habe dazu geführt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss die Bestimmung des PSA-Wertes bislang nicht in die Früherkennungsrichtlinien aufgenommen habe, erklärt Lipp.
Die meisten Männer sterben mit und nicht an einem Prostatakarzinom
Deshalb müsse man sorgfältig abwägen und mit dem Arzt diskutieren, ob ein PSA-Test für ihn in der aktuellen Lebenssituation hilfreich sei. „Prostatakarzinome sind langsam wachsende Tumore und überwiegend ein Problem bei älteren Männern“, so Lipp. Obwohl bei vielen durch andere Gründe verstorbenen Männern ein noch nicht entdecktes Prostatakarzinom gefunden wurde, müsse man aber auch sagen, dass 20 bis 25 Prozent der Patienten mit Prostatakrebs an dieser Krankheit versterben.
Das bedeutet: Durch die Untersuchung könnten auch Krebsfälle entdeckt werden, die nie lebensbedrohlich geworden wären, wodurch unnötige Behandlungen mit möglichen Nebenwirkungen erfolgen könnten. Die meisten Männer sterben mit und nicht an einem Prostatakarzinom.
»Operationen oder Bestrahlungen können Inkontinenz und Erektionsstörungen führen
Mit diesem Wissen sollte man auf aggressive Behandlungen blicken, argumentiert der Onkologe. „Operationen, aber auch Bestrahlungen können durchaus spürbare Folgen haben, die die Lebensqualität einschränken, wozu vor allem die Inkontinenz und Erektionsstörungen zu zählen sind. Das muss vor solchen Behandlungen definitiv besprochen werden“, argumentiert Lipp.
Auch die deutsche Krebsgesellschaft argumentiert so. Der Nutzen einer Früherkennung – nämlich Todesfälle durch Prostatakrebs zu verhindern, müsse „sorgfältig gegenüber dem Nachteil einer möglichen Überdiagnose bzw. Übertherapie abgewogen werden“.3
Das Prostatakarzinom deshalb als harmlosen Alterskrebs einzustufen, davor möchte der Facharzt für Onkologie dennoch dringlich warnen: „Es sollte immer ganzheitlich der Patient und die mögliche Therapieoption gesehen werden. Gerade in den letzten Jahren haben sich hier durchaus viele neue nicht operative Ansätze ergeben.“
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Diese 2 Fragen sollte sich jeder Mann ab 50 stellen
Neben der Sinnhaftigkeit von Untersuchungen sollte sich jeder Mann ab 50 folgende Fragen stellen: Habe ich Schwierigkeiten beim Wasserlassen? Ist es mir trotz starken Harndrangs und einer gefüllten Harnblase nicht möglich, zu urinieren? „Wenn Sie eine der Fragen oder beide mit ‚Ja‘ beantworten müssen, gehen Sie bitte zum Urologen und lassen das abklären“, rät Lipp. „Im Rahmen dieser Abklärung ist sicher auch der selbst bezahlte PSA-Test eine gute Investition in die eigene Gesundheit.“

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Prostatakrebs-Früherkennung: Was sollten Männer jetzt konkret tun, wann und wie oft? Das rät der Onkologe
- Männer ab 45 Jahren sollten die jährliche Vorsorgeuntersuchung bei einem Urologen wahrnehmen – bei familiärer Vorbelastung sogar schon früher: Männer, deren Väter oder Brüder ein Prostatakarzinom haben oder hatten, haben ein zweifach erhöhtes Risiko, auch zu erkranken. Eine obere Altersgrenze für diese Untersuchung ist nicht zu empfehlen.
- Ein PSA-Test ist sinnvoll ab 45 Jahren und einer Lebenserwartung von zehn Jahren.
- Nachfolgeuntersuchungen sollten gemäß Leitlinien alters- und ergebnisorientiert umgesetzt werden.
- Bei Männern ab 45 Jahren und einer Lebenserwartung von zehn Jahren und mehr
- PSA < 1 ng/ml: Intervall alle vier Jahre
- • PSA 1-2 ng/ml: Intervall alle zwei Jahre
- • PSA > 2 ng/ml: Intervall jedes Jahr
- Für Männer über 70 Jahre, mit einem PSA-Wert < 1ng/ml, wird eine weitere PSA-gestützte Früherkennung nicht empfohlen.
- Bei Männern ab 45 Jahren und einer Lebenserwartung von zehn Jahren und mehr