29. Oktober 2024, 10:51 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Obwohl Honig seit Jahrhunderten für seine antibakterielle Wirkung geschätzt wird, spielt er in der modernen Medizin keine Rolle. Das gilt auch für Weidenrinde und Kurkuma, die den massenhaften Konsum gefährlicher Antirheumatika drosseln könnten. Der Internist und Experte für Naturheilverfahren Dr. med. Rainer Stange fordert im Gespräch mit FITBOOK mehr Geld für die Erforschung pflanzlicher Wirkstoffe – extrem viele Patienten könnten davon profitieren.
Dr. med. Rainer Stange ist Internist und Experte für Naturheilverfahren und physikalische Therapie. Von 2003 bis 2009 war er Chefarzt und von 2009 bis 2016 leitender Arzt der Abteilung für Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin und Charité – Universitätsmedizin Berlin. Heute ist er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Seine Arbeit konzentriert sich hauptsächlich auf die Integration natürlicher Heilmethoden in konventionellen medizinischen Ansätzen. Im Gespräch mit FITBOOK macht er deutlich, wie sehr es noch immer an belastbarer Forschung für pflanzliche Heilmittel mangelt – obwohl es extrem vielversprechende Studien gibt und mögliche Einsatzgebiete nicht fehlen, Stichwort: Volkskrankheiten wie Typ-2-Diabetes und Arthrose. Das Gespräch fand im Anschluss an den „Health, Wellness & Honey-Brunch“ von FITBOOK und STYLEBOOK statt.
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FITBOOK: Beim „Health, Wellness & Honey Brunch“ stand der Honig mit seiner potenziellen gesundheitlichen Wirkung im Zentrum. Wie spannend finden Sie das Lebensmittel aus medizinischer Sicht – und wie gesichert sind diese Erkenntnisse?
„Honig ist eine Mischung aus vielen, biologisch interessanten Stoffen. Selbst, wenn ich den Gehalt für jedes Molekül aufs Mikrogramm genau wüsste, könnte ich nicht daraus schließen, was er auf einer Wunde oder im Nasen-Rachen-Bereich wirklich macht. Das muss man durch klinische Forschung herausfinden. Für mich ist die Grundlagenforschung zum Honig derzeit insbesondere noch nicht so weit, dass man einen bestimmten Honig für Infekte oder die Wundheilung als bestgeeignet empfehlen kann.“
»Honig hat seine Stärke da, wo Bakterien, Viren und Pilze sind
Wo hat Honig aus Ihrer Sicht seine Stärken?
„Der Honig hat seine Stärke da, wo auch Keime vorhanden sind, also vor allem Bakterien – aber auch Viren und eventuell sogar Pilze. Deshalb hatten wir so viel über Wundheilung und Atemwegsinfekte gesprochen. Da hat Honig seine Berechtigung. Ich bin sicher: Wenn man die klinische Forschung zum Honig ausbaut und konsequent betreibt, wird man noch einige weitere Effekte entdecken.“
Studien zu Honig und Wundheilung: Warum Manuka-Honig nicht zwingend besser wirkt als alle anderen Sorten
Immerhin ein paar gute Studien zur Wundheilung gibt es. Darunter auch welche, in denen der aus Neuseeland stammende Manuka-Honig untersucht wurde, dem manche eine besondere Wirkung zuschreiben. Spielt die Honigsorte überhaupt eine Rolle für die medizinische Wirkung – oder kann unserer heimischer Blütenhonig das auch?
„Es gibt mindestens acht Studien zu Honig und Wundheilung. Drei davon wurden mit Manuka-Honig gemacht, die anderen fünf mit verschiedenen Honigarten. Man kann diese drei gegen fünf aber nicht direkt vergleichen. Es kann sein, dass die drei Studien mit dem Manuka-Honig etwas besser abschneiden. Das hat aber bislang keiner durchgerechnet. Was wir viel mehr bräuchten, sind viele Studien, die den vielfältigen Situationen gerecht werden. Wunden unterscheiden sich wie Tag und Nacht: Es gibt chronische Wunden, akute Wunden, Wunden bei Gesunden, zum Beispiel nach Operationen, Wunden bei chronisch Kranken … es ist ein sehr weites, aber auch sehr wichtiges Feld.“
„Wir brauchen gute Studien dazu. Das kostet Geld“
Stimmt. Gerade, wenn man an die steigende Zahl an Typ-2-Diabetikern denkt, von denen viele sehr unter schlecht heilenden Wunden leiden …
„Durch die alternde Bevölkerung, das Übergewicht und die schlechte Ernährung haben wir eine Großzahl an Typ-2-Diabetikern. Die bekommen auf Dauer Probleme mit Wunden an den Füßen und Unterschenkeln. Wenn da eine Wunde entsteht, heilt die nicht mehr oder nur schlecht ab. Da müssen wir etwas zur Wundheilungsförderung tun und das können wir mit Honig. Aber: Wir brauchen gute Studien dazu. Und wir brauchen Einrichtungen, die sich damit beschäftigen. Das kostet Geld.“
Woher soll das Geld kommen?
„Das müsste im Wesentlichen öffentliches Geld sein. Ob das vom Gesundheitsminister kommt, von den Ländern, irgendeiner Arbeitsgemeinschaft oder von Stiftungen ist erst einmal egal. In der Präventionsforschung hat es beispielsweise mehr als zehn Jahre gedauert und sehr viel Mühe gekostet, bis der Präventionstopf da war, in den auch die gesetzlichen Krankenkassen einzahlen. So etwas könnte ich mir vor allem für solche pflanzlichen Heilmittel vorstellen, für die der Entwickler und Hersteller seine Entwicklungskosten eben nicht durch einen Patentschutz wieder einspielen kann.“
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»Die gesetzlichen Krankenkassen haben im Augenblick andere Sorgen als Wundheilungsförderung mit Honig
Fühlen Sie sich von den gesetzlichen Krankenkassen im Stich gelassen?
„Vor zehn, 15 Jahren hatten wir im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen viele Freunde und auch einige Projekte gemeinsam gemacht. Aber die haben im Augenblick ganz andere Sorgen.“
Kostensteigerung, Personalmangel, Finanzierungslücken … wer kommt als Geldgeber für die Erforschung pflanzlicher Wirkstoffe noch infrage?
„In vielen Ländern läuft eine Mischung aus öffentlichen und privaten Geldern sehr gut. Gerade im akademischen Bereich. Wir haben uns in Deutschland daran gewöhnt – und das war früher nahezu undenkbar –, dass wir Privatuniversitäten haben und Stiftungen sehr stark ins Forschungsgeschehen eingreifen. Für mich ist das eine sehr positive Entwicklung. Ich will keineswegs alles von der öffentlichen Hand fordern. Das geht nicht mehr. Es gibt aber sehr viel privates Geld und es gibt auch sehr viel privates Interesse. Beispielsweise geben aufgrund einer persönlichen Betroffenheit wohlhabende Bürger gelegentlich Geld an Stiftungen, womit nur bestimmte Krankheiten erforscht werden sollen. Das darf natürlich nicht das alleinige Modell sein. Ich will nur sagen: Privates Geld ist da. Man könnte gut zusammenarbeiten.“
Einblicke Naturheilkunde und Honig – so war der „Health, Wellness & Honey Brunch“ von FITBOOK
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»Bei chronischen Schmerzen könnten wir den Gebrauch von Antirheumatika durch pflanzliche Heilmittel wie Weidenrinde und Kurkuma stark reduzieren
Um potenzielle Geldgeber zu überzeugen: Bei welchen sehr verbreiteten Erkrankungen ist es aus Ihrer Sicht noch extrem sinnvoll, stärker auf pflanzliche Wirkstoffe als ausschließlich auf Medikamente der Schulmedizin zu setzen?
„Sehr wichtig finde ich den Bereich chronischer Schmerzen, insbesondere aus dem Bewegungsapparat wie Arthrosen. Dass wir hier durch pflanzliche Heilmittel den Gebrauch von sogenannten Antirheumatika (Schmerzmittel, Anm. d. Red.) reduzieren können, muss man im Einzelfall natürlich nachweisen. Da gibt es einige hoffnungsvolle Kandidaten.“
Zum Beispiel?
„Zum Beispiel die Weidenrinde. Neuerdings aus den östlichen Medizinen auch die Gelbwurz, also Kurkuma.
Weidenrinde wurde früher aufgrund ihrer fiebersenkenden und schmerzlindernden Wirkung als Naturheilmittel verwendet. Wissenschaftler fanden später den dafür zuständigen Wirkstoff Salicin – grob gesagt war Salicin der Wegbereiter der Acetylsalicylsäure und damit von Aspirin, dem bekannten Schmerzmittel.
Kurkuma (auch Gelbwurz) soll unter anderem entzündungshemmende Eigenschaften haben. Die bisherige Studienlage ist nicht klar. 2023 kam eine Meta-Analyse zu dem Schluss, dass Kurkuma die Leber von Tuberkulose-Patienten, die Medikamente einnehmen müssen, welche die Leber schädigen können, in bestimmten Fällen sogar vor Schäden schützen könnte. Eine andere Studie aus dem Jahr 2024 warnt hingegen vor möglichen Risiken durch die Einnahme von Kurkuma-Kapseln. Auch hier geht es um die Entwicklung von Schäden an der Leber.
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Werden wir durch Forschung in diesem Bereich womöglich zukünftig ganz auf Medikamente mit entzündungshemmender und schmerzlindernder Wirkung verzichten können bei diesen Patienten?
„Verzichten können, wird man nicht. Aber aufgrund der immer noch sehr hohen Rate an schweren Unverträglichkeitsreaktionen bis hin zu Todesfällen, muss man den Konsum von Antirheumatika reduzieren. Wenn wir den Konsum um 20 oder 30 Prozent reduzieren könnten, wäre das schon ein sehr sinnvolles Ziel.“