12. Juni 2024, 14:59 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Wissenschaftler haben einen neuen Test zur Früherkennung von Demenz entwickelt, der die Krankheit bis zu neun Jahre vor der Diagnose feststellen soll. Das Verfahren ermöglicht eine genauere Vorhersage von Demenz als häufig eingesetzte Gedächtnistests oder Messungen der Schrumpfung des Gehirns. Was hinter dieser Methode steckt, erklärt FITBOOK-Redakteurin Sophie Brünke.
Demenz beschreibt eine degenerative Erkrankung der Nerven, welche durch zunehmenden Abbau der kognitiven Fähigkeiten gekennzeichnet ist. Aufgrund der wachsenden Anzahl Demenz-Erkrankter in der Bevölkerung ist das Interesse an neuen Strategien zur Prävention hoch. Forscher der Queen Mary University in London entwickelten nun einen Test, der es erlaubt, eine Demenz bis zu neun Jahre vor Auftreten der Krankheit festzustellen.
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Übersicht
Die Wissenschaftler nutzen künstliche Intelligenz
Die Forscher analysierten 1111 funktionelle Magnetresonanztomographie-Scans (fMRT) von den Gehirnen Freiwilliger in der UK-Biobank. Darunter waren 81 nicht diagnostizierte Personen, bei denen bis zu neun Jahre nach der Bildgebung Demenz auftrat. Mithilfe von maschinellem Lernen entwickelten sie einen Test, welcher die Anzeichen einer Demenz Jahre vor der Diagnose erkennt.1
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Test fokussiert sich auf bestimmtes Hirnareal
Das Testmodell untersuchte die sogenannte effektive Konnektivität zwischen zehn Gehirnregionen, die das Default-Mode-Network (DMN, dt.: Ruhezustandsnetzwerk) des Hirns bilden. Dieses Netzwerk ist aktiv, wenn es keine Stimulation von außen gibt, z. B. bei einem Tagtraum.
Die Forscher ordneten jedem Patienten einen Wahrscheinlichkeitswert zu, an Demenz zu erkranken. Der Wert hing davon ab, inwieweit das effektive Konnektivitätsmuster des Patienten einem Muster entspricht, das auf Demenz hinweist. Sprich: der Wert bedingte sich dadurch, wie stark Veränderungen im DMN sichtbar waren.
Effektive versus funktionelle Konnektivität
Funktionelle Konnektivität meint die Interaktion einzelner Hirnregionen, die anatomisch nicht direkt in Kontakt sind. Bei einem fMRT zeigen sie jedoch ähnliche Aktivierungsmuster. Veränderungen der funktionellen Konnektivität treten vor strukturellen Hirnveränderungen und Symptomen einer Demenz auf. So stört etwa Alzheimer (häufige Ursache von Demenz) die funktionelle Konnektivität im DMN. Die Abbildung der effektiven Konnektivität geht im Vergleich zur funktionellen noch einen Schritt weiter: Sie zeigt genau, wie ein einzelnes Neuron im Hirn ein weiteres beeinflusst.
Die Voraussage des Tests hatte eine Genauigkeit von 82 Prozent
Die Wissenschaftler verglichen die Vorhersagen des Tests mit den medizinischen Daten der Probanden. Es zeigte sich, dass der Test den Beginn einer Demenz bis zu neun Jahre vor der Diagnose mit einer 82-prozentigen Genauigkeit vorhergesagt hatte. Bei denjenigen Freiwilligen, welche später an Demenz erkrankten, konnte das Modell mit einer Fehlertoleranz von zwei Jahren das Zeitfenster zur Diagnosestellung bestimmen.
Vergleich mit anderen Tests zur Früherkennung
Um zu prüfen, ob die effektive Konnektivität als Diagnose- bzw. Prognoseinstrument geeigneter ist als andere MRT-basierte Marker, trainierten die Wissenschaftler das maschinelle Lernen mit den gleichen Methoden wie zuvor, nutzten jedoch Daten zum Volumen – da das Gehirn bei Demenz schrumpft – sowie Daten zur funktionellen Konnektivität. Beim Vergleich der Datentypen kristallisierte sich heraus, dass mittels effektiver Konnektivitätsparameter die vertrauenswürdigsten Vorhersagen getroffen wurden.
Auch Isolation kann zur Demenz führen
Die Forscher untersuchten ebenfalls, ob Veränderungen im DMN bereits bekannte Risikofaktoren für Demenz zugrunde liegen könnten. Es stellte sich heraus, dass soziale Isolation durch ihren Einfluss auf die Konnektivität im DMN wahrscheinlich das Demenzrisiko erhöht.
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Was bedeuten die Studienergebnisse für die zukünftige Behandlung von Demenz?
Studienautor und Neurologe Charles Marshall erklärte in einer Mitteilung der Universität: „Vorhersagen, wer in Zukunft an Demenz erkranken wird, werden für die Entwicklung von Behandlungen von entscheidender Bedeutung sein, die den irreversiblen Verlust von Gehirnzellen verhindern können, der die Symptome der Demenz verursacht. Obwohl wir immer besser darin werden, die Proteine im Gehirn zu erkennen, die Alzheimer verursachen können, leben viele Menschen jahrzehntelang mit diesen Proteinen in ihrem Gehirn, ohne Symptome einer Demenz zu entwickeln. Wir hoffen, dass die von uns entwickelte Messung der Gehirnfunktion es uns ermöglicht, viel genauer zu bestimmen, ob jemand tatsächlich an Demenz erkranken wird und wie schnell, sodass wir feststellen können, ob er von zukünftigen Behandlungen profitieren könnte.“2
Sein Kollege und Hauptautor der Studie, Samuel Ereira, betont die gute Praktikabilität des Tests: „fMRI ist ein nicht-invasives medizinisches Bildgebungsverfahren und es dauert etwa 6 Minuten, um die erforderlichen Daten auf einem MRT-Scanner zu erfassen. Es könnte also in bestehende Diagnosepfade integriert werden, insbesondere dort, wo MRT bereits verwendet wird.“