6. Juni 2022, 8:37 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
500 Millionen Rezepte für verschreibungspflichtige Medikamente bekommen die Bundesbürger jedes Jahr auf Papier. Im Digitalzeitalter wirkt das ziemlich antiquiert. Mit dem E-Rezept soll die Zettelwirtschaft eingedämmt werden. Wir erklären, was genau sich ab Herbst in Sachen Rezept ändern soll.
Kommt nun ab Herbst endlich das E-Rezept? Um die schleppende Einführung zu beschleunigen, setzt die halbstaatliche Firma Gematik auf etwas mehr Verbindlichkeit. Nach einem einstimmigen Beschluss ihrer Gesellschafter – neben dem Bundesgesundheitsministerium auch Kassen-, Ärzte- und Klinikorganisationen – stellte das Unternehmen nun ein regionales Stufenmodell vor.
Übersicht
Pilotverfahren ab September
In Westfalen-Lippe und in Schleswig-Holstein sollen ab 1. September Pilotverfahren starten, bei denen Schritt für Schritt immer mehr Praxen und Kliniken mitmachen und schließlich eine flächendeckende Nutzung erreicht werden soll.
Ursprünglich sollte das E-Rezept schon im Januar 2022 bundesweit zur Pflicht werden. Das hat nicht geklappt (FITBOOK berichtete). Dennoch ist der aktuelle Beschluss ein Schritt nach vorn. Denn es wird deutlich, dass Ärzte und Krankenhäuser allmählich in die Puschen kommen sollten.
Rezept als Code auf dem Smartphone
Wenn das E-Rezept ab Herbst stufenweise eingeführt wird, bekommen gesetzlich Versicherte kein rosa Zettelchen mehr, sondern einen Code auf ihr Smartphone, mit dem sie das gewünschte Medikament von der Apotheke erhalten. Wer die dafür nötige App nicht hat oder kein Smartphone benutzt, bekommt den Code ausgedruckt auf einem Zettel.
An dem dreimonatigen Pilotverfahren in den beiden Regionen müssen die Ärzte und Klinken zwar nicht unbedingt teilnehmen. Sollten die Gematik-Gesellschafter die regionale Einführung aber als Erfolg werten, würde die Nutzung von E-Rezepten ab Dezember verbindlich vorgeschrieben – eine Blockadehaltung könnte sich dann also rächen.
Warum das bisherige Schneckentempo?
Das papierlose Rezept ist ein Mammutvorhaben bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Lange Zeit ging es – wenn überhaupt – im Schneckentempo voran. Eine Testphase in Berlin-Brandenburg im vergangenen Jahr war ein Flop. Der Start einer bundesweiten Testphase, an der Praxen freiwillig mitmachen können, verzögerte sich und lief danach schleppend nur an. Aus der Ärzteschaft kam scharfe Kritik an dem Vorhaben, sie fürchtete Umsetzungsprobleme im Alltag. Auch unter den Krankenkassen und Apothekern gab es Vorbehalte. Zudem mangelte es zeitweise an Software-Updates. Im Dezember wurde der für den Jahreswechsel vorgesehene Pflichtstart abgeblasen.
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Bisher nur wenige E-Rezepte eingelöst
In der bislang laufenden bundesweiten Erprobungsphase wurden in sechs Monaten nur gut 24.000 E-Rezepte eingelöst. Gemessen an den jährlich etwa 500 Millionen Rezepten, die in Deutschland auf Papier ausgestellt werden, ist das ein verschwindend geringer Anteil. Immerhin zeigt die Kurve der Digitalverschreibungen nach oben. Die nun beschlossenen Vorgaben sollen zu mehr Tempo führen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) pries das E-Rezept am Mittwoch als „Gewinn für Patienten, Ärzte und Apotheker“ an. Es steigere die Arzneimittelsicherheit und erspare Zeit und Wege. „Das E-Rezept wird sich in der Praxis bewähren und dann schnell bundesweit Anwendung finden“, erklärte der Minister. „Es ist der Beginn der überfälligen digitalen Revolution in unserem Gesundheitssystem.“
Großteil der Apotheken ist bereit
Der Gematik-Beschluss betrifft auch die Apotheken. Für sie gilt ab dem 1. September die bundesweite Pflicht, die Digitalverschreibung anzunehmen. Ein Großteil der Apotheken ist ohnehin schon bereit. Der Deutsche Apothekerverband begrüßte die Vorgaben der Gematik. „Wir stellen uns der digitalen Transformation und sind für die konsequente Einführung des E-Rezeptes“, sagte der Verbandsvorsitzende Thomas Dittrich. „In den kommenden drei Monaten werden die Apotheken nun auch ihr Personal vollständig schulen, damit Hardware, Software und deren fachgerechte Bedienung reibungslos ineinandergreifen können.“
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Aber auch noch Skepsis bei Ärzten und Apotheken
Sorge haben die Apotheken vor „Retaxationen“: Dass sie ein Medikament aushändigen, für das E-Rezept später von den Kassen aber nicht das erwartete Geld bekommen. So ein Fall ist der Gematik bei den bisher eingelösten Digitalverschreibungen allerdings nicht bekannt.
Unter Ärzten ist die Skepsis groß. Sie fürchten Alltagsprobleme, sollte es mit der Technik hapern. Immerhin: Auch wenn es mit den E-Rezepten ab Herbst losgehen soll, für die Praxen wurde kein Pflichttermin beschlossen. Das registrierte der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, mit Erleichterung. Er stellte infrage, ob so eine Pflicht nötig ist. „Wenn die Anwendung funktioniert und einen Mehrwert für die Patientinnen und Patienten und die Ärztinnen und Ärzte bietet, wird sich das E-Rezept von ganz allein durchsetzen“, sagte er. „Ein Zwang zur Nutzung würde den Eindruck erwecken, dass die Verantwortlichen selbst von dem Mehrwert der Anwendung nicht restlos überzeugt sind.“
Mit Material von dpa