
29. April 2025, 18:50 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Jedes Jahr erleiden weltweit zwischen 67 und 170 von 100.000 Menschen außerhalb eines Krankenhauses einen Herz-Kreislauf-Stillstand – ein Ereignis, das oft tödlich endet: Nur zwei bis 20 Prozent der Betroffenen überleben. Plötzlicher Herztod gilt damit als eine der häufigsten Todesursachen überhaupt. Wissenschaftler identifizierten kürzlich 56 vermeidbare Risikofaktoren – einer ist besonders kurios.
Plötzlicher Herztod trifft oft Menschen ohne jede Vorwarnung – und viele Ursachen sind bis heute nicht vollständig geklärt.1 Zwar kennt man Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder Herzkrankheiten, doch sie erklären längst nicht alle Fälle. Eine aktuelle Studie hat deshalb untersucht, ob auch alltägliche Einflüsse wie Bewegung, Schlaf oder psychische Belastungen eine Rolle spielen könnten. Besonders auffällig: Selbst der moderate Konsum von Champagner stand mit einem geringeren Risiko in Zusammenhang – ein unerwarteter Befund, der kaum auf den Alkohol selbst zurückzuführen sein dürfte. Vielmehr ist wahrscheinlich, dass der Konsum mit anderen günstigen Lebensumständen einhergeht, er sollte keinesfalls als Handlungsempfehlung verstanden werden. FITBOOK erklärt, was genau untersucht wurde – und was man aus den Ergebnissen wirklich ableiten kann.
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Übersicht
- Studie wollte modifizierbare Risikofaktoren für Herztod aufdecken
- Analyse von über 500.000 Datensätzen
- Übergewicht erhöht das Risiko für Herztod – Champagner senkt es offenbar
- Welche Bedeutung haben die Ergebnisse?
- Mögliche Einschränkungen der Studie
- Herztod verhindern – aber sicher nicht mit Champagner
- Quellen
Studie wollte modifizierbare Risikofaktoren für Herztod aufdecken
Um mehr über nicht klinische Einflüsse auf das Risiko eines plötzlichen Herztods zu erfahren, wertete ein Forschungsteam der Fudan University (China) Daten von über 500.000 Erwachsenen aus der britischen Datenbank „UK Biobank“ aus. Im Fokus standen 125 alltägliche, potenziell veränderbare Faktoren – darunter:
- Ernährung
- Schlaf
- Bewegung
- psychisches Wohlbefinden
- Umweltbelastung
- und soziale Bedingungen wie Bildung oder Einkommen.
Bislang stützten sich viele Studien auf vorgefasste Annahmen und betrachteten nur einzelne bekannte Risiken. In einer Pressemitteilung erklärt Huihuan Luo, leitender Autor der Studie: „Alle früheren Studien, die die Risikofaktoren des plötzlichen Herzstillstands untersuchten, waren hypothesenbasiert und konzentrierten sich auf eine begrenzte Zahl möglicher Expositionsfaktoren, die auf Vorwissen oder theoretischen Rahmenbedingungen beruhten.“2 Deshalb verfolgten die Forscher einen datengetriebenen, offenen Ansatz: Ziel war es, umfassend zu analysieren, welche Faktoren langfristig mit einem erhöhten oder verminderten Risiko für plötzlichen Herztod in Zusammenhang stehen – und welchen Anteil man durch Veränderungen theoretisch vermeiden könnte.3
FITBOOOK Expert Dr. med. Christopher Schneeweis erklärt im FITBOOK-Interview, warum die koronare Herzkrankheit so gefährlich ist:
Analyse von über 500.000 Datensätzen
Die Analyse basiert auf Daten von 502.094 erwachsenen Teilnehmern der UK Biobank. Die Nachbeobachtungszeit beträgt im Schnitt 13,8 Jahre. Ziel war es, herauszufinden, welche Alltagsfaktoren – etwa Schlaf, Ernährung oder Stress – das Risiko für plötzlichen Herztod beeinflussen könnten. Anders als in vielen früheren Studien gingen sie dabei nicht von einzelnen Verdachtsmomenten aus, sondern analysierten 125 mögliche Einflüsse gleichzeitig – ohne Vorannahmen.4
Um möglichst verlässliche Hinweise auf tatsächliche Zusammenhänge zu bekommen, verglichen sie auch genetische Unterschiede zwischen den Teilnehmenden. So konnten sie besser abschätzen, ob ein Zusammenhang eher zufällig ist – oder ob ein bestimmter Faktor das Risiko wirklich beeinflussen könnte.
Übergewicht erhöht das Risiko für Herztod – Champagner senkt es offenbar
Während der Beobachtungszeit erlitten 3147 Teilnehmer einen plötzlichen Herzstillstand. Insgesamt fanden die Forscher modifizierbare 56 Faktoren, die statistisch mit einem höheren oder niedrigeren Risiko verbunden waren. Besonders auffällig: Champagner befand sich laut der Analyse auf der Risiko senkenden Seite.
Zu den Risiko erhöhenden Faktoren zählten insbesondere:
- Schlechte Laune
- Übergewicht
- Hoher systolischer Blutdruck
- Niedriger Bildungsstand
Zu den Risiko senkenden Faktoren zählten insbesondere:
- Höherer Konsum von Champagner und Weißwein
- Erhöhter Verzehr von Obst
- Positive Grundstimmung
- Gewichtskontrolle
- Blutdruckkontrolle
- Höherer Bildungsstand
Und tatsächlich ist der Einfluss der identifizierten Faktoren alles andere als unerheblich: „Wir waren überrascht, wie viele Fälle von plötzlichen Herzstillständen durch die Verbesserung ungünstiger Profile verhindert werden könnten“, so Co-Studienleiter Renjie Chen. Durch das Vermeiden des schlimmsten Drittels aller Risikofaktoren könnten der Studie zufolge stolze 40 Prozent der Fälle eines plötzlichen Herzstillstands verhindert werden. Werden die schlimmsten zwei Drittel erfolgreich modifiziert, steigt der Wert sogar auf 63 Prozent. Dabei scheinen die Lebensgewohnheiten den größten Beitrag zur Prävention zu leisten: Sie machen 18 Prozent der 63 Prozent vermeidbarer Fälle aus.
Welche Bedeutung haben die Ergebnisse?
Die Studie macht deutlich: Viele Risikofaktoren für plötzlichen Herztod können beeinflusst werden. Schon Verbesserungen in den Bereichen Bewegung, Ernährung, Schlaf und psychische Gesundheit könnten einen großen Unterschied machen. Für Politik und Gesundheitssysteme unterstreichen die Ergebnisse die Dringlichkeit, mehr auf Aufklärung, Umweltverbesserungen und sozioökonomische Unterstützung zu setzen. Besonders die Betonung nicht klinischer Faktoren macht deutlich: Prävention muss im Alltag ansetzen – bevor erste Krankheitssymptome auftreten.

Mit Champagner auf die Herzgesundheit anstoßen? Auf keinen Fall!
„Sicher, die neuen Erkenntnisse aus der Studie sind spannend. Doch sollten Sie nicht vergessen, dass insbesondere Risikofaktoren aus dem Bereich Lebensstil den größten Einfluss auf Ihr Risiko eines plötzlichen Herztods nehmen. Es ist zwar verlockend und bequem, einfach zum Champagnerglas zu greifen, allerdings ist es meiner Meinung auch die schlechteste Wahl, wenn man ernsthaft etwas für seine Herzgesundheit tun möchte. Laut aktuellem Wissensstand ist Alkohol schädlich – und zwar in jeder Menge! Daran rütteln diese erstmaligen Erkenntnisse zu Champagner nichts. Mehr noch: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat Ihre Empfehlungen zum Alkoholkonsum kürzlich verschärft. Gab es vorher sogenannte tolerierbare Höchstmengen für Männer und Frauen, sind nun Null Gramm Alkohol in der Woche die einzige risikofreie Variante. Ein risikoarmer Konsum sollte 27 Gramm Alkohol in der Woche nicht überschreiten. Das entspricht ein bis zwei kleinen Flaschen Bier bzw. kleinen Gläsern Wein.“
Mögliche Einschränkungen der Studie
Die Studie beeindruckt durch ihr umfangreiches, innovatives Design: Sie kombinierte prospektive Beobachtungsdaten mit genetischen Methoden zur Überprüfung kausaler Zusammenhänge (Mendelsche Randomisierung). Doch auch wenn die Ergebnisse spannend sind, ist zu erwähnen, dass sich die Ergebnisse hauptsächlich auf weiße, mittelalte bis ältere Erwachsene im Vereinigten Königreich beziehen, weshalb die Übertragbarkeit auf andere Bevölkerungen begrenzt sein könnte. In einem begleitenden Leitartikel wird speziell die UK Biobank hierfür kritisiert: Sie bestehe aus Freiwilligen, die einen gesünderen Lebensstil pflegen, weniger gesundheitliche Probleme haben und sozioökonomisch privilegierter sind als die britische Gesamtbevölkerung.5 Außerdem wurden die Lebensgewohnheiten nur zu Beginn der Studie erfasst – spätere Veränderungen während der langen Beobachtungszeit blieben unberücksichtigt. Trotz dieser Limitationen bieten die Resultate eine robuste Grundlage für weitere Forschung und Präventionsansätze.

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Herztod verhindern – aber sicher nicht mit Champagner
Plötzlicher Herztod ist kein unvermeidliches Schicksal. Die neue Studie zeigt: Viele alltägliche Gewohnheiten beeinflussen offenbar das Risiko – von Ernährung über Bewegung bis hin zur psychischen Gesundheit. Auch soziale Faktoren wie Bildung und Umweltbedingungen spielen eine wichtige Rolle.
Einzelne Ergebnisse wie der mögliche Schutzeffekt von Champagner oder Weißwein sollten nicht missverstanden werden. Im Leitartikel zur Studie heißt es, dass solche Beobachtungen zwar interessante Zusammenhänge zeigen, aber nicht beweisen, dass Champagnertrinken tatsächlich Herzstillstände verhindert. Zumal dieser Fund eher eine noch größere Fragen in der Forschung aufwirft: Bisherige Studien zeigten teilweise einen kardioprotektiven Schutzeffekt durch Rotwein – allerdings mit uneinheitlichen Ergebnissen. Der Schutz wurde bisher den im Rotwein reichlich vorkommenden Polyphenolen zugeschrieben, die in Champagner und Weißwein allerdings kaum vorhanden sind. Die genauen Mechanismen sind also noch unklar. Und dass wirklich der Alkohol selbst die positiven Effekte erzeugen könnte, darf mehr als kritisch betrachtet werden.