15. Mai 2023, 14:19 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Hoher Cannabis-Konsum steht in Zusammenhang mit bestimmten psychischen Erkrankungen. Wie deutlich das Risiko durch starkes Kiffen steigen kann, zeigen Forscher nun am Beispiel Schizophrenie. Dabei scheinen vor allem Männer gefährdet zu sein.
Bei jungen Männern dürften bis zu 30 Prozent aller Schizophrenie-Fälle auf problematischen Cannabis-Konsum zurückgehen. Das schreiben Forscherinnen und Forscher im Fachblatt „Psychological Medicine“.1 Sie hatten sich in einem riesigen Datensatz aus Dänemark angeschaut, um zu ermitteln, wie sogenannte Cannabiskonsumstörungen (englisch: cannabis use disorder; CUD) und Schizophrenie zusammenhängen.
Übersicht
Definition von Cannabiskonsumstörung
Kriterien für eine CUD sind unter anderem hoher Konsum, starkes Verlangen nach der Droge oder die Aufgabe oder Einschränkung wichtiger sozialer, beruflicher oder Freizeit-Aktivitäten.
Bisherige Studien hatten bereits gezeigt, dass Cannabiskonsumstörungen mit schweren psychischen Erkrankungen einhergehen können.2 So auch beispielsweise mit einer Schizophrenie – das gilt für Männer genauso wie für Frauen. Nun haben Forscher um Carsten Hjorthøj von der Uniklinik Kopenhagen untersucht, für wen das Risiko am höchsten ist.
Auch interessant: Kann Rauchen Schizophrenie und Depressionen auslösen?
Hoher Cannabis-Konsum kann Schizophrenie begünstigen – vor allem bei jungen Männern
Die Analyse zeigt, dass 15 Prozent aller Schizophrenien bei Männern in Dänemark im Jahr 2021 ohne Cannabiskonsumstörungen (CUS) hätten vermieden werden können. Bei den Frauen waren es vier Prozent. Besonders hoch war der Anteil mit bis zu 30 Prozent bei den jüngeren Männern im Alter von 21 bis 30 Jahren. CUS seien demnach ein wichtiger Risikofaktor für die Krankheit Schizophrenie, schlussfolgern die Forscher.
Auch interessant: Haben ständig wütende Männer eine nicht diagnostizierte Depression?
Die Datenanalyse
Die Wissenschaftler hatten Daten von mehr als 6,9 Millionen Männern und Frauen aus dänischen Gesundheitsregistern gesammelt. Bei rund 45.300 dieser Menschen war eine Schizophrenie diagnostiziert worden. Anschließend prüften die Wissenschaftler, bei welchen Personen in den verschiedenen Geschlechts- und Altersgruppen außerdem Cannabiskonsumstörungen bekannt waren und schätzten dann den Anteil aller Schizophreniefälle, bei denen es einen Zusammenhang zu einer solchen Störung gibt.
Die Forscher weisen zudem darauf hin, dass die Anzahl der Menschen mit einer Cannabiskonsumstörung mit den Jahren generell gestiegen sei und auch der THC-Gehalt in Cannabisprodukten immer höher werde. In Dänemark seien im Jahr 2006 noch im Schnitt 13 Prozent gemessen worden, im Jahr 2016 habe der THC-Gehalt bei 30 Prozent gelegen.
Auch interessant: An welcher mysteriösen Krankheit leidet König George aus „Queen Charlotte: A Bridgerton Story“?
Anteil der Neuerkrankungen steigend
Ihre repräsentative, landesweite Studie erweitert das Ergebnis einer Fallkontrollstudie aus dem Jahr 2019 von Marta Di Forti und ihrem Team.3 Damals war festgestellt worden, dass in den Städten, in denen Cannabisprodukte mit einem besonders hohen THC-Gehalt regelmäßig konsumiert werden, auch die Anzahl der Psychoseerkrankungen besonders hoch ist. Untersucht worden waren damals elf europäische Städte, die Spitzenplätze belegten Amsterdam und London. Folglich könnte auch die Stärke des konsumierten Cannabis relevant für das Schizophrenie-Risiko sein, meinen die Forscher.
Auch interessant: Der fatale Effekt von täglichem Kiffen auf die Hoden
Fälle von durch Cannabis verursachter Schizophrenie nehmen zu
Der Ärztliche Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Hamburg, Rainer Thomasius, verweist auf einen weiteren Aspekt der Studie: „Wirklich erschreckend ist, dass laut der Analyse der Anteil der Neuerkrankungen an Schizophrenie, die auf eine Cannabiskonsumstörung zurückgeführt werden können, in den letzten fünf Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen ist.“
Für die Betroffenen beginnt damit in vielen Fällen ein langer Leidensweg: „Die Schizophrenie gehört zu schwersten psychiatrischen Erkrankungen, weil sie mit einer stark verminderten Lebensqualität, einer hohen Behandlungsbedürftigkeit, Unselbständigkeit und einer starken Einschränkung gesellschaftlicher Teilhabe verbunden ist“, erklärt Thomasius. Die Studie aus Dänemark lasse sich auch auf Deutschland übertragen.
Schädlichkeit von Cannabis wird unterschätzt
Die deutsche Bundesregierung plant die Legalisierung von Cannabis. Thomasius und andere Experten vermuten, dass der Konsum damit hierzulande insgesamt steigen wird. „Durch diese Zunahme werden mehr Menschen an einer Cannabiskonsumstörung erkranken und die Anzahl der Schizophreniepatienten wird zunehmen. Es wird auch die Erkrankungshäufigkeit für cannabisinduzierte depressive Störungen und Angststörungen ansteigen“, prognostiziert Kinder- und Jugendpsychiater Thomasius.
Studien-Mitautorin Nora Volkow mahnt in einer Pressemitteilung: „Da der Zugang zu potenten Cannabisprodukten weiter zunimmt, ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir auch die Prävention, das Screening und die Behandlung für Menschen ausbauen, die psychische Erkrankungen im Zusammenhang mit dem Cannabiskonsum erleiden könnten.“4
Erstautor Hjorthøj sieht noch ein grundsätzliches Problem: „Die zunehmende Legalisierung von Cannabis in den letzten Jahrzehnten hat dazu geführt, dass es zu einer der am häufigsten konsumierten psychoaktiven Substanzen der Welt geworden ist, während gleichzeitig die öffentliche Wahrnehmung der Schädlichkeit von Cannabis abgenommen hat.“
Britische Studie Kann Rauchen Schizophrenie und Depressionen auslösen?
Studie aus Oregon Der fatale Effekt von täglichem Kiffen auf die Hoden
Kanadische Studie Der fatale Effekt von Cannabis auf das Herzinfarktrisiko junger Menschen
Quellen
- 1. Carsten Hjorthøj, C., Compton, W., Starzer, M. et al. (2023). Association between cannabis use disorder and schizophrenia stronger in young males than in females. Psychological Medicine.
- 2. Marconi, A., Di Forti, M., Lewis, C.M. (2016). Meta-analysis of the Association Between the Level of Cannabis Use and Risk of Psychosis. Schizophrenia Bulletin.
- 3. Di Forti, M., Quattrone, D., Freeman, T.P. et al. (2019). The contribution of cannabis use to variation in the incidence of psychotic disorder across Europe (EU-GEI): a multicentre case-control study. The Lancet Psychiatry.
- 4. National Institutes of Health. Young men at highest risk of schizophrenia linked with cannabis use disorder. (aufgerufen am 15.5.2023)
- Mit Material von dpa