17. März 2025, 12:42 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Lange Zeit galt vor allem das Alter der Frau als entscheidender Faktor für die Gesundheit des Babys. Doch mehrere Studien zeigen: Auch das Alter des Vaters spielt eine bedeutende Rolle. Und das ist brisant – denn immer mehr Männer werden erst spät im Leben Vater. Welche Risiken das birgt, lesen Sie hier.
Bei Frauen bestimmt die biologische Uhr, bis wann sie Mütter werden können – bereits ab 35 Jahren spricht man von einer Risikoschwangerschaft, ab 45 Jahren bleibt ein Kinderwunsch in den meisten Fällen leider unerfüllt. So stand in vergangenen Forschungsarbeiten vorwiegend das Alter der Frau im Fokus, wenn es um die Gesundheit des Säuglings ging. Doch scheint es auch eine Rolle zu spielen, wenn Männer spät Vater werden – laut drei Studien aus den USA erhöht es das gesundheitliche Risiko der Kinder deutlich.
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Übersicht
Hohe Anzahl an Mutationen bei Vätern können genetische Erkrankungen bei Kindern hervorrufen
Ziel einer kürzlich im Fachjournal „Nature“ veröffentichten Studie war, die Mutationsrate in der männlichen Keimbahn individuell zu messen und zu verstehen, wie sie sich über Jahrzehnte verändert. Frühere Forschungen zeigten, dass etwa 80 Prozent aller De-novo-Mutationen in der väterlichen Keimbahn entstehen und dass die Anzahl dieser Mutationen mit zunehmendem Alter des Vaters steigt.1,2 Diese Mutationen können das Risiko für genetische Erkrankungen bei Nachkommen erhöhen, darunter Entwicklungsstörungen wie Autismus oder das Marfan-Syndrom.
Eine De-novo-Mutation ist jede Mutation oder Veränderung im Genom eines einzelnen Organismus, die nicht von den Eltern geerbt wurde.3
Analyse von Spermaproben
Die Forscher rekrutierten 23 ehemalige Samenspender, deren erste Spermaprobe mindestens zehn Jahre alt war.4 Die Zeitspanne zwischen der ersten (T1) und der zweiten (T2) Probe betrug im Median 15,9 Jahre. Das Durchschnittsalter der Männer bei T1 lag bei 27,3 Jahren, bei T2 bei 42,7 Jahren.
Die Mutationen wurden mithilfe einer Hochpräzisionsmethode analysiert. Die Forscher sequenzierten sowohl die alten als auch die neuen Spermienproben sowie Blut- oder Speichelproben der Teilnehmer. Insgesamt wurden 8.063 Gigabasen DNA analysiert, um eine möglichst exakte Bestimmung der Mutationsraten zu ermöglichen.
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Verdoppelung der Mutationslast innerhalb von 21 Jahren
Die Studie bestätigte, dass die Anzahl der Mutationen in Spermien mit dem Alter steigt. Die Mutationsrate für Punktmutationen betrug 5,74 × 10⁻¹⁰ Substitutionen pro Basenpaar pro Jahr. Dies entspricht einer Verdopplung der Mutationslast alle 21,6 Jahre.
Erstmals konnte auch gezeigt werden, dass sich diese Mutationsrate individuell unterscheidet. Während alle Teilnehmer eine Zunahme der Mutationen mit dem Alter aufwiesen, variierte die Rate zwischen den einzelnen Männern erheblich. Besonders ein Teilnehmer zeigte eine außergewöhnlich hohe Mutationsrate. Auffällig war, dass dieser Mann in seiner Jugend einen unvollständig abgestiegenen Hoden hatte – eine Bedingung, die möglicherweise zu einer höheren Mutationsrate beiträgt.
Die Analyse der Speichelproben zeigte ebenfalls eine altersabhängige Zunahme von Mutationen. Blutproben hingegen wiesen keine klare Korrelation mit dem Alter auf, was auf Unterschiede in den Zelltypen und deren Lebensdauer zurückzuführen sein könnte.
Das Alter von Männern spielt eine Rolle bei Gesundheit der Kinder
Die Ergebnisse bestätigen, dass das männliche Alter ein entscheidender Faktor für die Mutationsrate in der Keimbahn ist. Dies könnte erklären, warum Kinder spät gewordener Väter häufiger ein höhere Risiko für genetische Erkrankungen aufweisen. Zudem deutet die Studie darauf hin, dass es neben dem Alter weitere individuelle Faktoren gibt, die die Mutationsrate beeinflussen.
Besonders bemerkenswert ist, dass ein Mann mit einer Hodenfehlentwicklung eine außergewöhnlich hohe Mutationsrate aufwies. Dies könnte darauf hindeuten, dass bestimmte medizinische Bedingungen oder Umweltfaktoren die Keimbahnmutation beeinflussen. Falls sich dieser Zusammenhang in größeren Studien bestätigt, könnten betroffene Männer eine genetische Beratung in Erwägung ziehen, bevor sie Kinder zeugen.
Einordnung der Studie
Die aktuelle Studie bietet einen neuen, direkten Ansatz zur Messung individueller Mutationsraten und bestätigt die bisherigen Erkenntnisse aus anderen Studien. Dennoch gibt es einige Einschränkungen:
- Begrenzte Teilnehmerzahl: Mit nur 23 Personen ist die Studie relativ klein. Eine größere Kohorte könnte helfen, die individuellen Unterschiede besser zu verstehen.
- Nur zwei Zeitpunkte pro Person: Obwohl die Studie eine lange Zeitspanne abdeckt, wäre es ideal, noch mehr Zeitpunkte zu erfassen, um genauere Muster der Mutationsakkumulation zu bestimmen.
- Sequenzierungskosten: Die hochpräzise Sequenzierung ist teuer und derzeit nicht für breite Untersuchungen praktikabel. Zukünftige Fortschritte in der Technologie könnten dies jedoch ändern.
- Begrenzte Aussagekraft zu Umwelteinflüssen: Obwohl einige Teilnehmer Informationen zu ihrem Lebensstil und medizinischen Hintergrund gaben, wurden Umweltfaktoren nicht systematisch erfasst.
Besorgniserregender Trend: Männer werden immer später Vater
Trotz des Risikos zeigt eine weitere Forschung aus den USA, dass Väter tendenziell immer älter werden. Die Forscher wollten wissen, welche soziodemografischen Merkmale, zeitlichen Trends und perinatalen (um die Geburt herum) Ereignisse mit den ältesten Vätern (50 Jahre oder älter) verbunden sind. Dafür sammelten sie zwischen den Jahren 2011 und 2022 die Daten von 46.195.453 Geburten in den USA.5
Von den Vätern, die Teil der Studie waren, waren 484.507 (1,1 Prozent) 50 Jahre oder älter, 47.785 (0,1 Prozent) 60 Jahre oder älter und 3777 (0,008 Prozent) 70 Jahre oder älter. Die Anzahl von Geburten mit Vätern im Alter von 50 Jahren oder älter stiegen von 1,1 Prozent im Jahr 2011 auf 1,3 Prozent im Jahr 2022 an. Das ist ein geringer, aber signifikanter Anstieg.
Welche Gründe gibt es für diesen Trend?
Die Beweggründe von Männern für eine späte Vaterschaft sind bislang unklar, die Studienautoren weisen jedoch darauf hin, dass dieser Umstand häufig auf „verminderte Sorgen um die männliche ‚biologische Uhr‘ und den Wunsch nach schulischer und finanzieller Stabilität vor der Familiengründung“ zurückgeführt werde. Außerdem könne auch die Entwicklung der Rollenbilder Einfluss nehmen, die eine aktive Beteiligung beider Eltern fördern und gleichzeitig traditionelle Rollen wie die des männlichen „Ernährers“ betonen.
Wie beeinflusst das Alter des Vaters die Gesundheit des Babys?
Die Wissenschaftler gingen in der Studie auch der Frage nach, inweiweit ein höheres Alter der Väter Auswirkungen auf die Gesundheit des Kindes haben könnte. Sie berücksichtigten bei ihrer Analyse neben dem Alter der Väter weitere Einflussfaktoren wie das Alter und Body-Mass-Index der Mutter, Tabakkonsum, den Bildungsstatus beider Elternteile und ethnische Herkunft. Doch auch vor diesem Hintergrund zeichnete sich ab, dass das Alter des Vaters signifikant Einfluss auf die Kindesgesundheit zu nehmen scheint.
Das von den Autoren gewählte Berechnungsmodell zeigte einen schrittweisen Zusammenhang zwischen negativen perinatalen Ergebnissen und jedem Zehn-Jahres-Anstieg des Alters des Vaters. So war das Risiko für eine Frühgeburt bei Vätern im Alter zwischen 50 und 59 Jahren im Vergleich zu Vätern im Alter zwischen 30 und 39 Jahren um 16 Prozent erhöht. Ebenso stieg das Risiko eines geringen Geburtsgewichts um 14 Prozent. Bei Vätern ab 70 Jahren stieg das Risiko einer Frühgeburt sogar um 21 Prozent, das eines zu geringen Geburtsgewichts um 24 Prozent.
Auch Folgen für die Mütter wurden festgestellt
Wer spät Vater wird, beeinflusst offenbar auch das Risiko der Mutter, dass es während der Schwangerschaft zu Komplikationen kommt. In der Gruppe der 50- bis 59-Jährigen wurden auch Komplikationen für die werdende Mutter festgestellt. So kam es häufiger zu Fällen von Schwangerschaftsdiabetes: Das Risiko hierfür war um 13 Prozent erhöht. Bei Vätern im Alter von 60 bis 69 Jahren stand das Risiko einer Schwangerschaftshypertonie im Vordergrund. Hierfür stieg das Risiko um elf Prozent an (und um immerhin zwei Prozent bei den 50- bis 59-Jährigen). Bei über 70-Jährigen waren diese Zusammenhänge nicht erkennbar.
Häufige Zuhilfenahme von Befruchtungsmethoden
Ältere Väter zeigten eine höhere Neigung, die Hilfe von assistierter Reproduktionstechnologie (ART), also bspw. einer künstlichen Befruchtung, in Anspruch zu nehmen. So wendeten Väter im Alter zwischen 50 und 59 Jahren mehr als doppelt so häufig ART an und wiesen eine um 16 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit auf, ein Kind mit einer Erstgebärenden zu zeugen.

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Ergebnisse decken sich mit früheren Erkenntnissen der Stanford University
Bereits 2018 enthüllte eine Studie der Stanford University beunruhigende Zusammenhänge zwischen dem Alter des Vaters und einer Reihe von Komplikationen, die Mutter und Kind betreffen. Die damalige Untersuchung bezog Männer ab einem Alter von 45 Jahren ein. Die Daten stammten von mehr als 40,5 Millionen Lebendgeburten in den USA zwischen 2007 und 2016.6
13 Prozent der Frühgeburten hängen mit dem Alter des Vaters zusammen
Väter ab 45 Jahren wurden mit einer Referenzgruppe verglichen, die aus Vätern zwischen 25 und 34 Jahren bestand. Die Gegenüberstellung offenbarte: War der Vater mindestens 45 Jahre alt, wurde ein signifikant höheres Risiko für Frühgeburten und niedriges Geburtsgewicht beobachtet. Auch unter Einbezug des mütterlichen Alters zeigte sich ein um 14 Prozent erhöhtes Risiko für Frühgeburten. Außerdem stellte man ein um 18 Prozent erhöhtes Risiko für Krampfanfälle des Säuglings fest. Das Risiko für Schwangerschaftsdiabetes der Mutter stieg um 28 Prozent. Auch benötigten Babys älterer Väter auffällig oft Atemunterstützung.
„Mögliche Risiken einer späten Elternschaft wurden lange Zeit hauptsächlich in Bezug auf das Alter der Frau betrachtet. Der Einfluss des Alters des Vaters wurde bislang vernachlässigt“, zitiert das „Ärzteblatt“ Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Stefan Schlatt, Direktor des Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Universitätsklinikum Münster.7
Mit dem Alter verändert sich die Qualität der Spermien
Woran könnte es liegen, dass es auch das Risiko von Komplikationen erhöht, wenn man spät Vater wird? Die Forscher vermuten, dass es mit einer Abnahme der Spermienqualität zu tun haben könnte. So schreiben die Studienautoren: „Altersbedingte Erkrankungen wie Erektionsstörungen und Hypogonadismus beeinträchtigen die väterliche Fruchtbarkeit, während mit zunehmendem Alter eine Abnahme des Samenvolumens, der Beweglichkeit und der Morphologie einhergeht.“
Lange Zeit sei man davon ausgegangen, dass männliche Keimzellen nicht alterten, so Dr. Schlatt weiter. Mittlerweile glaube man aber, dass bei älteren Männern die Spermien-DNA durch genetische Veränderungen Schaden nehmen könne. Dazu passen die Ergebnisse einer früheren Studie mit 5081 Männern zwischen 16 und 72 Jahren. Diese hatte herausgefunden, dass bei Männern über 35 sowohl die Qualität als auch die Quantität der Spermien abnehmen. In der Folge könnte die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft sinken.8
Generell könnte sich das Risiko spät Vater zu werden weiter erhöhen, da seit Jahrzehnten weltweit die Spermienqualität sinkt.