24. August 2023, 15:57 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Drei neue Virusvarianten sorgen dafür, dass Corona plötzlich wieder in aller Munde ist. Vor allem BA.2.86, auch Pirola genannt, scheint nach aktuellem Wissensstand das Potenzial zu haben, vermehrt für Infektionen zu sorgen. Vor dem Hintergrund stellen sich viele sicher die Frage: Ist es sinnvoll, sich jetzt erneut gegen Corona impfen zu lassen?
Nachdem im Frühjahr die Corona-Maßnahmen ausgelaufen und die Pandemie als bewältigt gegolten hatte, wurde es ruhig um das Coronavirus. Doch jetzt tauchten mit Eris (EG.5), Fornax (FL.1.5.1) und Pirola (BA.2.86) gleich drei neue Varianten auf. Die Befürchtung: Im Herbst und Winter könnte die Pandemie erneut an Fahrt aufnehmen und für viele Infektionen sorgen. Sollte man sich daher, um sich selbst und andere zu schützen, möglichst schnell eine erneute Booster-Impfung gegen Corona holen? Davon raten US-Experten aktuell noch ab – aus zwei Gründen.
Übersicht
Booster-Impfung holen – ja oder nein?
Durchlebte Covid-Erkrankungen sowie Impfungen haben dazu geführt, dass in Deutschland eine Grundimmunisierung gegen Corona vorliegt. Eine Studie kam zu dem Schluss, dass der überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung (95 Prozent der Studienteilnehmenden) bereits Antikörper gegen SARS-CoV-2 aufweist.1
Angesichts der Entstehung neuer Varianten wurde in den letzten Jahren v. a. Risikogruppen (Vorerkrankte, Menschen über 60 bzw. 65 Jahre) geraten, sich boostern zu lassen. Deshalb ist es logisch, dass sich angesichts von Eris, Fornax und Pirola Menschen nun fragen, wie es mit einer weiteren Booster-Impfung aussieht.
Wie gefährlich die aktuellen Virusvarianten wirklich sind und wie genau sich entsprechend die Corona-Lage in den nächsten Wochen und Monaten entwickeln wird, können auch Experten zurzeit nicht sicher einschätzen. Dennoch äußerten US-Mediziner bezüglich der Frage, jetzt impfen oder nicht, in einem Bericht der „The New York Times“ bereits eine klare Meinung. Sie empfehlen, mit einer weiteren Booster-Impfung gegen Corona noch zu warten.
„Covid-Arm“
Nach einer Coronaimpfung berichteten viele Menschen von Schmerzen an der Einstichstelle oder sogar im gesamten Arm. Diese traten häufig Tage nach einer Impfung auf. Diese Nebenwirkung erhielt bald den Namen „Covid-Arm“. FITBOOK befragte dazu 2021 die Würzburger Immunologin und Impfexpertin Prof. Martina Prelog.
„Die Reaktion kommt tatsächlich bei bis zu 80 Prozent aller Impfungen vor, besonders bei den mRNA-Stoffen wie von Moderna oder BioNTech/Pfizer. Dabei handelt es sich um eine ganz normale immunologische Reaktion“, erklärte uns Prelog.
„Über die Spitze wird der genetische Bauplan des Spikemoleküls eingeschleust. Den übernehmen dann die körpereigenen Zellen und stellen es dem Immunsystem vor“, erläuterte die Expertin. Nach dem erfolgreichen „Kennenlernen“ bildet der Organismus als Reaktion die gewünschten Antikörper. Damit das passieren kann, braucht es eine kleine Entzündung – im positiven Sinne. Und diese macht sich durch Schmerzen, Rötungen, leichten Schwellungen oder auch Erwärmung bemerkbar.
Grund 1: Besser auf angepasste Vakzine warten
Aktuell sind laut Daten der WHO vor allem Varianten der Omikron-Linie XBB in Umlauf. Von diesen stammen auch zwei der neu unter Beobachtung stehenden Virustypen ab: EG.5 und FL.1.5.1.2
Auf diese genannte XBB-Linie haben Hersteller von Impfstoffen bereits reagiert. Vorausgesetzt, dass die Zulassung der Vakzine bald erfolgt, könnten schon im Herbst Impfstoffe bereitstehen, die etwa vor der Coronavariante XBB.1.5 schützen können. Laut BioNTech, Moderna und Novamax sollten diese auch eine Schutzwirkung vor den neuesten von XBB abstammenden Varianten EG.5 und FL.1.5.1 bieten können.
Angesicht der in den Startlöchern stehenden angepassten Vakzine raten Experten, sich nicht jetzt mit einer früheren Impfstoff-Version impfen zu lassen. Besser sei es, auf die neuen zu warten. „Wenn Sie mit der Variante aufstocken, die der tatsächlich zirkulierenden Variante am nächsten kommt, werden Sie höchstwahrscheinlich einen gewissen Schutz gegen eine Infektion erlangen“, erklärt etwa Dr. David Boulware von der University of Minnesota Medical School. Wovor die angepassten Vakzine seiner Meinung sicherlich deutlich besser als die jetzigen Impfstoffe schützen würden: vor schweren Krankheitsverläufen in Fällen einer Infektion.
Auch Trevor Bedford, Professor und Impf-Experte am Fred Hutchinson Cancer Research Center sieht laut „NYT“ einen Vorteil darin, auf die neuen Impfstoffe zu warten. Selbst, wenn diese noch nicht genau auf die neuesten Varianten wie z. B. EG.5 abgestimmt seien, würden sie dennoch einen deutlich besseren Schutz bieten können als Impfstoffe, die 2022 entwickelt worden seien, als noch gänzlich andere Coronavarianten vorherrschten.
Und wie sehen es Experten in Deutschland? FITBOOK fragte bei Immunologin und Impfexpertin Prof. Dr. Martina Prelog vom Universitätsklinikum Würzburg nach. Ihre Einschätzung lautet: „Angepasste Vakzine decken die derzeit zirkulierenden Varianten von SARS-CoV-2 ganz gut ab, weshalb ein Booster mit diesen angepassten Impfstoffen zu bevorzugen ist.“
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Grund 2: Höherer Schutz während der Hochsaison einer möglichen neuen Corona-Welle
Ferner sei es schlau, sich nicht jetzt mit dem besten Corona-Schutz zu versorgen, sondern erst kurz vor einem zu erwartenden Höhepunkt einer Infektionswelle.
Die meisten kennen es sicherlich von der Grippeimpfung. Da der Höhepunkt der Wintersaison meistens im Januar oder Februar erreicht wird, empfehlen viele Ärzte, sich nicht vor Ende November impfen zu lassen. Der Grund: Nach einer Impfung dauert es bis zu 14 Tage, ehe der Körper einen ausreichenden Schutz vor Ansteckung aufgebaut hat.
Ähnlich lang dauert der Aufbau der Immunität auch bei einer Coronaimpfung. In den vergangenen Jahren wurde die Spitze der Winterwelle zwischen Dezember und Februar erreicht. Daher sei es laut Dr. Paul Sax vom Brigham and Women’s Hospital zurzeit noch zu früh für den Booster.
Denn: Würde man sich jetzt impfen lassen, hätte man Anfang September die gewünschte Immunität erreicht. Da diese aber im Laufe der Zeit auch wieder abnimmt, sei es besser, sich zeitlich möglichst erst kurz vor dem erwarteten Corona-Höhepunkt eine Booster-Impfung für einen höchstmöglichen Schutz zu holen. „Die Fallzahlen steigen jetzt, aber sie sind nicht außergewöhnlich hoch“, so Dr. Sax mit Bezug auf die aktuelle Corona-Lage in den USA. „Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass sie im November, Dezember oder Januar nicht wieder ansteigen werden, wie es in den letzten drei Jahren jedes Jahr der Fall war.“ Deshalb sei es ratsam, noch rund zwei Monate zu warten.
Ähnlich wie die US-Expertin empfiehlt auch Prof. Prelog: „Die Immunantwort ist ca. vier Wochen nach der Booster-Impfung am höchsten, weshalb es gut ist, so nah wie möglich vor der nächsten Welle zu boostern. Allerdings ist diese schwierig vorauszusagen, deshalb sollten vor allem Ältere ab 60 Jahren und Risikopatienten zwölf Monate nach dem letzten immunologischen Ereignis aufgefrischt werden, bevorzugt mit einem angepassten Impfstoff.“
Auch, wer kürzlich erst mit Corona infiziert war, sollte mit einer erneuten Impfung noch warten. Durch die Infektion sind die Antikörper Betroffener erhöht. Eine Impfung würde zu diesem Zeitpunkt keinen zusätzlichen Nutzen bringen. So rät auch die Ständige Impfkommission (Stiko), nach einer Covid-Erkrankung mit einer Auffrischungsimpfung sechs Monate zu warten.3
Weitere Artikel zu Corona
Corona-Lage in Deutschland
Ein Bericht zur aktuellen Influenza-Lage des Robert-Koch-Instituts aus der vergangenen Woche (KW 33) verdeutlicht, wann die letzte Corona-Welle ihren Höhepunkt hatte. So waren die Fallzahlen im November und Dezember 2022 besonders hoch, wurden zu Beginn dieses Jahres wieder geringer, um dann im Februar und März noch einmal leicht anzusteigen.4
Zuletzt wurden im Nationalen Referenzzentrum (NRZ) für Influenzaviren des RKI in sechs Prozent der Proben, die auf Influenzaviren getestet wurden, SARS-CoV-2 gefunden. Genauer: Drei von 50 eingesandten Proben enthielten Coronaviren.
Im Bericht heißt es zudem, dass „in den letzten Wochen steigende Raten der akuten Atemwegsinfektionen bei (älteren) Erwachsenen, ein Anstieg der übermittelten Covid-19-Fälle und steigende Positivenraten in der laborbasierten Surveillance von SARS-CoV-2 auf eine Zunahme der Covid-19-Aktivität in Deutschland“ hinwiesen. Allerdings gebe es aktuell keine Hinweise für eine sich ändernde Krankheitsschwere.
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Einschätzung eines deutschen Immunologen
FITBOOK hat bei Prof. Dr. Carsten Watzl, Immunologe am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund, nachgefragt, wie er die aktuelle Corona-Lage einschätzt. Mit Blick auf die neuen Varianten erklärte er: „Es geht aktuell nicht mehr darum, die Infektion zu verhindern, sondern die schwere Erkrankung. Und auch wenn die neuen Varianten ansteckender sind, gibt es keine Hinweise darauf, dass die auch krankmachender sind. Daher sind die meisten Menschen durch ihre hybride Immunität – Impfung plus Infektion – bereits sehr gut vor einer schweren Erkrankung geschützt.“
Aus diesem Grund teilt er auch die Einschätzung seiner US-amerikanischen Kollegen, was eine weitere Booster-Impfung gegen Corona betrifft: „Das sehe ich genauso. Aktuell sind die Infektionszahlen auf niedrigem Sommerniveau und selbst bei der Hospitalisierungsrate – im Krankenhaus wird ja nicht getestet – liegen wir deutlich unter den Werten des gleichen Zeitraums von Vorjahr. Daher kann man ruhig noch warten.“
Angepasste Corona-Impfstoffe EMA-Zulassung für angepasste Omikron-Impfstoffe – wer bekommt ihn?
BA.2.86 Warum die neue Coronavariante Pirola Experten Sorgen bereitet
Gesundheit Das ist die aktuelle Corona-Inzidenz in Deutschland – und was sie bedeutet
Quellen
- 1. Lange, B., Jaeger V.K., Harries, M. et al. (2023). Estimates of protection against SARS-CoV-2 infection and severe COVID-19 in Germany before the 2022/2023 winter season – the IMMUNEBRIDGE project. Infection.
- 2. World Health Organization. EG.5 Initial Risk Evaluation, 9 August 2023. (aufgerufen am 24.8.2023)
- 3. Robert-Koch-Institut. Wie sollen Personen geimpft werden, die bereits eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben? (aufgerufen am 24.8.2023)
- 4. Arbeitsgemeinschaft Influenza. ARE-Wochenbericht. Robert Koch Institut. (aufgerufen am 24.8.2023)