
6. April 2025, 17:50 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
In Deutschland gehört Brustkrebs zu der häufigsten Krebserkrankung bei Frauen – rund 74.500 werden jedes Jahr neu diagnostiziert. Bei mehr als 6000 Frauen wird zusätzlich Brustkrebs in einer frühen Vorstufe festgestellt, bei der der Tumor noch nicht ins umliegende Gewebe vorgedrungen ist. Männer sind ebenfalls betroffen, wenn auch selten. Angesichts dieser Zahlen ist klar: Schnelligkeit in der Behandlung kann Leben retten. Eine US-Studie zeigt auf, wie wichtig besonders das zügige Erfolgen einer Operation ist, um das Sterberisiko zu minimieren. Und wie unterschiedlich Letzteres bei betroffenen Frauen ausfällt.
Bisherige Forschung zeigt: Jede Woche Verzögerung einer Operation nach einer Brustkrebsdiagnose kann das Sterberisiko erhöhen. In der Praxis wird die empfohlene OP-Frist von 30 bis 60 Tagen dennoch nicht immer eingehalten – teils aus medizinischen, teils aus organisatorischen Gründen. Unklar war bislang, ob alle Brustkrebs-Subtypen gleich empfindlich auf eine verzögerte Operation reagieren.1 Genau hier versucht die aktuelle Untersuchung, Klarheit zu verschaffen.
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Übersicht
Sterberisiko bei bestimmten Tumorarten erhöht
Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs. Je nach biologischer Beschaffenheit kann sich die Erkrankung sehr unterschiedlich verhalten. Die Studie der University of Oklahoma Health Sciences Centers wertete mehr als 34.000 Brustkrebsfälle aus und liefert Hinweise, dass bei bestimmten Tumorarten das Risiko für schwerwiegende Folgen früher und schneller ansteigt als bislang gedacht. Zudem versuchte die Studie, konkrete Risikomuster sichtbar zu machen, die eine personalisierte Zeitplanung für Brustkrebsoperationen ermöglichen könnten – und damit über die bisher pauschale 60-Tage-Empfehlung der „Commission on Cancer“ hinausgehen.2 Bei der Kommission handelt es sich um einen Zusammenschluss von Berufsverbänden, der die Versorgung von Krebspatienten verbessern will.
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Studiendesign und Methoden
Für ihre Untersuchung griffen die Forscher auf das SEER-Medicare-Register zurück. Das ist eine umfangreiche US-Datenbank, die klinische und versicherungsbezogene Informationen älterer Krebspatientinnen (ab 65 Jahren) bündelt.
Die Wissenschaftler analysierten die Daten von 34.248 Frauen ab 66 Jahren aus, bei denen zwischen 2010 und 2017 ein lokal oder regional begrenzter Brustkrebs festgestellt wurde – also ein Tumor, der noch nicht im ganzen Körper gestreut hatte. Alle Patientinnen wurden ohne vorherige Chemotherapie operiert, das heißt: Die Operation war die erste Behandlung nach der Diagnose.
Die Studie untersuchte, wie sich die Zeitspanne zwischen Diagnose und Operation – die sogenannte „Time to Surgery“ (TTS) – auf das Risiko auswirkt, an Brustkrebs zu sterben. Gemeint ist damit der Zeitraum zwischen der Gewebeprobe (Biopsie) und dem tatsächlichen OP-Termin. Diese Zeit maß man für jede Patientin in Tagen. Als Vergleichsmaßstab diente ein Zeitraum von 30 Tagen, da dieser in früheren Studien als angemessene Frist für eine zeitnahe Operation ermittelt worden war.3
Damit man die Ergebnisse besser vergleichen konnte, wurden die Frauen in drei Gruppen eingeteilt – je nachdem, wie der Tumor biologisch aufgebaut war. Entscheidend waren dabei zwei Merkmale:
Hormonempfindlichkeit (Hormonrezeptorstatus, HR)
Einige Brutkrebsarten wachsen unter dem Einfluss von weiblichen Hormonen wie Östrogen oder Progesteron. Tumore, die viele sogenannte Hormonrezeptoren besitzen, reagieren auf diese Hormone und werden als HR-positiv (HR+) bezeichnet. Fehlen diese Rezeptoren, spricht man von HR-negativ (HR−) – solche Tumore sind meist aggressiver und schwerer zu behandeln. Ob ein Tumor hormonabhängig ist, zeigt sich daran, wie viele seiner Zellen sogenannte Hormonrezeptoren besitzen.4
HER2-Status
HER2 ist ein Eiweiß (Protein), das bei einigen Brustkrebspatientinnen in zu großen Mengen vorkommt und das Wachstum des Tumors ankurbeln kann. Wenn ein Tumor viel HER2 produziert, nennt man ihn HER2-positiv (HER2+). Wenn nicht, ist er HER2-negativ (HER2−).
Aus der Kombination dieser beiden Merkmale ergeben sich drei wichtige Gruppen für die Analyse:
- HR+/HER2−: der häufigste Typ. Diese Tumore reagieren auf Hormone, zeigen aber keine übermäßige HER2-Aktivität.
- HER2+: Tumoren mit hohem HER2-Wert, unabhängig vom Hormonstatus.
- HR−/HER2− (Triple-negativ): Tumore, die weder auf Hormone noch auf HER2 ansprechen. Diese sind besonders schwer zu behandeln, da sie weniger Therapieoptionen bieten.5
Einsatz von unterschiedlichen Analyseverfahren
Inverse Propensity Score-Gewichtung
Damit Unterschiede wie Alter, Vorerkrankungen oder Einkommen das Ergebnis nicht verfälschen, nutzten die Forschenden eine statistische Methode namens „Inverse Propensity Score-Gewichtung“. Diese sorgt dafür, dass alle Patientinnengruppen – trotz ihrer Unterschiede – so vergleichbar wie möglich sind. Man kann sich das wie eine Art „Ausgleichsrechnung“ vorstellen, bei der bestimmte Merkmale rechnerisch angepasst werden, um faire Vergleiche zu ermöglichen.
Fine-Gray-Modell
Um dann herauszufinden, wie sich das Sterberisiko mit zunehmender Wartezeit bis zur Operation verändert, verwendeten die Wissenschaftler ein spezielles Rechenmodell: das sogenannte „Fine-Gray-Modell“. Dieses Modell ist besonders hilfreich, weil es das Risiko für den Tod durch Brustkrebs berechnet, aber auch andere Todesursachen berücksichtigt – was vor allem bei älteren Patientinnen wichtig ist. 6
B-Spline-Funktion
Zusätzlich kam ein weiteres mathematisches Modell zum Einsatz: die „B-Spline-Funktion“. Das klingt kompliziert, bedeutet aber einfach, dass man damit Risiken nicht nur in Wochen oder Monaten, sondern ganz genau Tag für Tag darstellen kann. Dadurch ließ sich sehr genau zeigen, ab welchem Tag das Risiko steigt – und wie stark.
Ab Tag 42 zählt jeder Tag!
Die Studie zeigt: Je länger eine Brustkrebspatientin nach der Diagnose auf ihre Operation wartet, desto höher wird das Risiko, an der Krankheit zu sterben. Das gilt für alle untersuchten Brustkrebsarten – aber nicht in gleichem Maß.
Am deutlichsten war der Anstieg bei Frauen mit der häufigsten Brustkrebsform – also Tumoren, die auf Hormone ansprechen (HR+) und kein HER2-Wachstumsprotein bilden. Bei diesen Patientinnen begann das Risiko bereits ab dem 42. Tag nach der Diagnose, spürbar zu steigen – und zwar sehr schnell. Wenn sie zum Beispiel 120 Tage auf ihre Operation warteten, war ihr Sterberisiko fast dreimal so hoch wie bei einer OP nach 30 Tagen. Auch die langfristige Überlebensrate verschlechterte sich: Nach fünf Jahren waren acht von 100 Patientinnen mit später OP gestorben, im Vergleich zu nur drei von 100 mit früher OP.
Bei Patientinnen mit HER2-positivem Brustkrebs war der Anstieg langsamer, aber dennoch erkennbar: je länger die Wartezeit, desto höher das Risiko. Der Unterschied in der Sterblichkeit nach fünf Jahren betrug hier etwa vier Prozentpunkte.
Am schwächsten war der Zusammenhang bei sogenannten triple-negativen Tumoren (also solche, die weder auf Hormone noch auf HER2 reagieren). Auch hier zeigte sich ein Anstieg, aber dieser war statistisch nicht eindeutig nachweisbar.
Welche Bedeutung haben die Ergebnisse?
Die Studie macht deutlich: Nicht alle Brustkrebspatientinnen sollten gleich behandelt werden, wenn es um den Zeitpunkt der Operation geht. Während bei manchen ein Aufschub möglicherweise weniger dramatisch ist, kann er bei anderen lebensbedrohlich werden. Das stellt bisherige Einschätzungen infrage – z. B. die Vorstellung, dass hormonempfindlicher Brustkrebs grundsätzlich langsam wächst und wenig aggressiv ist.
Die Forscher vermuten, dass bestimmte biologische Prozesse direkt nach der Diagnose eine Rolle spielen könnten. Etwa Veränderungen im Gewebe oder Entzündungsreaktionen, die durch die Biopsie ausgelöst werden – und bei manchen Tumorarten stärker wirken als bei anderen.
Hinzu kommt
Nicht alle Patientinnen erhalten die gleiche Nachbehandlung. Frauen mit hormonabhängigem Brustkrebs bekommen seltener eine Chemotherapie als andere. Dadurch bleibt der Tumor in den Wochen bis zur Operation oft unbeeinflusst aktiv, was negative Folgen haben kann.
Die empfohlene Frist von maximal 60 Tagen bis zur Operation ist sinnvoll – sollte bei bestimmten Tumorarten aber möglichst unterschritten werden. Gerade bei hormonempfindlichem Brustkrebs ohne HER2 könnte eine frühere OP das Risiko, zu versterben, deutlich senken.

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Einordnung der Studie
Die Studie ist besonders aussagekräftig, weil sie auf Daten von sehr vielen Patientinnen basiert und drei verschiedene Brustkrebsarten getrennt betrachtet. Anders als viele frühere Untersuchungen zeigt sie das Risiko nicht nur grob nach Monaten, sondern ganz genau – Tag für Tag. Damit setzt sie neue Maßstäbe, wenn es darum geht, den besten Zeitpunkt für eine Operation zu bestimmen.
Mögliche Einschränkungen
Allerdings gibt es auch Einschränkungen: Die Daten stammen ausschließlich aus den USA und betreffen nur Frauen ab 66 Jahren, die über das staatliche Gesundheitssystem Medicare versichert sind. Jüngere Patientinnen oder andere Länder wurden nicht einbezogen – daher lassen sich die Ergebnisse nicht direkt auf alle Betroffenen übertragen.
Zudem fehlten manche biologischen Details zum Tumor, wie bestimmte Eiweiße oder Genwerte, die dabei helfen könnten, das persönliche Risiko noch genauer einzuschätzen. Auch die Todesursache wurde nicht immer eindeutig bestimmt, da sie aus Sterbeurkunden übernommen wurde.