11. Dezember 2024, 11:33 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Glaubt man Forschern der Universität Yale, beeinflussen unsere sozialen Kontakte uns weitreichender, als wir annehmen. Freunde und Bekannte können offenbar unser Darmmikrobiom verändern – also die Gesamtheit der in unserem Darm lebenden Bakterien. Und das bleibt nicht ohne Folgen. FITBOOK-Redakteurin Sophie Brünke stellt die Studienergebnisse vor.
Spätestens seit das Sachbuch „Darm mit Charme“ zum Bestseller wurde, weiß wohl jeder, dass der Darm und die dort ansässigen Bakterien einen erheblichen Einfluss auf unseren Gesundheitsstatus haben. Und dass unsere Ernährungsgewohnheiten und Umgebung die Zusammensetzung dieser Bakteriengemeinschaft, im Fachjargon Mikrobiom genannt, wesentlich beeinflussen. Doch hätten Sie gedacht, dass auch Freunde unsere Darmgesundheit verbessern oder verschlechtern können?
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Übersicht
Forscher untersuchten 18 Dörfer in Honduras
Freundschaft endet nicht bei gleichen Hobbys und Vorlieben, sondern reicht bis zu einer gemeinsamen Darmflora. So das Ergebnis einer Studie von Nicholas Christakis, Professor für Sozial- und Naturwissenschaften, und seinem Team. Der Fokus ihrer Forschung lag auf der Beziehung zwischen der Struktur sozialer Netzwerke von Menschen und der Zusammensetzung ihres Darmmikrobioms.1
Für die Studie kartierten die Forscher die sozialen Netzwerke von rund 1800 Erwachsenen, die in 18 isolierten Dörfern in Honduras lebten und Teil einer größeren Kohortenstudie waren. Mittels Fragenkatalog bildeten die Wissenschaftler die sozialen Netzwerke innerhalb jedes Dorfes ab. Insgesamt gab es folgende Beziehungen:
- 410 (Ehe-)Partner
- 303 Väter
- 594 Mütter
- 1059 Geschwister
- 427 Kinder
- 1627 enge Freunde
- 1749 Personen, mit denen man die Freizeit verbringt
- 1902 persönliche oder private Gespräche
Einige dieser Beziehungen überschnitten sich natürlich. Die Forscher identifizierten letztlich 4658 einzigartige soziale Beziehungen.
Von jedem Teilnehmer lagen ihnen außerdem detaillierte Daten zur Zusammensetzung des individuellen Mikrobioms vor. Diese umfassten 2543 mikrobielle Arten und 339.137 verschiedene Bakterienstämme. Zwei Jahre nach der ersten Datenerhebung wurde diese in vier der Dörfer mit 301 Probanden wiederholt.
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Darmflora gibt Hinweise auf Beziehungsstatus
Nachdem sie diese sozialen und biologischen Daten in Beziehung gesetzt hatten, fanden sie heraus, dass Menschen, die durch viele verschiedene Beziehungstypen verbunden sind (auch außerhalb der Familie oder Wohngemeinschaft), Ähnlichkeiten bei der Zusammensetzung ihrer Darmflora aufwiesen. Und zwar stärkere Ähnlichkeiten, als man rechnerisch durch Zufall erwarten würde.
Studien-Co-Autor Francesco Beghini berichtet in einer Mitteilung der Universität: „Wir haben deutliche Hinweise darauf gefunden, dass es zwischen Menschen, die nicht zur Familie gehören und nicht zusammenleben, zu einem Austausch des Mikrobioms kommt, selbst wenn wir andere Faktoren wie Ernährung, Wasserquellen und Medikamente berücksichtigen. Tatsächlich war der Austausch des Mikrobioms der stärkste Prädiktor für die sozialen Beziehungen der Menschen in den von uns untersuchten Dörfern, noch vor Merkmalen wie Wohlstand, Religion oder Bildung.“2
Der Darm dürfte noch mehr Aufmerksamkeit bekommen!
„Im Darm befindet sich ein Großteil unseres Immunsystems, deshalb ist er so bedeutend für unsere Gesundheit. Doch leider bekommt er dafür selten die angemessene Anerkennung und Pflege. Diese muss nicht darin bestehen, teure Probiotika einzunehmen oder – schon gar nicht – die 100. Saftkur zu machen. Es geht viel einfacher. Ein guter Anfang ist mit Ballaststoffen gemacht, z. B. aus Vollkornprodukten. Sie dienen als Nahrung für die „guten“ Darmbakterien. Dann gibt es Lebensmittel, die probiotisch wirken, also förderliche lebende Bakterien enthalten. Das kann ein Naturjoghurt, Kefir oder auch Kombucha sein. Zuletzt seien noch – wie so oft – Obst und Gemüse genannt. Wichtig hierbei: Je bunter, desto besser. Ihr Darm freut sich über eine Portion gemischtes Gemüse oder einen Obstsalat besonders doll.“
Mit wem stehen wir besonders stark im Bakterienaustausch?
Es dürfte nicht verwundern, dass Ehepartner auf dem ersten Platz gelandet sind: Die in ihrem Darm lebenden Bakterien und Pilze stimmen zu 13,9 Prozent überein. Knapp dahinter mit 13,8 Prozent liegen Personen, die im gleichen Haushalt leben. Menschen, die regelmäßig ihre Freizeit miteinander verbringen, kommen auf zehn Prozent und enge Freunde auf 5,9 Prozent. Personen, die im selben Dorf lebten, aber keine Zeit miteinander verbrachten, wiesen nur eine zu vier Prozent ähnliche Darmflora auf. Zwischen verschiedenen Dörfern sank der Wert nochmals auf zwei Prozent.
Weitere Einflussfaktoren
Auch wie oft Menschen Zeit miteinander verbringen, ist entscheidend. Seien es gemeinsame Mahlzeiten oder die Art der Begrüßung, z. B. Händeschütteln, Umarmungen oder Küssen; es war mit einem erhöhten Austausch von Mikroorganismen verbunden.
Dörfer als mikrobielle Nische
Die Studienergebnisse zeigten, dass bestimmte Cluster von Bakterienarten und -stämmen innerhalb von Gruppen in den Dörfern auftraten. Das heißt, soziale Netzwerke stellen Nischen dar, in denen Individuen ähnliche Darmfloren entwickeln.
Co-Autor Jackson Pullman erklärt dies am Beispiel der Studierendengemeinschaft: „Stellen Sie sich vor, wie sich verschiedene soziale Nischen an einem Ort wie Yale bilden. Es gibt Freundesgruppen, die sich auf Dinge wie Theater, Mannschaftssport oder Physik konzentrieren. Unsere Studie zeigt, dass die Menschen, die diese Gruppen bilden, auf eine Art und Weise miteinander verbunden sind, wie wir es bisher nicht vermutet haben, sogar durch ihr Mikrobiom.“
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Sind Übergewicht und Depressionen ansteckend?
Der Darm gilt als Ausgangspunkt von verschiedenen Volkskrankheiten, wie Übergewicht und Diabetes, aber auch psychische Erkrankungen wie Depressionen. Positiv betrachtet, können wir hinsichtlich unserer Darmgesundheit also von Freunden bzw. unserem sozialen Netzwerk profitieren. Voraussetzung ist, dass diese wohl auf sind. Allerdings weisen die Ergebnisse auch darauf hin, dass bestimmte mit dem Mikrobiom verbundene Krankheiten übertragbarer sind als bisher angenommen. Christakis mutmaßt, dass sich „Phänomene wie Adipositas nicht nur durch soziale Ansteckung, sondern auch durch biologische Ansteckung verbreiten könnten“.
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Einordnung der Studie
Zu beachten ist, dass es sich bei den Probanden um Personen in Honduras in einem traditionellen Umfeld mit persönlichen Interaktionen innerhalb einer abgegrenzten Bevölkerung handelte, die sich traditionell ernährt und relativ frei von Antibiotika und anderen Medikamenten ist. Diese Ergebnisse sind also nicht ohne Weiteres auf Menschen in anderen Ländern und anderen Lebensstilen übertragbar. Außerdem geben die Erkenntnisse keine kausalen Zusammenhänge wieder. Ob etwa Übergewicht und andere Erkrankungen wirklich signifikant über Mikrobiota übertragen werden können, muss zukünftige Forschung zeigen.
Zum Schluss sei gesagt, dass Sie sich aufgrund der Studie nicht aus ihrem sozialen Umfeld zurückziehen sollten. Sozialer Kontakt kann ebenfalls nützliche Mikroben übertragen und hat weitere wichtige Funktionen. So ist die Zeit mit Freunden und Familie wichtig für Ihr psychisches Wohlbefinden.