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Zwei Mediziner berichten

„Zu viel Bürokratie im Arzt-Alltag! So kann man es ändern“

Im Alltag eines Arztes ist Bürokratie ein großes Thema
Im Alltag eines Arztes ist Bürokratie ein großes Thema Foto: Getty Images

1. April 2025, 4:13 Uhr | Lesezeit: 14 Minuten

Veraltete Kommunikationssysteme, zu zögerliche Digitalisierung und ein Grad an Bürokratie, der überwältigt. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz sind Ärzte und Ärztinnen zunehmend von ihrem Job desillusioniert. Viele hängen ihn sogar an den Nagel, wie Statistiken zeigen. Das erleben auch Dr. med. Massimo Barbagello und sein Kollege Roman Sager, Assistenzärzte aus Zürich. In ihrem Gastbeitrag auf FITBOOK geben die Mediziner Einblicke in das Chaos, das sich Gesundheitssystem nennt. Sie zeichnen ein düsteres Bild und schaffen es doch zugleich, positiv zu stimmen. Ein Artikel über die Hoffnung, die Ärzteschaft weg vom PC und zurück zum Patienten zu bringen.

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Zugegebenermaßen – der Job als Arzt kann spannend und vielseitig sein. Nach einer langen Ausbildung von sechs Jahren, in der man den gesunden sowie den kranken Körper kennenlernt, und nach zahlreichen Prüfungen steht man plötzlich da: im langen weißen Arztkittel, Stethoskop um den Hals, ein Klemmbrett und darauf Seiten mit Namen, Diagnosen und Notizen von Patienten. Natürlich darf das Diensttelefon nicht fehlen, mit dem man für alle, egal ob Pflege, Patienten oder Angehörige, stets erreichbar sein muss. Er fängt also an, der Alltag als Arzt. Egal, ob auf der Notfallaufnahme oder auf Station, sobald man das Diensttelefon entgegennimmt, übernimmt man auch die Verantwortung für seinen Bereich und muss jederzeit erreichbar sein. Und merkt dann auch ganz schnell: Ein Arzt kommt im Alltag nicht um eine Menge Bürokratie herum!

Dr. med. Massimo Barbagallo und Roman Sager, Assistenzärzte in der Klinik Hirslanden in Zürich
Dr. med. Massimo Barbagallo (links) und Dr. med. Roman Sager (rechts), Assistenzärzte aus Zürich Foto: Massimo Barbagallo/Roman Sager/Linkedin

Der Alltag eines Arztes

Grundsätzlich ist der Arbeitstag so geplant, dass nach dem Morgenrapport, in dem man alle am Vortag gesehenen Patienten bespricht, nach einer kurzen Kaffeepause die Visite auf den Stationen beginnt. Dies ist die Zeitspanne, in der man den Patienten genauer über seine Krankheitsgeschichte (die Anamnese) und den Verlauf ausfragen kann. Auch die körperliche Untersuchung (bestehend aus Inspektion, Palpation, Perkussion und Auskultation, also der Begutachtung, Abtastung, das Beklopfen und Horchen von Körperregionen) findet jetzt statt. Darauf folgt die Besprechung weiterer Schritte (weitere Untersuchungen, Austritt nach Hause oder Rehabilitationskliniken). Begleitend überlegt sich der Mediziner, welche Krankheiten für das Leiden der Patienten verantwortlich sein könnten (die Differenzialdiagnosen) und welche die beste Therapie, stets im Sinne einer optimalen Risiko-Nutzen-Abwägung, sein könnte.

Raum für Sorgen und Ideen muss sein

Und natürlich behandeln wir Menschen. Das heißt, nebst den sachlichen Themen muss auch Raum für Sorgen, Anregungen, Ideen und (ganz wichtig) Humor sein. Hierzu gehören zahlreiche Themen. Das kann z. B. die Versorgung der alleine gebliebenen Katze zu Hause sein, weswegen so mancher Patient auch schon in sehr kritischem Zustand das Spital verlassen wollte. Oder der Geburtstag der Enkelin, der in zwei Tagen stattfindet und weswegen wir „vorwärts“ machen sollen. Auch eine bevorstehende Kreuzfahrt, die ein Patient bereits vor einem Jahr gebucht hat, kann Druck machen und vieles mehr.

Es läuft nie wie geplant

Wie zuvor erwähnt, das ist der Alltag in der Theorie. In der Praxis sieht es anders aus. Ein Druckgefühl auf der Brust, eine akute Atemnot oder ein Bewusstseinsverlust „werfen“ den ganzen Ablauf über den Haufen. Nun muss man rasch Prioritäten setzen. Aber genau das ist es, was den Beruf eines Arztes ausmacht! Genau für solche Situationen werden wir ausgebildet und als Student erträumt man sich, genau solche Situationen zu managen und zu bewältigen.

Auch interessant: Darf ein Arzt neue Patienten ablehnen?

Die Wahrheit: Kleiner Teil Patienten, großer Teil Bürokratie

Dies umfasst aber nicht den gesamten Teil des Arztberufes. Um ehrlich zu sein, ist das sogar nur ein „kleiner“ Teil des Berufes. Dabei ist es eigentlich der Teil, der medizinisch wirklich relevant ist und auch der Teil, für den wahrscheinlich die meisten Ärztinnen und Ärzte Medizin studiert haben. In den erwähnten sechs Jahren Ausbildung werden wir hauptsächlich für diesen „kleinen Teil“ ausgebildet. Der „große Teil“ beginnt erst danach und erwischt den Arzt eiskalt: die Bürokratie.

Wie groß dieser Anteil des Arztberufes ist, zeigt eine Studie aus der Schweiz, welche als repräsentativ für den gesamten deutschsprachigen Raum angesehen werden kann. Sie kam zu dem Schluss, dass in der Abteilung für Innere Medizin bei einer durchschnittlichen Arbeitszeit von etwas mehr als elf Stunden am Tag lediglich zwischen zwei bis drei Stunden am Patienten selbst verbracht werden.1 Das heißt also umgekehrt auch, das acht bis neun Stunden „hinter den Kulissen“, also weg vom Patienten, stattfinden.

Natürlich beinhalten diese acht bis neun Stunden auch Weiterbildungen und Rapporte, in denen Ärzte wichtige Entscheidungen für Patienten treffen. Die meiste Zeit im Alltag eines Arztes beanspruchen jedoch Dokumentation und Bürokratie.

Das erwartet einen Arzt in Sachen Bürokratie genau

Dazu gehört Folgendes – Spoiler Alarm, es folgt eine lange Liste:

Verlaufseintrag vom Tag (meistens nach dem SOAP-Schema: Subjektiv, Objektiv, Assessment, Procedere)

  • Wie geht es dem Patienten heute?
  • Was hat er oder sie gesagt?
  • Welche Fragen wurden thematisiert bzw. geklärt?
  • Welche klinischen Zeichen ergaben sich?
  • Was haben wir im Labor/in der Zusatzdiagnostik gesehen?
  • Für welche Krankheiten könnten die Resultate hinweisend sein?

Hierbei gilt die Grundregel: Alles, was nicht dokumentiert ist, ist nie passiert! Daher ist es leider auch im Interesse des „Dienstleister“ Arztes, dass alles schön säuberlich dokumentiert ist.

Wenn man dies für alle Patienten (erfahrungsgemäß ca. 15 bis 20 Patienten pro Arzt, je nach Klinik) gemacht hat, dann folgt die Informationsbeschaffung, die für eine gute Behandlung sehr wichtig ist.

In Warteschlangen hängen

Leider ist es trotz Digitalisierung und künstlicher Intelligenz (KI) auch im Jahr 2025 noch nicht möglich (zumindest im deutschsprachigen Raum nicht), dass Spitäler und Kliniken von überall Zugriff auf Krankenakten haben. Dies bedeutet, dass die Ärztin oder der Arzt mit unzähligen Sekretariaten telefoniert und häufig von einer Stelle zur anderen verbunden wird. Wenn man es durch die Warteschlangen geschafft hat, dann kann es sein, dass man die Informationen erst nach Einreichung einer unterschriebenen Schweigepflichtentbindung erhält, was bedeutet, dass man wieder zum Patienten muss, erklärt, was er unterzeichnet (sofern es medizinisch dem Patienten gut genug geht), um schließlich das Dokument einzuscannen und es dem entsprechenden Sekretariat einzureichen.

Wenn dies alles geklappt (Gratulation dafür!) und man auch tatsächlich die Akten bekommen hat, dann müssen diese durchgelesen und in zusammengefasster Form in die aktuelle Krankheitsgeschichte eingefügt werden. Nebst Vordiagnosen müssen auch Voruntersuchungen, Allergien und die Vormedikation (die sehr viele sein können!) einzeln eingetragen werden.2

Nächste Untersuchungen anmelden – mit unnötig kompliziertem Vorgang

Als nächstes folgen die Anmeldungen für die nächsten Untersuchungen. Im Idealfall ist das mit wenigen Klicks und mit einer kurzen Fragestellung erledigt, sofern man sich über ein modernes und effizientes Klinikinformationssystem erfreuen darf. Häufig ist es jedoch so, dass jede Untersuchung eine andere Anmeldungsmodalität hat.

Manche müssen telefonisch angemeldet werden (auch hier steckt man gerne in Warteschlangen fest oder man erreicht die zuständige Person nicht), manche via Mail, manche gar via Fax und manche benötigen gar eine Kombination dieser! Zudem müssen die Anmeldungen auch eingescannt und irgendwo hinterlegt werden, sodass man beweisen kann, dass die Anmeldung auch erfolgt ist (man weiß ja nie …).

Oft noch weitere Schritte nötig

Das war schon ziemlich viel Arbeit, aber man ist noch nicht fertig. Manche Patienten müssen auch bei speziellen „Boards“ angemeldet und vorgesetllt werden (auch hier je nach Spital/Klinik via Klinikinformationssystem, Mail, Fax oder telefonisch). So werden bspw. an „Tumorboards“ Patienten mit Krebsleiden zusammen mit verschiedenen Behandlungsteams besprochen und die optimale Therapie festgelegt. Der Beschluss muss nachfolgend (selbstverständlich) ebenfalls fein säuberlich notiert werden.

Nachmittags folgen Austrittsberichte

Wenn man mit allen Besprechungen durch ist, ist meist spätnachmittags die Zeit gekommen, in der man an den Austrittsberichten arbeiten kann. Hierbei gibt es kein klares Muster, jedoch gehört in einem Bericht, welche Auffälligkeiten ein Arzt oder eine Ärztin beobachten konnte:

  • Was fiel in der klinischen Untersuchung auf?
  • Welche Laborwerte waren auffällig?
  • Welche Zusatzuntersuchungen wurden durchgeführt und was fiel dabei auf?

Basierend auf diesen Auffälligkeiten diskutiert man im Hauptteil des Berichtes, welche Erkrankung für das Leiden hauptverantwortlich sein könnte und welche Hinweise dafür sprechen. Weiterhin gehört auch dazu, dass man weitere infrage kommende Krankheiten diskutiert (die Differenzialdiagnose) und auch die Krankheiten erwähnt, welche potenziell lebensbedrohlich sein könnten, jedoch nicht nachgewiesen werden konnten. Schließlich beschreibt man die erhaltene Therapie und den weiteren Behandlungsplan sowie Informationen darüber, was bei zukünftigen Untersuchungen, welche häufig bei der Hausärztin bzw. dem Hausarzt stattfinden, beachtet werden muss.

Im Falle eines Austrittes folgen noch Rezept, Medikamentenplan, Arztzeugnis, Kurzaustrittsbericht sowie, je nach Fall, Kostengutsprachgesuche, die im ungünstigsten Fall einen monatelangen Briefverkehr zwischen Arzt und Krankenkasse mit sich bringen. Dies wiederholt man dann für alle 15 bis 20 Patienten, für die man zuständig ist.

Wenn nur nicht Notfälle und andere Unvorhersehbarkeiten alles durcheinander bringen würden

Wie gesagt, so sähe in der Theorie der ärztliche Alltag aus. Die Praxis ist jedoch, dass es meist keinen geregelten Ablauf gibt. Häufig kommen Notfälle, Telefonate oder neuartige Befunde, die den Arbeitsfluss unterbrechen und augenblicklich die volle Aufmerksamkeit abverlangen.

Dies ist einerseits spannend, da dadurch jeder Tag anders aussieht und es im ärztlichen Alltag keine größere Befriedigung gibt, als Notfallsituationen souverän zu managen. Andererseits wird aber die Bewältigung der oben genannten Bürokratie dadurch noch mehr erschwert und nicht selten fällt dann auch der Satz, dass man „zu nichts kommt“.

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Hohe Aussteigerquote

Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass es zu einer hohen Aussteigerquote im Arztberuf kommt. Gemäss Angaben der Verbindung Schweizer Ärztinnen und Ärzten (FMH) und des Verbands der Schweizer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO) beträgt die Aussteigerquote gemäß einer Umfrage aus dem Jahr 2016 in der Schweiz etwa zehn Prozent, Tendenz (deutlich) steigend.3 Angesicht der sehr teuren Ausbildung (in Deutschland etwa 200.000 Euro pro Student/in), des Fachkräftemangels und der ständig steigenden Krankenkassenprämien stellt dies eigentlich ein Verlust dar, den man sich nicht leisten kann. Die Gründe dafür sind vielfältig und komplex.4

Niemand wird Arzt, um Berichte zu schreiben

Manche behaupten, dass der hohe Anstieg der Ausstiege aus der Medizinbranche v. a. mit dem verminderten Arbeitsethos jüngerer Generationen zu tun habe, die nicht mehr bereit seien, das Ärztedasein als Berufung und nicht als Beruf anzusehen (eine emotionale Diskussion, auf die wir an dieser Stelle nicht weiter eingehen möchten).

Was aber wohl außer Frage steht, ist, dass keine einzige Ärztin und kein einziger Arzt das Medizinstudium und den Beruf aus dem Grund gewählt haben, um Vorberichte anzufordern, Schweigepflichtentbindungen zu senden oder Kostengutsprachgesuche mit monatelangem Briefverkehr zu verfassen.

Um weiterhin eine gute Gesundheitsversorgung zu garantieren und den Arztberuf wieder attraktiv zu machen, sind kreative Lösungen gefragt.

Die Lösungen: Ärzte zurück zum Patienten bringen

Um die Bürokratieflut im Arztberuf einzudämmen und Medizinern wieder mehr Zeit für ihre Patienten zu verschaffen, braucht es nicht weniger als einen Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen. Die Lösungsansätze müssen dabei ebenso vielfältig sein wie die Probleme selbst. Während wir im gesamten deutschsprachigen Raum oft noch in verhärteten Strukturen feststecken, haben andere Länder bereits bewiesen, dass Veränderungen möglich sind. Es ist Zeit, über den Tellerrand zu blicken – und zu handeln.

Elektronisches Patientendossier: auf digital setzen

Das elektronische Patientendossier (EPD) (vergleichbar mit der elektronischen Patientenakte (ePA) in Deutschland, A. d. R.) sollte eigentlich die Lösung aller Probleme sein: alle Patientendaten zentral verfügbar, keine doppelten Untersuchungen, kein mühsames Anfordern von Vorberichten. Doch die Realität sieht anders aus: Mit 93.851 eröffneten EPDs, Stand Ende Januar 2025, führt das EPD bislang ein Schattendasein.5

Was läuft falsch? Ein Blick nach Estland liefert Antworten. Das baltische Land gilt als Vorreiter der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Das estnische nationale Gesundheitsinformationssystem (ENHIS) erfasst einen Großteil der Krankengeschichten der Bevölkerung, welche für berechtigte Ärzte landesweit zugänglich sind. In Estland wurde das System von Anfang an als nationale Infrastruktur konzipiert, während wir in der Schweiz mit kantonalen Insellösungen kämpfen.

Auch die Frage der Freiwilligkeit spielt eine Rolle. Während in der Schweiz Patienten aktiv zustimmen müssen (Opt-in), setzen Länder wie Dänemark mit dem erfolgreichen System „Sundhed.dk“ auf ein Opt-out-Modell – wer nicht widerspricht, ist automatisch dabei. Das Ergebnis: Beteiligungsraten von über 90 Prozent. Für die Schweiz wäre dies ein längst überfälliger Paradigmenwechsel.

KI-Unterstützung: Der Roboter-Assistent im Arztkittel

„Alexa, schreib meinen Arztbrief.“ Was nach Science-Fiction klingt, ist in einigen Kliniken bereits Realität. Spracherkennungssysteme und KI-Assistenten revolutionieren die medizinische Dokumentation. Die Technologie ermöglicht Ärzten, Befunde direkt während der Untersuchung zu diktieren. Die Software transkribiert nicht nur, sondern strukturiert die Informationen gleich in der richtigen Form für die Patientenakte. Auch der Gebrauch von Textbausteinen und Dokumentvorlagen kann die Dokumentationszeit verringern und gleichzeitig die Qualität steigern, so wie dies bereits durch die Webseite www.berichteguru.com implementiert und standartisiert wird.

Die Herausforderungen bei der Implementierung solcher Systeme sind jedoch nicht zu unterschätzen: Datenschutzbedenken, hohe Anfangsinvestitionen und Schulungsbedarf bremsen die Einführung. Doch der Nutzen überwiegt deutlich. Wir müssen jetzt investieren, um langfristig zu profitieren. Die Alternative – weiter wie bisher – können wir uns angesichts des zunehmenden Ärztemangels und der massiv steigenden Gesundheitskosten schlicht nicht leisten.

Delegation als Entlastungsstrategie

Ein vielversprechender Ansatz kommt aus den USA: Dort unterstützen sogenannte „Medical Scribes“ – speziell ausgebildete Dokumentationsassistenten – Ärzte bei administrativen Aufgaben. Sie begleiten Visiten, protokollieren Gespräche und kümmern sich um die Dokumentation. Mehrere Studien weisen auf eine deutliche Effizienzsteigerung beim Einsatz von Medical Scribes hin.6 Ein Modell, das auch für die Schweiz interessant sein könnte.

Einheitliche Kommunikation

Das Problem in der Schweiz ist nicht ein Mangel an Technologie, sondern die zersplitterte Landschaft. In der Schweiz verwendet jedes Spital, jede Arztpraxis und jedes Labor ein eigenes IT-System. Der Austausch zwischen den einzelnen Parteien findet auf Papier, E-Mail, via Telefon oder sogar per Fax statt. Wie zu Beginn des Artikels erwähnt, sind Assistenzärzte oft damit beschäftigt, Medikamentenlisten, mitgebracht von den Patienten, in das klinikeigene Patientensystem abzuschreiben. Dass dies zeitaufwendig und fehleranfällig ist, dürfte allen klar sein. Eine nationale Lösung zur einheitlichen Kommunikation zwischen Spitälern und Arztpraxen ist dringend notwendig.

Doppeluntersuchungen vermeiden: mehr Effizienz, weniger Kosten

Die fehlende Kommunikation bleibt nicht ohne Folgen. Teure Untersuchungen werden doppelt gemacht, weil nicht ersichtlich ist, dass diese bereits durchgeführt wurden. Neue Blutuntersuchungen werden im Spital teilweise gemacht, weil es einfacher und schneller ist, Blut abzunehmen, anstatt die Blutwerte beim Hausarzt oder externen Labor anzufordern. Diese Umstände sind absurd und führen zu unnötigen Kosten und Risiken für die Patienten.

Entscheidend für den Erfolg solcher Systeme sind nicht nur technische Voraussetzungen wie standardisierte Bildformate und interoperable Systeme, sondern auch wirtschaftliche Anreize. In der Schweiz könnten Krankenkassen hier eine Schlüsselrolle spielen, indem sie Bonusmodelle für Leistungserbringer entwickeln, die auf Datentransparenz setzen und nachweislich Doppeluntersuchungen vermeiden.

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Blick in die Zukunft: Wie könnte der Arbeitsalltag eines Arztes in zehn Jahren aussehen?

Der Arzt der Zukunft könnte möglicherweise morgens seine Smart Glasses aufsetzen, die automatisch Patientendaten einblendet, während er mit dem Patienten spricht. Ein KI-Assistent transkribiert das Gespräch in Echtzeit, strukturiert die Informationen und schlägt mögliche Diagnosen vor. Untersuchungen werden direkt per Sprachbefehl angemeldet, während ein Team von Dokumentationsexperten im Hintergrund für die korrekte Kodierung sorgt.

Science-Fiction? Keineswegs. Die Technologie existiert bereits – sie muss nur intelligent eingesetzt werden. Und während einige vor einer „Entmenschlichung“ der Medizin warnen, sehen wir genau das Gegenteil. Durch die Entlastung bei administrativen Aufgaben gewinnen Ärzte wieder, was in den letzten Jahrzehnten zunehmend verloren ging: Zeit für ihre Patienten.

Es ist ein verlockendes Bild – und vielleicht die einzige Möglichkeit, den Arztberuf wieder attraktiver zu machen und die Versorgungsqualität langfristig zu sichern. Damit der weiße Kittel wieder für das steht, wofür er eigentlich gedacht war: die Heilkunst und nicht die Büroarbeit.

Quellen

  1. Frey SM, Méan M, Garnier A, Castioni J. et al. (2020). Inter-hospital comparison of working time allocation among internal medicine residents using time-motion observations: an innovative benchmarking tool. BMJ Open. ↩︎
  2. Siegmund-Schultze, N. Polypharmakotherapie im Alter: Weniger Medikamente sind oft mehr. Deutsches Ärzteblatt (aufgerufen am 31.3.2025) ↩︎
  3. FMH. (2016). Jeder zehnte Arzt steigt frühzeitig aus (aufgerufen am 31.3.2025) ↩︎
  4. Praktisch Arzt. Medizinstudium Kosten – Deutschland und Ausland (aufgerufen am 31.3.2025) ↩︎
  5. Ehealthsuisse. Aktueller Stand (aufgerufen am 31.3.2025) ↩︎
  6. Mishra P, Kiang JC, Grant RW. (2018). Association of Medical Scribes in Primary Care With Physician Workflow and Patient Experience. JAMA Intern Med. ↩︎

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