
19. März 2025, 19:39 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Einige Wochen nach einer Covid-19-Infektion kann es bei Kindern zu einer seltenen, aber potenziell schweren Entzündungsreaktion kommen: dem Multisystemischen Entzündungssyndrom, kurz MIS-C oder PIMS genannt. Betroffene leiden unter hohem Fieber, Hautausschlägen und in schweren Fällen sogar an Organversagen. Die genaue Ursache dieser überschießenden Immunreaktion war bisher unklar. Eine neue Studie liefert nun eine mögliche Erklärung.
Ursprünglich war die Behandlung des multisystemischen Entzündungssyndroms darauf ausgerichtet, Symptome zu lindern. Nun gibt es erstmals Hinweise auf einen möglichen Auslöser – und damit neue Perspektiven für gezielte Therapien.
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Übersicht
Hintergrund der Studie
Während die meisten Kinder eine Covid-19-Infektion gut überstehen, entwickeln einige wenige Wochen später MIS-C – ein Immunphänomen, das mehrere Organe betreffen kann. Wissenschaftler vermuteten verschiedene Ursachen, darunter das Verbleiben von Coronaviren im Körper oder eine fehlgeleitete Immunreaktion.
Forscher der Charité und des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums (DRFZ) fanden nun Hinweise darauf, dass eine durch Covid-19 ausgelöste Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus (EBV) zur Entstehung von MIS-C beitragen könnte. EBV ist ein weltweit verbreiteter Erreger, der das Pfeiffersche Drüsenfieber verursachen kann, und darüber hinaus lebenslang im Körper verbleibt. Normalerweise wird es vom Immunsystem unter Kontrolle gehalten. Doch nach einer Covid-19-Infektion könnte dieses Gleichgewicht gestört sein, sodass das Virus erneut aktiv wird und möglicherweise eine Immunreaktion auslöst.1
Was und warum wurde untersucht?
Ziel der Studie war, mögliche Mechanismen hinter MIS-C besser zu verstehen. Dabei untersuchten die Wissenschaftler Blutproben von 145 Kindern mit MIS-C und 221 Kontrollkindern, die eine Covid-19-Infektion ohne MIS-C durchgemacht hatten.
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Multisystemische Entzündungssyndrom
Die Erkrankung zeichnet sich dadurch aus, dass sie eine Entzündung in mehreren Organen wie Herz, Lunge, Magen-Darm-Trakt, Haut, Schleimhäute und Nieren hervorrufen kann – und das nach einer Covid-19-Infektion. Die genaue Entstehung dieser überschießenden Immunreaktion war bisher ungeklärt.2
Problematisch ist, dass das Entzündungssyndrom Babys, Kinder und Jugendliche betreffen kann. Typischerweise tritt es vier bis acht Wochen nach einer SARS-CoV-2-Infektion auf. Es ist auch unter der Bezeichnung Pädiatrisches Inflammatorisches Multisystem-Syndrom (PIMS) bekannt. Hingegen hat die Symptomatik älterer Kinder eher Ähnlichkeiten mit dem toxischen Schocksyndrom.
Ein Forscherteam der Charité und des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums (DRFZ) untersuchte daher, ob eine Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus (EBV) eine Rolle spielen könnte. Das Epstein-Barr-Virus ist ein weltweit verbreiteter Erreger, der das Pfeiffersche Drüsenfieber verursacht, aber lebenslang im Körper verbleibt. Normalerweise wird es vom Immunsystem unter Kontrolle gehalten. Doch nach einer Covid-19-Infektion könnte dieses Gleichgewicht gestört sein. Dadurch kann das Virus erneut aktiv werden und löst möglicherweise eine massive Immunreaktion aus.
Folgendes wurde untersucht
Die Wissenschaftler suchten gezielt nach Spuren von EBV im Blut von Kindern mit MIS-C. Zudem verglichen sie die Ergebnisse mit Kindern, die Covid-19 ohne MIS-C überstanden hatten. Es wurden auch immunologische Faktoren untersucht, die das Wiederaufflammen der Infektion begünstigen könnten. Insgesamt wurden 145 Kinder im Alter von zwei bis 18 Jahren untersucht, die wegen MIS-C in Krankenhäusern in Berlin, Lyon, Neapel, Ankara und Santiago behandelt wurden. Zur Kontrolle wurden 221 Kinder herangezogen, die eine Covid-19-Infektion ohne MIS-C durchgemacht hatten.
Bei allen Teilnehmern wurden Blutproben analysiert, um nach Spuren einer Epstein-Barr-Virus-Reaktivierung zu suchen. Die Forscher suchten nach viralen DNA-Sequenzen, spezifischen Antikörpern sowie nach T-Zellen, die gegen das Virus aktiv sind. Ein besonderer Fokus lag auf der Untersuchung des Botenstoffs „Transforming Growth Factor Beta“ (kurz TGFβ genannt), der das Immunsystem reguliert und möglicherweise die Bekämpfung des Epstein-Barr-Virus hemmt.
Die Studie kombinierte immunologische Analysen mit molekularbiologischen Nachweismethoden, um zu bestimmen, ob eine erneute Aktivierung des Epstein-Barr-Virus eine Rolle bei MIS-C spielt und ob der Botenstoff TGFβ an diesem Prozess beteiligt ist.
Hohe Konzentrationen des Botenstoffs entscheidend
Die Forscher fanden deutliche Hinweise darauf, dass eine Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus (EBV) mit der Entstehung von dem Multisystemischen Entzündungssyndrom zusammenhängen könnte.
Bei Kindern mit MIS-C fanden Forschende signifikant häufiger Spuren des Epstein-Barr-Virus im Blut als bei Kindern ohne Multisystemisches Entzündungssyndrom.
Außerdem hatten MIS-C-Patienten erhöhte Werte spezifischer Antikörper und T-Zellen gegen EBV, was auf eine aktive Bekämpfung des Virus (Immunantwort) hindeutet. T-Zellen sind spezialisierte Immunzellen, die aktiv körperfremde Strukturen erkennen, sobald diese auf körpereigenen Zellen präsentiert werden. Zudem verteidigen sie den Körper aktiv gegen Krankheitserreger und durchlaufen während ihrer Entwicklung im Thymus eine strenge Kontrolle. Dadurch wird sichergestellt, dass sie keine körpereigenen Strukturen angreifen – ein wichtiger Mechanismus zur Vorbeugung von Autoimmunerkrankungen.3
Entscheidend war die Entdeckung ungewöhnlich hoher Konzentrationen des Botenstoffs TGFβ. Dieser hemmte die Funktion der Immunzellen und könnte verhindert haben, dass sie die infizierten Zellen effektiv zerstören. Dies könnte zu einem Teufelskreis führen: Das Epstein-Barr-Virus vermehrt sich unkontrolliert, das Immunsystem reagiert mit immer mehr entzündungsfördernden Zellen – doch diese sind durch den Botenstoff TGFβ in ihrer Funktion blockiert. Das Ergebnis ist eine extreme Entzündungsreaktion, die Organe schädigen kann. Allerdings bleibt unklar, ob TGFβ direkt für die überschießende Entzündung verantwortlich ist oder ob es sich lediglich um eine Begleiterscheinung der Immunreaktion handelt.
Welche Bedeutung haben die Ergebnisse?
Die Studie zeigt mögliche neue Zusammenhänge bei der Entstehung von MIS-C auf. So liefert sie Hinweise, dass Covid-19 eine Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus begünstigen und in der Folge eine unkontrollierte Entzündungsreaktion auslösen könnte. Außerdem zeigte sie auf, dass bei diesem Prozess möglicherweise der Botenstoff TGFβ eine entscheidende Rolle spielt. Diese Erkenntnisse stellen einen wichtigen Fortschritt in der Erforschung von MIS-C dar und könnte Auswirkungen auf künftige Behandlungsstrategien haben.
Bisher werden betroffene Kinder mit Kortison und Immunglobulinen behandelt, um die überschießende Immunreaktion zu dämpfen. Die neuen Erkenntnisse legen nahe, dass eine gezielte Blockade von TGFβ ein vielversprechender Therapieansatz sein könnte – allerdings sind weitere Studien erforderlich, um dies zu bestätigen.
Darüber hinaus könnten die Erkenntnisse auch für andere Covid-assoziierte Erkrankungen wie Long Covid relevant sein. Es gibt Hinweise darauf, dass auch bei Long Covid eine Reaktivierung von Viren eine Rolle spielt – möglicherweise ebenfalls beeinflusst durch TGFβ. Allerdings sind weitere Forschungen nötig, um diese Hypothese zu überprüfen.

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Einordnung der Studie und mögliche Einschränkungen
Die Studie liefert starke Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen einer Epstein-Barr-Virus-Reaktivierung und MIS-C. Die Methodik kann als solide eingestuft werden, da sowohl Blutanalysen als auch immunologische Untersuchungen durchgeführt wurden.
Dennoch gibt es Einschränkungen:
- ie Studie zeigt eine Korrelation zwischen EBV-Reaktivierung und MIS-C, aber keinen endgültigen Beweis für eine kausale Beziehung.
- Es bleibt offen, warum einige Kinder von MIS-C betroffen sind und andere nicht, obwohl sie das Epstein-Barr-Virus in sich tragen.
- Die Hypothese, dass eine Blockade von TGFβ eine wirksame Therapie sein könnte, muss in klinischen Studien weiter geprüft werden.