17. Dezember 2020, 20:03 Uhr | Lesezeit: 3 Minuten
Einsamkeit gilt gemeinhin nicht als erstrebenswerter Zustand. Die Wissenschaft assoziiert damit verschiedenen negativen Entwicklungen auf die geistige Gesundheit. Umso überraschender, was aktuell eine internationale Forschergruppe herausgefunden hat: Offenbar fördert Einsamkeit die Ausbildung bestimmter Hirnstrukturen.
Bei Menschen, die sich selbst als einsam bezeichnen, ist die graue Hinsubstanz besser ausgeprägt als bei solchen, die sich nicht isoliert fühlen. So lautet das Ergebnis einer aktuellen wissenschaftlichen Untersuchung. Die graue Hirnsubstanz ist ein wesentlicher Bestandteil des Zentralnervensystems, sie steht vor allem mit Intelligenz und Wahrnehmungsfähigkeit in Verbindung. Ein überraschend positiver Einfluss also. Bisher hatten Studien eher negative Auswirkungen von Einsamkeit auf das Gehirn festgestellt.
Einsamkeit beeinflusst Entwicklung des Gehirns
Es war ein großes, internationales Team von Forschern aus u. a. Kanada, den USA, Großbritannien und den Niederlanden, welches den Einfluss von Einsamkeit auf das Gehirn erneut und aus einem anderen Blickwinkel untersucht hat. Die Hypothese, auf die sie ihre Untersuchung aufbauten: dass das sogenannte Standardnetzwerk im Gehirn, welches an der Gedächtnisleistung und sozialer Wahrnehmung beteiligt ist, im Zustand von Einsamkeit aktiv ist. Und wie sich zeigte, hatte es sich dadurch tatsächlich verändert.
Dem Team lagen Daten aus der UK Biobank (= Datenbank mit Gesundheitsinformationen von mehr als 500.000 Bürgern Großbritanniens) vor. Rund 40.000 davon, bezogen von Probanden im Alter zwischen 40 und 69, berücksichtigten die Forscher in ihrer Analyse. Sie hatten MRT-Hirnscans der Probanden, die sich selbst als einsam beschrieben hatten, mit den Aufnahmen derjenigen verglichen, die nach eigener Aussage nicht einsam waren.
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Einsamkeit dennoch nicht gesund für das Gehirn
Alle Details zur Studie sind im Fachblatt „Nature Communications“ nachzulesen. Die Ergebnisse sind jedoch mit Vorsicht zu deuten. Es sind nur bestimmte Hirnareale, die von Einsamkeit profitieren sollen. Andere hingegen sind in diesem Zustand inaktiv. Je länger er anhält, desto schädlicher – nicht genutzte Hirnareale können auf Dauer verkümmern, wissen Hirnforscher.
An dieser Stelle sollte man an frühere Studien erinnern, die mitunter schwerwiegende negative Folgen von Einsamkeit auf die Gesundheit belegen. Darunter eine Analyse zahlreicher Beobachtungsstudien aus dem Jahr 2015. Demnach sind einsame Erwachsene messbar gefährdeter, im Alter an Demenz zu erkranken. Vier Jahre später zeigte eine im Fachblatt „PLOS One“ veröffentlichte Untersuchung auf, dass Alleinlebende 1,5- bis 2,5-mal häufiger an Depressionen oder Angst- bzw. Zwangsstörungen leiden.
Umgekehrt weiß man inzwischen, wie gesundheitsförderlich soziale Kontakte sein können. Neben einer gesunden Ernährung und generellen Lebensführung spielen Freundschaften und der Kontakt zu Familie und Bekannten eine wichtige Rolle für die Langlebigkeit. Diese – und weitere – Erkenntnisse hat man durch Forschung in den sogenannten „Blue Zones“ erlangt – Gegenden auf der ganzen Welt, in denen ungewöhnlich viele Menschen besonders alt werden.