27. Juni 2019, 11:03 Uhr | Lesezeit: 3 Minuten
In den Ferien gehen weniger Menschen zum Blutspenden als sonst, Blut ist also gerade eher knapp. Und auch von den vorhandenen Konserven sind aufgrund der unterschiedlichen Blutgruppen nicht alle für jeden verwendbar. Kanadische Wissenschaftler können die Problematik jetzt etwas entschärfen: indem sie aus der Blutgruppe A die universell-einsetzbare Blutgruppe 0 machen – mithilfe von Darmbakterien.
Vier Jahre suchte eine Forschergruppe der kanadischen University of British Columbia nach einer Möglichkeit, Blut umzuprogrammieren – und wurde fündig. Die Ergebnisse veröffentlichten sie jetzt in „Nature Microbiology“.
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Darmbakterien wandeln das Blut um
Durch den Einsatz von Enzymen aus Darmbakterien gelang es den Wissenschaftlern, die charakteristischen Antigene, die sich bei Menschen der Blutgruppe A auf der Erythrozyten-Oberfläche befinden, zu neutralisieren und sie somit zur Blutgruppe 0 umzuprogrammieren. Bisher waren die Versuche der Forscher an der mangelnden Effizienz der Bakterien gescheitert, doch dieses Problem konnte nun gelöst werden. Laut dem Forscherteam um Dr. Peter Rahfeld überzeugt das Darmbakterium Flavonifractor plautii durch „hohe Aktivität und Spezifität“.
Weshalb ausgerechnet Darmbakterien?
Der (erfolgreiche) Versuch wurde mit Darmbakterien unternommen, weil sich in deren gewohntem Terrain – an der Darmschleimhaut – viele sogenannte Mucine befinden. Das sind Proteine mit Zuckeranlagerungen, die chemisch sehr ähnlich aufgebaut sind wie die Antigene der Blutgruppenantigene A und B. Die Forscher vermuteten, dass das Enzym, mit dessen Hilfe jene Bakterien die Zuckermoleküle an der Darmschleimhaut zerlegen, auch bei den genannten Antigenen funktionieren müsste. Und sie sollten Recht behalten.
Ziel ist es nun, den Prozess in das automatisierte System von Blutabnahme, Verarbeitung und Lagerung zu integrieren und somit zu gewährleisten, dass der Notfall- und Transfusionsmedizin mehr universell einsetzbare Konserven der Blutgruppe 0 zur Verfügung stehen.
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Das sagt der Experte zur neuen Methode
Für Prof. Dr. med. Torsten Tonn, Medizinischer Geschäftsführer DRK-Blutspendedienst Nord-Ost gGmbH, ist es eine sehr interessante Entdeckung. „Leider funktioniert der Verdau der Blutgruppen nur bei Blutgruppen, die auf Zuckermolekülen beruhen“, erklärt Prof. Dr. Tonn auf FITBOOK-Nachfrage. Das sei bei den Hauptblutgruppen A und B der Fall. Allerdings ist 0 mit über 40 Prozent eine bereits sehr häufige Blutgruppe. „Um es in der Versorgung sinnvoll einzusetzen, müsste man unbedingt auch die Rhesusblutgruppe berücksichtigen. Eine Knappheit besteht insbesondere bei ‚0 / Rhesus-negativ‘-Blutgruppen“, berichtet der Experte.
„Das Verfahren konkurriert zudem mit modernen Methoden der genetischen Veränderung von Stammzellen“, wie Prof. Dr. Tonn anmerkt. Bei diesen ist man in der Lage, auch Blutgruppen, die auf Unterschieden in der Proteinstruktur beruhen (dazu zählen Rhesus, Kell, Duffy u.a.), mit sogenannten Genscheren herauszuschneiden und somit Universalblut herstellen zu können, welches mit vielen Blutgruppen kompatibel ist. Allerdings ist diese Art der Züchtung und genetischen Manipulation noch nicht in einem relevanten Maßstab verfügbar, und der jetzt beschriebene Enzymverdau erscheint Prof. Dr. Tonn aktuell praktikabler. Wenn er auch auf die Verwandlung von A in 0 beschränkt ist.
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Eine höhere Bedeutung für das Verfahren sieht Professor Tonn im Zusammenhang mit blutgruppenungleichen Organtransplantationen. Laut seiner Einschätzung sei es denkbar, dass man Spenderorgane (z.B. Nieren oder Herzen) der Blutgruppe A vorbehandelt und für Organempfänger mit der Blutgruppe 0 oder B kompatibel macht. Auch bei Organabstoßungen aufgrund einer Blutgruppe-A-Inkompatibilität wäre es gegebenenfalls denkbar, das Enzym intravenös einzusetzen, um die Abstoßungsreaktion zu mildern. Hierbei seien allerdings viele Fragen hinsichtlich der Verträglichkeit einer derartigen Anwendung der Enzyme am Patienten offen.