
4. März 2025, 20:14 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Bei Frauen wird Alzheimer fast doppelt so häufig diagnostiziert wie bei Männern – doch warum? Eine umfassende Meta-Analyse, welche die Alzheimer-Proteine bei beiden Geschlechtern betrachtete, könnte entscheidende Hinweise für geschlechtsspezifische Behandlungsansätze in der Alzheimer-Therapie liefern. FITBOOK-Redakteurin Sophie Brünke stellt Ihnen die Studie vor.
Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz und betrifft weltweit Millionen Menschen. Hierzulande sind laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft rund 1,84 Millionen von der neurodegenerativen Erkrankung betroffen – Tendenz steigend1. Wissenschaftler versuchen seit Jahren, die Mechanismen hinter der Krankheitsentstehung besser zu verstehen. Zwei Hauptmerkmale sind Ablagerungen von Beta-Amyloid-Plaques und Tau-Proteinen, welche zu kognitiven Beeinträchtigungen führen. Frühere Forschungsarbeiten konnten bereits Unterschiede zwischen den Geschlechtern hinsichtlich der Tau-Last zeigen: Diese war bei Frauen im Vergleich zu Männern höher.2,3 Bisher war jedoch unbekannt, ob Frauen auch schneller Tau ansammeln als Männer, was erklären könnte, warum sie häufiger von Alzheimer betroffen sind. Eine neue Meta-Analyse, die Daten aus sechs Langzeitstudien auswertete, liefert nun Hinweise.
Übersicht
Was die Wissenschaftler herausfinden wollten
Die Alzheimer-Krankheit betrifft Frauen häufiger als Männer, doch die genauen Gründe sind bislang nicht vollständig geklärt. Ein möglicher Faktor ist die unterschiedliche Ansammlung von Tau-Proteinen – ein charakteristisches Merkmal der Erkrankung. Ziel der neuen Untersuchung war, zu analysieren, ob es bei Frauen schneller zu Ablagerungen von Tau-Proteinen kommt als bei Männern, insbesondere in Verbindung mit hohen Beta-Amyloid-Werten (Aβ).4
Hierfür wurden Daten aus sechs unabhängigen Langzeitstudien genutzt, in denen Tau- und Aβ-Werte mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET) gemessen wurden. Das ist ein bildgebendes Verfahren, welches Stoffwechselvorgänge in Organen aufzeigt. Im Fokus stand die Frage, ob das Geschlecht die Geschwindigkeit der Tau-Ablagerung beeinflusst und ob es eine Wechselwirkung mit dem APOE4-Gen gibt – umgangssprachlich „Alzheimer-Gen“ genannt.
Die Analyse sollte klären, ob Frauen mit hohen Aβ-Werten eine stärkere Tau-Ablagerung in spezifischen Hirnregionen zeigen. Hauptaugenmerk lag auf folgenden Regionen:
- Temporaler Kortex: Schläfenlappen, Teil der Großhirnrinde, der sich seitlich im unteren Teil des Gehirns befindet
- Parietaler Kortex: Scheitellappen, befindet sich im oberen, mittleren Teil des Gehirns
- Okzipitaler Kortex: Hinterhauptslappen, liegt im hintersten Bereich des Gehirns, direkt über dem Kleinhirn
Da Tau-Proteine direkt mit kognitiven Einschränkungen in Zusammenhang stehen, könnte die Studie neue Erkenntnisse über geschlechtsspezifische Unterschiede bei Alzheimer liefern und so für passendere Behandlungsansätze sorgen.
Analyse von sechs Längsschnittstudien
Die Meta-Analyse nutzte Daten von sechs Längsschnittstudien aus der Alzheimer-Forschung:
- Alzheimer’s Disease Neuroimaging Initiative
- Berkeley Aging Cohort Study
- BioFINDER 1
- Harvard Aging Brain Study
- Mayo Clinic Study of Aging
- Wisconsin Registry for Alzheimer Prevention
Diese Studien umfassten insgesamt 1376 kognitiv gesunde Erwachsene, die für durchschnittlich 2,8 Jahre beobachtet wurden. Etwa die Hälfte (55 Prozent) der Teilnehmenden war weiblich. Das Durchschnittsalter beim ersten Tau-Scan betrug 71,9 Jahre.
Alle Teilnehmer unterzogen sich zu Beginn der Studie der zuvor erwähnten PET-Untersuchung zur Messung der Aβ-Werte und mindestens einer weiteren PET-Untersuchung zur Analyse der Tau-Ablagerung. Die Auswertung der Daten erfolgte mittels sogenannter Mischeffektmodelle, um den Einfluss des Geschlechts auf die Tau-Ablagerung zu berechnen. Zusätzlich wurde untersucht, ob das APOE4-Gen die Tau-Ablagerung geschlechtsspezifisch beeinflusst. Die Ergebnisse der sechs Studien wurden mittels einer Meta-Analyse zusammengeführt.
Bei Frauen kam es schneller zu Ablagerungen im Gehirn
Die Analyse ergab, dass Frauen mit hohen Aβ-Werten signifikant schneller Tau-Proteine in mehreren Hirnregionen ablagerten als Männer mit vergleichbaren Aβ-Werten. Besonders betroffen waren der untere Teil des Schläfenlappens (inferiorer Temporallappen), die Spindelwindung (temporaler Fusiform-Gyrus) und der seitliche Bereich des Hinterhauptslappens (laterale Okzipitalregion). Ein weiteres wichtiges Ergebnis war die Wechselwirkung zwischen Geschlecht und dem APOE4-Gen. Frauen, die Träger dieses Gens waren, wiesen ebenfalls eine schnellere Tau-Ablagerung im Schläfenlappen auf.
Diese Ergebnisse zeigen, dass Frauen mit hohen Aβ-Werten ein höheres Risiko für eine beschleunigte Tau-Ablagerung haben – ein potenzieller Schlüsselmechanismus für ihr erhöhtes Alzheimer-Risiko.
Auch interessant: Vergangenes Jahr kam eine Studie zu dem Schluss, dass es einen erheblichen Unterschied macht, ob die Alzheimer-Gene väterlicher- oder mütterlicherseits vererbt werden.
Bedeutung der Ergebnisse
Die Studie liefert neue Erkenntnisse über geschlechtsspezifische Unterschiede in der Entstehung von Alzheimer. Die schnellere Tau-Ablagerung bei Frauen könnte erklären, warum sie häufiger und früher an Alzheimer erkranken als Männer.
Besonders relevant sind diese Ergebnisse für die Entwicklung von Behandlungsstrategien, die an das jeweilige Geschlecht angepasst sind. Aktuell getestete Alzheimer-Therapien, wie Anti-Aβ- und Anti-Tau-Medikamente, sollten möglicherweise früher oder in anderer Form bei Frauen angewendet werden.
Weiterhin unterstreicht die Studie die Bedeutung genetischer Risikofaktoren wie das APOE4-Gen, die bei Frauen eine stärkere Wirkung auf die Tau-Ablagerung zu haben scheinen. Dies könnte neue Ansätze in der Alzheimer-Prävention anstoßen, etwa frühzeitigere Diagnosen oder gezielte Interventionen für Frauen mit genetischer Prädisposition.
Einordnung der Studie und mögliche Einschränkungen
Die Meta-Analyse zeichnet sich durch eine hohe Datenqualität aus, da sie auf sechs großen Längsschnittstudien basiert. Die Nutzung von PET-Scans zur Messung von Tau und Aβ erhöht die Objektivität der Ergebnisse.
Dennoch gibt es Einschränkungen. Zum einen variierten die Rekrutierungskriterien für Probanden zwischen den einzelnen Studien, was die Vergleichbarkeit der Daten beeinflussen könnte. Außerdem mangelte es an einer ethnischer und bildungsbezogener Vielfalt in den einbezogenen Studien. Darüber hinaus – darauf verweisen die Verantwortlichen der Meta-Analyse selbst – sei es möglich, dass eine geschlechtsspezifische Tau-Reaktion auf Amyloid durch unbekannte Variablen wie Menopause, Entzündungen oder ein kardiovaskuläres Risiko hervorgerufen werde.
Nichtsdestotrotz handelt es sich bei der vorliegenden Studie um die größte bisher durchgeführte Tau-PET-Längsschnittstudie. Sie zeigt, dass es bereits in den präklinischen Stadien von Alzheimer Zusammenhänge zwischen dem Geschlecht und Tau gibt.
Im Nächsten Schritt sollten zukünftige Studien untersuchen, wann dieser geschlechtsspezifische Unterschied im Tau-Spiegel im Krankheitsverlauf auftritt.

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Fazit
Die Studie zeigt, dass Frauen mit hohen Aβ-Werten eine schnellere Tau-Ablagerung aufweisen als Männer – ein möglicher Schlüsselmechanismus für ihr erhöhtes Alzheimer-Risiko. Diese Erkenntnisse unterstreichen die Notwendigkeit geschlechtsspezifischer Behandlungsstrategien. Die Entwicklung angepassterer Präventionsmaßnahmen könnte helfen, das Alzheimer-Risiko bei Frauen gezielt zu senken.