30. April 2021, 11:56 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Sie geben sich als Gesundheitsmagazine und Verbraucherportale aus, erfinden Experten- und Kundenmeinungen: Über unseriöse Webseiten werden im Internet fragwürdige Gesundheitsprodukte beworben. FITBOOK hat investigativ recherchiert, wie diese Webseiten vorgehen und wie sich Verbraucher*innen vor ihnen schützen können.
Sie heißen „Gesundheit im Leben“, „Forum der Gesundheit“ oder „krank.de“: Webseiten, die auf den ersten Blick wie professionelle Gesundheitsmagazine wirken, entpuppen sich als betrügerische Fake-Portale, die Nahrungsergänzungsmittel bewerben. Sie preisen Abnehmpillen, Entgiftungskuren und andere Gesundheitsprodukte eines dubiosen Online-Shops namens „Baaboo“ an. FITBOOK hat recherchiert, mit welchen Taktiken Verbraucher*innen zum Kauf von Tabletten, Cremes und Shakes animiert werden, warum es so schwierig ist, gegen diese Seiten vorzugehen, und wie man sich vor Fake-Gesundheitsmagazinen schützt.
Übersicht
- Fake-Gesundheitsmagazine werben für allerlei fragwürdige Nahrungsergänzungsmittel
- Gefälschte Rezensionen, Briefkastenfirmen, erfundene Expertinnen und Experten
- Das verbindende Element zwischen den „Gesundheitsportalen“: ein unseriöser Online-Shop namens Baaboo
- Nahrungsergänzungsmittel „Made in Germany“ – Firmensitz mal auf Malta, mal in Belize
- Warum ist es so schwierig, gegen diese Fake-Gesundheitsmagazine vorzugehen?
- Woran erkenne ich, ob ein Gesundheitsmagazin seriös ist?
Fake-Gesundheitsmagazine werben für allerlei fragwürdige Nahrungsergänzungsmittel
Auf den ersten Blick wirken Webseiten wie „krank.de“ oder „Forum der Gesundheit“ vielleicht wie ernst zu nehmende Gesundheitsmagazine. Umfassend wird hier über Krankheitsbilder und Behandlungsmethoden geschrieben. Doch die Portale veröffentlichen auch unzählige Produkttests: für Diät-Shakes, Abnehmpillen, Potenzmittel.
Sie werben mit Screenshots von Kunden-Rezensionen, deren Echtheit sich nicht überprüfen lässt, und mit Zitaten von angeblichen Ärzt*innen oder Ernährungsberater*innen, deren voller Name nicht genannt wird. Außerdem fallen immer Phrasen wie „wissenschaftlich belegt“ oder „Studien haben gezeigt“, ohne die Verlinkung einer einzigen wissenschaftlichen Quelle. Bei den Autorinnen und Autoren handelt es sich um angeblich bekannte Gesundheits-Journalist*innen. Allerdings findet man sie in keiner einzigen anderen Publikation.
Die „getesteten“ Nahrungsergänzungsmittel versprechen dabei die tollsten Dinge. „Betox Body Restart“ soll etwa gleichzeitig Lunge, Leber, Niere, Haut und Darm entgiften. Dabei besteht es hauptsächlich aus Fett. Als Inhaltsstoffe sind unter anderem Sojaöl, Palmkernöl, Kokosöl, Butterfett und gelbes Wachs gelistet. Exakt die gleichen Inhaltsstoffe enthält ein Mittel, das helfen soll, „Parasitenbefall im Anfangsstadium zu bekämpfen“. Ein anderes Produkt wird als Anti-Herztod-Präparat vorgestellt und könne „als Alternative zur Schulmedizin eingenommen werden“.
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Gefälschte Rezensionen, Briefkastenfirmen, erfundene Expertinnen und Experten
FITBOOK ist auf die Spurensuche gegangen. Wir haben uns gefragt: Was sind das für Webseiten, die sich als Gesundheitsmagazine ausgeben? Wo kommen sie her, und für welche dubiosen Produkte machen sie Werbung?
Insgesamt haben wir knapp zwanzig Internetseiten* gefunden, die alle nach dem gleichen Muster funktionieren. Sie geben sich als Gesundheitsmagazine oder Verbraucherportale mit Gesundheitsfokus aus. Fake-Produkttests, große Versprechen und irreführende Angaben dienen dazu, die immer gleichen Nahrungsergänzungsmittel zu bewerben. Dafür vergleichen die Seiten die beworbenen Produkte entweder mit erfundenen Produkten oder mit Markenprodukten. Am Ende geht als Testsieger immer das No-Name-Produkt hervor. Dessen Kauf wird ausdrücklich mit direkter Verlinkung und Werbeanzeige empfohlen.
*Liste der recherchierten Fake-Portale:
krank.de
doctip.de
gesundheit-im-leben.com
npalliance.org
schlanke-list.de
cakehealth.com
edenext.eu
atrada.de
healthcanal.com
evas-blog.net
bereitschaftspraxen.de
epigenesys.eu
atrada.de
forumdergesundheit.com
branchas.de
medizinisches-zentrum-bonn.de
lpfa-nrw.de
Über Wochen hat FITBOOK versucht herauszufinden, wer hinter diesen Pseudo-Gesundheitsportalen steckt. Doch die Impressen der Magazine führen zu Briefkastenadressen auf den Marshall Islands, den Seychellen und Spanien. In ländliche Gebiete von Simbabwe, in einen Co-Working Space in Dubai oder zu einem Hotel in Berlin. Aber nie zu einem tatsächlich Zuständigen. Unsere E-Mail-Anfragen bleiben unbeantwortet. Von keiner einzigen Person, die auf diesen Seiten in Form eines Autors, Experten oder Verbrauchers auftaucht, lässt sich die Identität beweisen. Sie existieren schlicht nicht.
Das verbindende Element zwischen den „Gesundheitsportalen“: ein unseriöser Online-Shop namens Baaboo
Doch ein Muster gibt es bei den Fake-Gesundheitsmagazinen: Die Verlinkungen und die Werbeanzeigen auf den Seiten führen alle zum selben Online-Shop namens Baaboo. Das Unternehmen mit Sitz in Estland verkauft neben Nahrungsergänzungsmitteln auch Putzmittel, FFP-2-Masken und Hula-Hoop-Reifen. Es gibt keine Telefonnummer, keine E-Mail-Adresse für Presseanfragen. Nur über Umwege schaffen wir es schließlich, Kontakt aufzunehmen. Uns wird ein Telefon-Interview mit dem angeblichen Marketing-Manager von Baaboo angeboten.
Zur abgemachten Uhrzeit wird unsere Autorin aus Dubai angerufen. Der Mitarbeiter, dessen Identität sich im Nachhinein nicht bestätigen lässt, wird im Anschluss an das Gespräch nie wieder erreichbar sein. Auf die Gesundheitsportale angesprochen, erklärt er, dass es sich um Affiliate-Partnerschaften handle. Baaboo hätte keinen Einfluss darauf, inwieweit die einzelnen Seiten ihre Produkte bewerben. Weitere Fragen zu Nahrungsergänzungsmitteln blockt er ab.
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Nahrungsergänzungsmittel „Made in Germany“ – Firmensitz mal auf Malta, mal in Belize
Die Nahrungsergänzungsmittel und Gesundheitsprodukte, die Baaboo vertreibt und für die die gefakten Gesundheitsportale werben, stammen von einem Unternehmen namens „Good Living Products“. Der Baaboo-Mitarbeiter bestätigt im Telefonat, das Unternehmen sei ihr Hauptpartner im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel. Wir versuchen mehr über den Hersteller herauszufinden –immerhin werden die Produkte als „Made in Germany“ beworben. Doch auch hier eine Sackgasse. Obwohl die Produkte angeblich in Deutschland hergestellt werden, liegt der angegebene Firmensitz von „Good Living Products“ mal auf Malta, mal in Belize.
Beide Anschriften entpuppen sich als Briefkastenadressen. Die Website von „Good Living Products“ ist unvollständig, die Email-Adresse funktioniert nicht. Ein über Baaboo angefragtes Interview lehnt das Unternehmen ab. Außerdem finden wir auf einem Verbraucherportal die Beschwerde eines Kunden, der angibt, das von ihm gekaufte Produkt von „Good Living Products“ sei ihm in einer neu etikettierten Verpackung zugeschickt worden. Daraufhin habe er das identische Produkt mit anderem Etikett bei dem chinesischen Online-Händler Alibaba zu einem günstigeren Preis gefunden.
Wir können bis zum Ende unserer Recherche nicht herausfinden, wo die Nahrungsergänzungsmittel von „Good Living Products“ wirklich hergestellt werden, ob das Unternehmen überhaupt existiert oder ebenfalls nur Fake ist. Wir können nur festhalten, was wir nach unseren Recherchen wissen: dass die über den Online-Shop Baaboo verkauften Produkte zweifelhafter Herkunft sind und ein dichtes Netz an Fake-Gesundheitsmagazinen diese Produkte bewirbt. Fake-Rezensionen sollen Verbraucherinnen und Verbraucher locken. Unklar bleibt, wer diese Magazine bespielt und betreibt.
Warum ist es so schwierig, gegen diese Fake-Gesundheitsmagazine vorzugehen?
Die schwierige Rückverfolgbarkeit ist laut Martin Bolm, Syndikusrechtsanwalt der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, das Problem. Denn die Kontaktangaben in den Impressen führen ins Leere, die Website-Betreiber verschleiern ihre Identität außerdem durch Anonymisierungsdienste, sodass sich nicht herausfinden lässt, wer hinter den einzelnen Domains steckt. Aus juristischer Sicht lässt sich gegen derartige Portale aber nur vorgehen, wenn man einen greifbaren Ansprechpartner hat.
Inhaltlich, so stimmt Bolm mit der FITBOOK-Recherche überein, seien die selbst ernannten Gesundheitsportale wahrscheinlich in mehreren Punkten angreifbar. So bestünde der Verdacht auf Schleichwerbung und eventuell Verstöße gegen das Heilmittelwerbegesetz oder das Lebensmittelrecht. Auch sei es nicht zulässig, Artikel, in denen bestimmte Produkte beschrieben werden, als Warentest zu deklarieren, wenn nicht objektiv nach vorher festgelegten Kriterien getestet würde, erklärt Bolm.
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Woran erkenne ich, ob ein Gesundheitsmagazin seriös ist?
Wer sich in Gesundheitsfragen auf unseriöse Webseiten verlässt, ist nicht gut beraten. Wer will schon Nahrungsergänzungsmittel nehmen, die im Zweifel der eigenen Gesundheit schaden, anstatt sie zu verbessern? Ob ein Gesundheitsmagazin seriöse Informationen weitergibt oder es sich dabei um eine unsichere Quelle handelt, lässt sich nicht immer sofort erkennen. Doch es gibt immer bestimmte Indizien dafür, dass eine Seite vertrauenswürdig ist oder nicht, erklärt Dr. Britta Schautz von der Verbraucherzentrale Berlin.
Was steht im Impressum?
Im Impressum muss stehen, wer Urheber oder Verantwortlicher für die Inhalte der Website ist. Denn fehlende, falsche und unvollständige Informationen im Impressum gelten als Ordnungswidrigkeit, erklärt das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz auf FITBOOK-Anfrage. Seriöse Gesundheitsportale nennen Name und Anschrift, geben Kontaktangaben wie E-Mail-Adresse oder Telefonnummer an. Gegebenenfalls werden die Rechtsform und Vertretungsberechtigte, die zuständige Aufsichtsbehörde und Registernummer genannt. Ein kurzer Google-Check kann dabei helfen herauszufinden, ob die Verantwortlichen und die Adresse existieren.
Sind die Expert*innen echt?
Medizinische oder ernährungswissenschaftliche Expert*innen sollten grundsätzlich mit Nachnamen und Funktion zitiert werden. Denn wer eine Koryphäe auf einem bestimmten Gebiet ist, wird vermutlich auch in anderen Fachzeitschriften zitiert, hat selbst Berichte oder Studien herausgebracht, verfügt über eine eigene Website oder wird auf der Website einer Forschungseinrichtung genannt. Ist dies nicht der Fall, ist Vorsicht geboten.
Gibt es Belege?
Werden das Produkt oder dessen Inhaltsstoffe als „nachweislich“ wirksam angepriesen? Dann sollte das durch dementsprechende Studien wissenschaftlich belegt sein. Liegen diese Studien allerdings nicht vor, wurde die versprochene Wirksamkeit von dem Magazin nicht belegt. Verbraucher*innen sollten immer vorsichtig sein, wenn Produkte unglaublich viel Gutes bewerben. „Lebensmittel bieten keinen Schutz vor Krankheiten und können keine Wunder bewirken“, warnt Schautz. Wer sich nicht sicher ist, ob ein bestimmtes Präparat überhaupt gesundheitsfördernd ist, kann sich bei „Klartext Nahrungsergänzung“ informieren. Die Website der Verbraucherzentralen wird durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gefördert. Sie klärt umfassend über Vorteile und Gefahren einzelner Inhaltsstoffe auf.
Bewirbt die Seite spezifische Produkte?
„Wenn Testportale auf Shops verlinken, sollte man immer vorsichtig sein. Denn das spricht nicht für unabhängige Beurteilung“, sagt Schautz. Denn seriöse Testportale prüfen und bewerten Produkte zwar, eine Kaufempfehlung wird aber nicht gegeben. Spricht eine Website also eine direkte Kaufempfehlung aus und verlinkt dazu auch noch auf einen Online-Shop, ist sie wahrscheinlich Teil eines Affiliate-Programms. Klickt jemand auf den Link und kauft ein Produkt bei dem beworbenen Shop, erhält die Website eine Bezahlung. So etwas muss als Werbung kenntlich gemacht werden.
Hatten Sie bereits negative Erfahrungen mit einer der genannten Websites? Dann schreiben Sie uns an: redaktion@fitbook.de.