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26. Februar 2025, 11:09 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Krebs generell ist mit großer Angst vor Schmerzen und Leid verbunden. Bei Darmkrebs, der oft lange keine Beschwerden verursacht, tragen Scham und Tabu zusätzlich mit dazu bei, dass er oft erst in fortgeschrittenen Stadien entdeckt wird. Um die Überlebenschancen steht es dann schlecht. Das alles müsste nicht sein, sagt der Onkologe Dr. med. Rainer Lipp zu FITBOOK. Er hält ein Plädoyer auf die richtige Vorsorge, die in nahezu allen Fällen verhindern kann, das Darmkrebs entsteht.
Woran denken Sie beim Begriff „Krebsvorsorge“? Oft wird er als Oberbegriff für alle Maßnahmen verwendet, die mit Krebsuntersuchungen zu tun haben. In Deutschland gibt es zum Beispiel die Krebsvorsorgeuntersuchung für Männer, die eigentlich aber eine Tastuntersuchung ist zur – Achtung: Früherkennung von Prostatakrebs. Tatsächlich umgibt die beiden Begriffe eine gewisse Unschärfe in der Öffentlichkeit. Nur sind Maßnahmen zur Früherkennung und Maßnahmen zur Vorsorge zwei völlig unterschiedliche Dinge. Letzteres ist, gelinde gesagt, genial. Man muss es nur nutzen!
Übersicht
- Zwei Gruppen von Krebsarten
- „Noch viel besser ist doch, zu vermeiden, dass sich ein Tumor entwickelt“
- Darmkrebsrisiko maximal reduzieren – Studien zeigen Wirkung von Vorsorge
- Darmkrebs-Vorsorge: Darauf haben Sie Anspruch
- Vor dem 50. Geburtstag zur Darmkrebs-Vorsorge, wenn es in der Familie 2 bis 3 Fälle gibt
- Kein Endoskopiker zur Vorsorge zu finden – was nun?
- Darmkrebs-Früherkennung: Onkologe rät zu Stuhluntersuchung auf Blut
- Quellen
Zwei Gruppen von Krebsarten
Krebsarten lassen sich in zwei Gruppen unterscheiden: Bei der einen geht es darum, sie möglichst früh zu erkennen. Grob gesagt: Je früher entdeckt, desto größer die Chancen auf Heilung. Zu diesen Krebsarten gehören Brustkrebs, Lungenkrebs, Prostatakrebs, Hautkrebs oder Magenkrebs. Die andere Gruppe von Tumoren (Darmkrebs, Leberkrebs, Gebärmutterhalskrebs) lässt sich in ihrer Entstehung weitestgehend verhindern. Im Fall von Darmkrebs, der dritthäufigsten Krebsart weltweit, ist diese Chance besonders groß. Ein entscheidender Vorteil im Kampf um ein langes, gesundes Leben.
Zunächst: Es ist wichtig, zu verstehen, dass es Krebsuntersuchungen gibt, die „nur“ der frühen Entdeckung krebserzeugender Erkrankungen dienen – etwa das Hautkrebs-Screening beim Melanom (schwarzer Hautkrebs) oder oben erwähnte Tastuntersuchung zur Früherkennung von Prostatakrebs –, und solchen Untersuchungen, die tatsächlich Krebs verhindern können. Eine Früherkennung ist gut und erhöht die Heilungschancen – aber ist eine Maßnahme, die die Entwicklung von Krebs verhindern kann, im Vergleich dazu nicht Gold wert?
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„Noch viel besser ist doch, zu vermeiden, dass sich ein Tumor entwickelt“
Einer, der findet, dass dieser Aspekt nicht genug hervorgehoben wird, ist Dr. med. Rainer Lipp. Der Facharzt für Hämatologie und Onkologie setzt sich als Geschäftsführer der Stiftung Deutsche Onkologie für die Verbesserung der Behandlung von Krebspatienten ein. In Gesprächen mit Patienten wird ihm eine Sache immer wieder klar, erklärt er gegenüber FITBOOK: „Viele wissen nicht so wirklich um den Vorsorgeaspekt. Bei mir auf dem Tisch landen immer wieder Patientenfälle, bei denen eine frühe Untersuchung wahrscheinlich vieles vermieden hätte.“
Weiter erklärt der Mediziner: „Einen Tumor möglichst früh zu erkennen, ist gut. Aber noch viel, viel besser ist doch, zu vermeiden, dass er sich entwickelt.“ Die Entwicklung von Darmkrebs – ob im Dickdarm (Kolonkarzinom) oder Enddarm (Rektumkarzinom) lasse sich in fast allen Fällen vermeiden, „wenn die Vorstufen davon im Rahmen einer Vorsorge-Koloskopie entfernt werden“. Bei keiner anderen Krebsart bietet die Früherkennung derart große Chancen. „Mit der richtigen Vorsorge würde Darmkrebs seinen Schrecken verlieren“, sagt Lipp.
Darmkrebsrisiko maximal reduzieren – Studien zeigen Wirkung von Vorsorge
Die Vorstufen, das sind im Fall von Darmkrebs die Polypen. Polypen im Darm sind gutartige Wucherungen der Darmschleimhaut. Sie entstehen meist unbemerkt und verursachen in der Regel keine Beschwerden – doch sie können sich im Laufe der Zeit bösartig verändern. Diese Entstehung von Darmkrebs aus Polypen ist ein schleichender Prozess, der sich über Jahre hinweg vollziehen kann. Lässt man die Polypen alle zehn Jahre aus dem Darm entfernen (vorausgesetzt natürlich, man hat dort welche), hat man laut Lipp „große Chancen, dass sich aus den Polypen kein Darmkrebs entwickelt“. „Einige Polypen haben ein hohes Entartungspotenzial. Indem ich die Vorstufen erkenne und entferne, kann ich das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, maximal reduzieren“, sagt Lipp.
Große Studien wie etwa die „National Polyp Study“ belegen dies. In der Langzeitstudie wurden Patienten nach der Entfernung von Polypen über einen Zeitraum von durchschnittlich 15,8 Jahren beobachtet. Im Ergebnis reduzierte die Entfernung der Polypen das Auftreten von Darmkrebs signifikant.1 Eine neuere Studie von 2023 stützt diese Ergebnisse.2
Über Bluthochdruck oder Rückenschmerzen spricht man leichter als über Durchfall, Verstopfung oder Blut im Stuhl. Zum Hautkrebsscreening ringt man sich eher durch als zur Darmspiegelung. Die mangelnde Aufmerksamkeit beim Thema Darmkrebs zeigt sich in Zahlen. Darmkrebs gehört weltweit zu den häufigsten Krebserkrankungen. Mit rund 54.000 Neuerkrankungen jährlich ist Darmkrebs nach Brust- und Prostatakrebs die dritthäufigste Krebsart in Deutschland. Zehn Prozent sterben daran.
Darmkrebs-Vorsorge: Darauf haben Sie Anspruch
Frühzeitig entdecken können Ärzte diese Polypen durch regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen, insbesondere eine Darmspiegelung (Koloskopie). Dabei wird also nicht primär nach Krebs gesucht, sondern nach den Vorstufen. In Deutschland ist die Koloskopie standardmäßiger Bestandteil der Darmkrebs-Vorsorgeuntersuchung. Anspruch darauf haben Männer derzeit ab 50 Jahren. Bei unauffälligem Ergebnis ab da alle zehn Jahre erneut. Frauen haben erst ab 55 Jahren Anspruch auf die Darmkrebsvorsorge, weil sie statistisch später an Darmkrebs erkranken als Männer. Für alle gilt: Bei Auffälligkeiten wird früher wieder kontrolliert.
Denn auch das haben die Studien gezeigt: Das Risiko für die Entwicklung von Darmkrebs bleibt nach der Polypektomie (so nennt man das Entfernen von Polypen) erhöht. Insbesondere in den ersten drei Jahren nach dem Eingriff. Das unterstreicht die Notwendigkeit der engeren Kontrolle, um mögliche Neubildungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.
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Vor dem 50. Geburtstag zur Darmkrebs-Vorsorge, wenn es in der Familie 2 bis 3 Fälle gibt
Onkologe Rainer Lipp rät allen, diese gesetzliche Darmkrebs-Vorsorge „unbedingt wahrzunehmen“. Frauen ab 55, Männer ab 50 Jahren. Er betont: „Lassen Sie die Vorsorgeuntersuchung vor dem 50. Lebensjahr machen, wenn es in Ihrer Familie (Großeltern, Eltern oder Geschwister) zwei oder drei Darmkrebsfälle gab bzw. gibt.“ Die Felix Burda-Stiftung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Darmkrebssterblichkeit in Deutschland drastisch zu reduzieren, gibt auf ihrer Website eine Faustregel an die Hand, die man sich leicht merken kann: „Ihre erste Vorsorgedarmspiegelung sollte zehn Jahre vor dem Alter liegen, in dem beim Familienmitglied Darmkrebs oder Darmpolypen festgestellt wurden. Wurde Darmkrebs oder wurden Darmpolypen bei Ihrem Verwandten im Alter von 55 Jahren festgestellt, sollten Sie selbst im Alter von 45 Jahren die erste Vorsorgedarmspiegelung durchführen lassen“.3
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Kein Endoskopiker zur Vorsorge zu finden – was nun?
Jetzt fragen Sie sich womöglich: Darmkrebs-Vorsorge ja gerne – aber wie denn, wenn man beim herrschenden Fachärztemangel in Deutschland nur schwer einen Endoskopiker findet, der einem zeitnah einen Termin anbietet! „Das ist wirklich ein Problem, wofür ich derzeit auch kaum eine umfassende Lösung sehe“, sagt Lipp. Sein Tipp: Eine Chance kann die Terminservicestelle der deutschlandweit 17 Kassenärztlichen Vereinigungen sein. Hier „müssen“ Ärzte freie Termine einstellen. So will es das Terminservice- und Versorgungsgesetz.4
Als Ergänzung für die wichtige ärztliche Vorsorge kann man auch mit der Ernährung einiges für seine Darmgesundheit tun. Günstig wirkt sich etwa der Konsum von Joghurt auf das Risiko für Darmkrebs aus. Auch eine erhöhte Kalziumzufuhr kann hier nachweislich gute Dienste leisten. Und ganz wichtig: Ballaststoffe, 30 Gramm pro Tag! Außerdem profitiert der Darm, wenn man wenig verarbeitete Lebensmittel zu sich nimmt, rotes und verarbeitetes Fleisch selten isst.
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Früherkennung rettet Leben Screening, Diagnose und die Stadien von Darmkrebs
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Von gutartiger Wucherung zum bösartigen Tumor Darmkrebs – Ursachen, Risikofaktoren und Vorsorge
Darmkrebs-Früherkennung: Onkologe rät zu Stuhluntersuchung auf Blut
Neben dem Goldstandard Darmkrebsvorsorge gibt es eine sehr günstige Möglichkeit, Darmkrebs früh aufzuspüren: mit einem immunologischen Test auf verborgenes Blut im Stuhl. Aus Lipps Sicht sind solche Tests sehr effektiv, „weil gezielt geschaut wird, ob eine Blutungsquelle im Magen-Darm-Trakt vorhanden ist, die es dann ggf. weiter abzuklären gilt“. Ein solcher Stuhltest sei nicht nur einfach zu machen, er gebe auch einen guten Hinweis auf mögliches Blut im Stuhl – was ein klarer Hinweis für Darmkrebs sein kann. Auch auf diese Tests haben Menschen in Deutschland einen gesetzlichen Anspruch: Jährlich für alle zwischen 50 und 54 Jahren. Aufgrund der statistisch größeren Erkrankungswahrscheinlichkeit gibt es für Männer eine abweichende Regelung: Sie können ab 50 Jahren wählen zwischen einem jährlichen Test oder zwei Darmspiegelungen im Mindestabstand von zehn Jahren.
Wer nicht in diesen Anspruchs-Rahmen passt, kann sich solche Stuhltests (iFOBT oder FIT-Test) für rund 15 Euro selbst in der Apotheke besorgen. Die Probe nimmt man zu Hause und schickt sie in ein Labor, manche kann man selbst zu Hause auswerten.