13. Juni 2024, 14:11 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Die Corona-Symptome bleiben bei manchen Betroffenen auch nach einer Genesung bestehen oder werden sogar von anderen Beschwerden abgelöst – die Rede ist von Long Covid. Doch nicht immer müssen es Krankheitssymptome sein, die auftreten und Folge einer Coronainfektion sind. Das Virus kann laut einer neuen Studie nämlich auch negative Auswirkungen auf die Spermien haben. FITBOOK-Redakteurin Janine Riedle fasst die Erkenntnisse zusammen.
Zu den häufigsten Covid-Langzeitfolgen zählen unter anderem Kurzatmigkeit, anhaltender Husten, Konzentrations- sowie Gedächtnisprobleme und Muskelschwäche.1 Doch Forscher der USP Universität in São Paulo erweitern die Liste nun um einen weiteren Punkt: Corona ist noch über mehrere Monate lang in Spermien nachweisbar und beeinflusst die Anzahl und womöglich auch die Qualität dieser. Besonders in Hinblick auf die Familienplanung sollte man deshalb Vorsicht walten lassen.
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Übersicht
Fast 70 Prozent der Spermienproben wiesen Covid-RNA auf
Das neuartige Coronavirus ist in der Lage, in menschliche Zellen sowie Gewebe einzudringen und dieses nachhaltig zu schädigen. Die Forscher stellten sich daher die Frage, ob Covid auch einen Einfluss auf das männliche Fortpflanzungssystem hat. Um das herauszufinden, untersuchten sie Spermienproben von insgesamt 13 Personen.2 Es handelte sich dabei um genesene Männer im Alter von 21 bis 50 Jahren, die aufgrund eines leichten, mittelschweren und schweren Covid-Krankheitsverlauf im Universitätsklinikum behandelt wurden. Alle befanden sich in einem Zeitraum von bis zu 90 Tagen nach der Entlassung und 110 Tagen nach der Diagnose.
Zunächst führten die Wissenschaftler Sperma-PCR-Tests durch, die allesamt negativ auf SARS-CoV-2 ausfielen. Mittels einer sogenannten Transmissionselektronenmikroskopie (TEM) wurde man allerdings fündig. Bei insgesamt neun der 13 Teilnehmer wies man noch 90 Tage nach der Genesung eine vorangegangene Corona-Infektion in den Spermien nach. Und das sogar bei einer Person, die nur einen leichten Krankheitsverlauf hatte – der Rest zeichnete sich durch mittelschwere bis schwere Symptome aus.
Bei zwei weiteren Proben stieß man auf ultrastrukturelle Veränderungen, die man auch ähnlich bei Patienten beobachtete, die sich mit dem Coronavirus infiziert hatten. Demnach gingen die Forscher davon aus, bei elf der 13 Teilnehmer den Virus in den Spermien festgestellt zu haben.
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Spermien töten sich selbst als Folge einer Abwehrreaktion
Bisher ging man davon aus, dass die Spermien drei verschiedene Funktionen erfüllen:
- Transport zur Eizelle, um diese zu befruchten.
- Förderung der Embryonalentwicklung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche.
- Beitrag zur Entstehung verschiedener chronischer Krankheiten im Erwachsenenalter bei, z. B. Unfruchtbarkeit, Diabetes, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Durch die Studienergebnisse können die Forscher die Liste womöglich aber erweitern. „Darüber hinaus haben wir beobachtet, dass die Spermien ‚extrazelluläre Fallen‘ auf der Basis von Kern-DNA produzieren, d. h. dass das im Kern enthaltene genetische Material dekondensiert wird, die Zellmembranen der Spermien zusammenbrechen und die DNA extrazellulär ausgestoßen wird“, erklärte Studienleiter und Professor der USP Jorge Hallak in einer Pressemitteilung.3 Gemeint ist damit, dass die Spermien einen immunologischen Mechanismus anwenden, um den Coronavirus zu eliminieren. Bei dieser Abwehrreaktion werden „Netze“ ausgeworfen, welche die Spermien aus der Kern-DNA produzieren. Diese neutralisieren dann erst den Erreger und töten diesen ab. Dadurch „opfert“ sich das Spermium selbst, um den Virus einzudämmen.
„Die in der Literatur unveröffentlichte Beschreibung, dass Spermien als Teil des angeborenen Abwehrsystems gegen Eindringlinge agieren, verleiht der Studie große Bedeutung. Sie kann als Paradigmenwechsel in der Wissenschaft betrachtet werden“, weist Hallak auf die Bedeutung dieser Erkenntnis hin.
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Einordnung der Studie
Corona konnte demnach bis zu drei Monate nach der Genesung noch in den Spermien nachgewiesen werden. Das führt zu Bedenken hinsichtlich der Familienplanung. „Die möglichen Auswirkungen unserer Erkenntnisse auf die Verwendung von Spermien bei Techniken der assistierten Reproduktion sollten von Ärzten und Aufsichtsbehörden dringend in Betracht gezogen und angegangen werden“, warnt Hallak. Er plädiert darauf, dass sowohl natürliche Empfängnisse als auch assistierte Reproduktionen um mindestens sechs Monate nach einer Covid-19-Infektion aufgeschoben werden sollen. Und das auch bei einem leichten Krankheitsverlauf.
Da sich die Studie nur auf einen Zeitraum von drei Monaten beschränkte, ist demnach nicht klar, ob Corona auch nach weiteren Wochen noch in Spermien nachgewiesen werden kann. Deshalb sollte an diese Studie angeknüpft werden, um feststellen zu können, wie lange die Geschlechtszellen von dem Virus tatsächlich betroffen sind.
Des Weiteren sollte man kritisch betrachten, dass die Studie nur einen kleinen Ausschnitt liefert. Denn mit nur 13 Patienten, die mutmaßlich alle in Brasilien leben, behandeln die Untersuchungen nur einen extrem kleinen Bruchteil. Es ist also fraglich, ob die Ergebnisse auch bei einer größeren Kohorte und anderen ethnischen Abstammungen zutreffen.
Zudem sind die kausalen Zusammenhänge noch ungeklärt. So ist derzeit noch nicht bekannt, inwiefern der Nachweis des Coronavirus die Fruchtbarkeit und die Spermienqualität beeinträchtigt. Auch negative Folgen bei einer Schwangerschaft durch ein „behaftetes“ Spermium müssen noch untersucht werden.