20. November 2024, 18:57 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
7,6 Minuten Zeit pro Termin, 9 Millionen Betroffene – dies sind nur zwei bemerkenswerte Zahlen aus dem Bereich der Frauengesundheit. Und um ebendiesen ging es jetzt zwei Tage lang: beim BILD Frauengesundheitsgipfel und beim BILD Tabu-Bru(n)ch. Expertinnen und Betroffene wurden laut, brachen Tabus und rückten Themen wie Endometriose, Brustkrebs, HPV, Fehlgeburten und Menopause in den Fokus. Außerdem: Was es mit dem Gender Health Gap auf sich hat und warum Gesundheitskompetenz so wichtig ist.
Den Anfang der Expertenvorträge machte beim BILD Frauengesundheitsgipfel ausgerechnet ein Mann. Aber es war jemand, der nicht nur weiß, wie wichtig Frauengesundheit ist, sondern auch einen in seinem Berufszweig (noch) eher unkonventionellen Weg gegangen ist, um Frauen in Ruhe und mit Zeit – denn genau daran fehlt es viel zu häufig im Behandlungsalltag – über ihre Gesundheit aufzuklären. 7,6 Minuten haben eine Gynäkologin oder ein Gynäkologe pro Termin Zeit, weiß Dr. Konstantin Wagner, selbst Gynäkologe und Social-Media-Aufklärer. Da dies nicht ausreicht, um aufzuklären, zu beraten, und die notwendigen Untersuchungen durchzuführen, bedient sich der Mediziner Social Media, um Videos zu all den Fragen und Themen zu posten, die im Arztzimmer viel zu kurz kommen.
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„Mir ist das Augenrollen mancher (älterer) Kollegen egal“
Auf Instagram und YouTube klärt Konstantin Wagner als @gynaeko.logisch auf. Seine Themen sind Vorsorge genauso wie die Erklärung von Fachbegriffen aus der Gynäkologie, Krankheiten, der Zyklus, die Menopause, Sex oder Schwangerschaft. Neben den 42 Patientinnen, die er in seiner Praxis täglich sieht, erreicht er so am Tag noch rund 25.000 weitere Frauen. „Da ist mir das Augenrollen mancher (älterer) Kollegen egal“, betont der Social-Media-Aufklärer. Denn ja: Sein Weg, Frauen zu helfen und im Bereich Gesundheit kompetent zu machen, kommt selbst bei seinen Kollegen nicht immer gut an.
Regelschmerzen so stark wie Wehen – ach, das ist Endometriose
Wie wichtig Aufklärung ist, zeigt sich am Beispiel der Endometriose. „Endo-was?“, fragen Sie sich vielleicht? Dann sind sie damit leider nicht allein. Die Krankheit ist nach wie vor vielen noch unbekannt und auch nicht ausreichend erforscht. Und nein, bei ihr handelt es sich – was ja schon schlimm genug wäre – einfach um starke Regelschmerzen. Endometriose zählt zu den am häufigsten vorkommenden Unterleibserkrankungen. Die Symptome der chronisch verlaufenden Erkrankung, bei der schmerzhafte Gewebewucherungen außerhalb der Gebärmutter entstehen und wachsen, sind vielfältig. Der Weg bis zu einer Diagnose ist häufig lang und steinig. Das liegt zum einen daran, dass betroffene Frauen selbst oft von der Erkrankung noch nie gehört haben. Zum anderen wissen auch viele Ärztinnen und Ärzte nicht gut genug Bescheid oder nehmen die Erkrankung nicht ernst.
Nicht ernst genommen werden – wie bei vielen Erkrankungen ist dies auch hier ein Faktor, der den Leidensdruck Betroffener noch erhöht. Wie unglaublich es sich anfühlt, wenn man dem eigenen Leiden endlich einen Namen geben kann und damit die Bestätigung hat, „ich bin nicht verrückt“, weiß BILD-Redakteurin Katharina Render. Sie ist eine Endometriose-Betroffene und erzählte, wie sie bei der Geburt ihres Kindes zum ersten Mal den Namen der Erkrankung hörte. „Die Hebamme sagte zu mir im Kreißsaal, dass meine Wehen schön regelmäßig kämen und ich sah sie erstaunt an und sagte: ‚Das sind Wehen?‘ Daraufhin meinte sie: ‚Ach, Sie haben Endometriose? Dann sind das quasi Ihre normalen Regelschmerzen.‘ Da wurde mir klar, dass ich einfach seitdem ich elf Jahre war, monatlich ‚Wehen‘ hatte.“
„Es ist nicht sexy, alt zu werden“
Worauf sich Endometriose-Patientinnen vielleicht „freuen“ können: ihre Wechseljahre. Denn in dieser Lebensphase bewirken die hormonellen Veränderungen und das Ende der Fruchtbarkeit häufig, dass die Endometriose abklingt. Doch bringt die Menopause ihre ganz eigenen Herausforderungen mit sich. Das fängt damit an, dass viele Frauen völlig unvorbereitet in diese Zeit hineinschlittern, geht damit weiter, dass sie glauben, sie müssten Beschwerden hinnehmen und leise leiden, und endet damit, dass sich das Thema Wechseljahre gesamtgesellschaftlich nach wie vor in der Tabuzone befindet.
Dafür, dass sich dies ändert, machen sich viele Expertinnen und Betroffene stark, u. a. auch Moderatorin und Autorin Katja Burkard. „Als es anfing, hätte ich nie gedacht, dass es sich um die Wechseljahre handelt“, erzählte sie auf dem BILD Frauengesundheitsgipfel. Die Wechseljahre müssten kein schreckliches Schicksal sein, betonten Expertinnen, man könne sie als Chance verstehen. Dafür müssten sie aber endlich zu einem Thema werden, das nicht mehr totgeschwiegen werde. Es müsse über Symptome wie Hitzewallungen Gewichtszunahme und depressive Verstimmungen genauso gesprochen werden wie über Behandlungsoptionen. Es gelte, den Blick der Gesellschaft zu ändern. Denn der laute nach wie vor „es ist nicht sexy, alt zu werden – erst recht nicht als Frau“, so Prof. Andrea Rumler, Leiterin der Studie „MenoSupport“. 9 Millionen Frauen in Deutschland sind in der Menopause – höchste Zeit also den gesellschaftlichen Stellenwert dieser Lebensphase zu ändern.
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BILD Tabu-Bru(n)ch – endlich die Tabus brechen
Wenn es um die Gesundheit von Frauen geht, scheint es vor Tabu-Themen nur so zu wimmeln. Doch hinter all diesen verbergen sich starke Frauen, die als Medizinerinnen und Expertinnen Betroffenen helfen und Aufklärung betreiben sowie Patientinnen, deren Leidensgeschichten die Tränen in die Augen treiben – und zugleich inspirieren.
Egal, ob es um chronische Schmerzerkrankungen wie Migräne und Endometriose geht, um HPV und Gebärmutterhalskrebs oder Kinderwunsch und Fehlgeburt – beim BILD-Tabu-Bru(n)ch ging es einen Tag nach dem Frauengesundheitsgipfel weiter um Aufklärung, gegenseitige Unterstützung und wichtige Botschaften.
Erkrankung kann Ursache sein Welche Mittel bei starken Regelschmerzen helfen – und mögliche Ursachen
Unterleibserkrankung Ursachen, Symptome, Diagnose und Behandlung von Endometriose
Checkliste Die ersten Symptome der Wechseljahre werden oft missinterpretiert
Gender Health Gap und Gesundheitskompetenz
Gender Health Gap und Gesundheitskompetenz – zwei „Schlagworte“, die sich wie rote Fäden durch die Frauengesundheitsveranstaltungen zogen. Sie setzten den Daten, Untersuchungen, Erfahrungen und Krankheitsgeschichten regelrechte Klammern. Denn was überall mitschwang war, dass die Gesundheit der Frauen in der Medizin und Forschung viel zu lange vernachlässigt worden ist. Noch heute werden viele Frauen auf Basis dessen, was in Männerkörpern passiert und hilft, diagnostiziert und behandelt. Was nicht in diese Schablonen passt, bekommt häufig keinen Namen und keine adäquate Therapie. Hier, so die laute Forderung aller Beteiligten, der sich auch Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend anschloss, muss sich viel ändern, und zwar schnell.
Gesundheitskompetenz lautet das zweite Stichwort. Was viele Berichte nämlich auch einte war, wie wichtig es ist, als informierte Patientin zum Arztbesuch zu gehen. Wenn der Arzt oder die Ärztin – ob aus Unwissenheit oder aus Zeitgründen – nicht darauf kommt, dass es vielleicht Symptome einer Endometriose oder der Wechseljahre sein könnten, dann kann es hilfreich sein, als Betroffene selbst die Möglichkeiten ins Spiel bringen und die erste Saat für die Diagnose pflanzen. Dabei, so lautete der Rat von Medizinerinnen und Expertinnen, sich nicht abspeisen lassen, hartnäckig bleiben, Zweitmeinungen einholen und dem eigenen Gefühl vertrauen.