6. Oktober 2023, 4:47 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Den eigenen Körper lieben, egal, wie er aussieht. Und genauso anderen Körpern mit Respekt begegnen – das findet FITBOOK-Redakteurin Melanie Hoffmann super. Doch ist das wirklich das einzige, wofür „Body Positivity“ heute steht? Warum sie von dem Trend, wie er insbesondere auf Social Media gefeiert wird, nicht mehr ganz so überzeugt ist und sogar Risiken für die Gesundheit sieht, erklärt sie in diesem Artikel.
Seit meiner Kindheit spielt Sport eine große Rolle in meinem Leben. Zehn Jahre ging ich mehrmals die Woche zum Tanztraining. Das war Fluch und Segen zugleich. Denn einerseits habe ich noch heute Rhythmusgefühl und kann gut Choreografien lernen. Andererseits hat mich das in dem Sport vorherrschende Schönheitsideal geprägt: möglichst stark, dabei aber auch möglichst dünn sein. Einem Ideal, dem ich trotz viel Training und unzähliger Diäten nie entsprochen habe. Deshalb freute ich mich, als vor Jahren das Konzept „Body Positivity“ aufkam und sich schnell zum Trend entwickelte. Endlich wurden alle Körperformen gefeiert und nicht mehr versteckt. Doch irgendwann entwickelte sich bei mir auch Skepsis und ein ungutes Gefühl.
Übersicht
Wofür „Body Positivity“ stehen soll
Uneingeschränkte Selbstakzeptanz, Selbstliebe – die „Body Positivity“-Bewegung soll vor allem ein Gegenentwurf zum lange vorherrschenden Schönheitsideal sein. Weg vom Nacheifern vermeintlich „perfekter“ Körpermaße, die für die meisten unerreichbar sind. Spätestens die Entwicklung und Durchsetzung von Social Media mit einer Flut an bearbeiteten Bildern, die als „real“ dargestellt werden, führten zu verzerrter Körperwahrnehmung und enormem Leidensdruck. Davon hatten viele Menschen genug und wollten ein Zeichen für mehr Körper-Diversität setzen.
Die Idee des Hashtags „Body Positivity“: Alle Menschen sind schön. Jeder darf und sollte seinen Körper so lieben, wie er ist. „Körperliche Makel“ dürfen gefeiert werden, darunter z. B. Speckröllchen, fehlende Muskeln, Sommersprossen, Narben und vieles mehr. In den Fokus rückte, dass sich alle Menschen in der Öffentlichkeit repräsentiert fühlen sollen.
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Was ich an „Body Positivity“ mag
Hinter der Grundidee der Bewegung stehe ich voll und ganz. Ich finde es schön, wenn Frauen sich auf Instagram ungeschminkt zeigen. Oder Menschen ihre Körper im Sommer nicht verstecken, sondern stolz zeigen. Mit Freude sehe ich, dass ein Gesicht voller Sommersprossen genauso gefeiert wird wie Oberschenkel mit Dehnungsstreifen. Ob jung oder alt, groß oder klein, schlank oder kurvig – jeder sollte sich am eigenen Körper erfreuen dürfen. Und vor allem sollte auch jeder dem Körper anderer mit Respekt begegnen. Damit meine ich: Wer hat das Recht, Aussehen und Figur anderer zu beurteilen? Niemand! Mit wenigen Ausnahmen vielleicht …
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#bodypositivity kann eine Gefahr bergen
Die einzigen Personen, die das Recht oder sogar die Pflicht haben (aber bitte auf sensible Art!) über den Körper anderer zu urteilen, sind meiner Meinung nach Ärzte. Und genau hier setzt auch meine Kritik an. Denn meinem Empfinden nach haben viele Nutzer des Hashtags #bodypositivity auf Social Media das eigentliche Ziel der Körperbewegung aus den Augen verloren oder nie richtig verstanden.
Wenn ich sehe, wie deutlich übergewichtige oder – auch das andere Extrem – untergewichtige Personen stolz Bilder von sich mit #bodypositivity versehen, bekomme ich den Eindruck, dass erneut ein kritikwürdiges Körperbild vermittelt wird. Und dabei geht es mir nicht um das Aussehen. Darüber zu urteilen, ob jemand schön bzw. attraktiv ist oder nicht, steht mir nicht zu. Mein Gefühl bezieht sich eher auf die gesundheitliche Ebene.
Werden Gesundheitsrisiken von Über- und Untergewicht verharmlost?
Denn wenn ohne jegliche Einordnung übergewichtige oder untergewichtige Körper gefeiert werden, wird etwas ganz Wichtiges vergessen oder verharmlost: dass sowohl zu viel als auch zu wenig Gewicht krank machen kann. Und dabei handelt es sich nicht um Meinungen mit Pro- und Contra-Argumenten, sondern um medizinische Fakten.
Übergewicht – insbesondere, wenn es durch falsche Ernährung und Bewegungsmangel bedingt ist – kann verschiedenste negative Effekte auf den Körper haben, vor allem zu Bluthochdruck und Diabetes Typ 2 führen. Dies wiederum kann langfristig Herz-Kreislauf-Erkrankungen bedingen, die häufigste Todesursache in Deutschland sind.
Allerdings birgt auch Untergewicht bzw. Unterernährung ein großes gesundheitliches Risiko. Betroffene leiden oft an Nährstoffmangel mit den damit einhergehenden Beschwerden. Negative Folgen für den Hormonhaushalt und die Fruchtbarkeit sind weitere mögliche Folgen. Auch ernstere Erkrankungen, wie z. B. Osteoporose, können durch Untergewicht wahrscheinlicher werden.
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„Body Positivity“ als Art Schutzschild, um sich Problemen nicht stellen zu müssen?
Ein kritischer Gedanke, den Arzt und Ernährungsexperte Felix Berndt in der ZDF-Sendung „unbubble“, auf die ich bei meiner Recherche gestoßen bin, zu dem Thema äußerte: Kann es sogar sein, dass der Trend von Menschen vorgeschoben wird, die nichts an ihrem ungesunden Lebensstil verändern wollen?
Wenn sich Personen, die sich, wenn sie ehrlich sind, eigentlich nicht wohl in ihrer Haut fühlen und wissen, dass ihr Gewicht ungesund ist, hinter der Idee „Body Positivity“ verstecken und nur so tun, als fänden sie sich schön – dann wurde das Ziel der Bewegung verfehlt. Denn das wäre genauso fake und unehrlich wie das unrealistische Schönheitsideal, dem sie sich entgegenstellen wollte. Mehr noch: Es ist gefährlich, wenn sich Menschen, die aufgrund ihrer Lebensweise womöglich bereits an gesundheitlichen Beschwerden leiden, ihren Problemen nicht stellen, sondern sie unter dem Deckmantel „Ist doch alles schön“ verdrängen. Im Grund sollte man aufpassen, zwei verschiedene Ebenen nicht zu vermischen: das Aussehen und die Gesundheit.
Genauer überlegen, wann etwas zu #bodypositivity passt – und wann nicht
Vielleicht wäre eine Lösung, den Hashtag bzw. den Begriff nicht weiter inflationär zu benutzen. Auf Instagram, X (ehemals Twitter) und TikTok wurde er bereits je millionenfach verwendet. Die unermessliche Zahl selbst deutet schon an, dass wohl nicht jeder immer genau überlegt, ob der Hashtag zu seinem persönlichen Content wirklich passt. Ich bin jetzt mal so frei, zu behaupten, dass viele User auf einen Trend-Zug aufspringen, ohne sich Gedanken zu machen, welche Botschaft sie dabei vermitteln.
Wie wäre es, vielleicht nicht nur mit dem Erscheinungsbild offen umzugehen, sondern auch mit Informationen zur Gesundheit? Nach dem Motto: Ich weiß, ich muss sportlicher werden und mich besser ernähren, denn ich habe Bluthochdruck. Aber auf dem Weg dahin feiere ich mich zugleich auch so, wie ich bin. Schließlich kann man sich selbst akzeptieren und schön finden und dennoch gesünder und fitter werden wollen. Anders verhält es sich z. B. bei einem Lipödem als Ursache für Übergewicht. Die aufgrund dieser Erkrankung erhöhte Fettansammlung sorgt sicherlich vielfach für optischen Leidensdruck und weiteren Beschwerden wie etwa Schmerzen, ist darüber hinaus aber erst einmal nicht weiter gesundheitsgefährdend – etwa für die Organe, allen voran das Herz.
Was ich mir von „Body Positivity“ wünsche
Vor dem Hintergrund würde ich mir wünschen, den Hype wieder etwas herunterzuschrauben. Für mich sollte „Body Positivitiy“ dazu dienen, alle Körperformen sichtbar zu machen, aber ohne Glorifizierung. Warum nicht auch klar benennen, welche Geschichten und Herausforderungen hinter den verschiedenen Körpern stecken? Auch das wäre eine Form der Sichtbarkeit und würde die Scham, die mit vielen Leiden noch immer einherzugehen scheinen, abbauen.
Zugleich würde das auch den Druck nehmen, sich nun schön finden zu müssen. Denn mal ehrlich, Ermutigung durch #bodypositivity hin oder her: Finde ich mich am Samstag attraktiv, kann ich mein Aussehen bereits am Sonntag schon nicht mehr leiden! Kommt Ihnen das vielleicht bekannt vor?
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Selbstliebe bedeutet, auch an sich zu arbeiten
Ein weiterer Gedanke, den der bereits erwähnte Mediziner in der ZDF-Sendung formulierte: Ist es nicht auch Selbstliebe, an sich zu arbeiten?
Während man unveränderbare Merkmale – ich schließe Beauty-Eingriffe an dieser Stelle einmal aus – wie Sommersprossen, eine „große“ Nase, Narben usw. akzeptiert, kann man andererseits genauso akzeptieren, dass es gut wäre, bestimmte Aspekte zu verändern. Selbstliebe würde dann bedeuten, (im medizinischen Sinne) bestmöglich mit dem eigenen Körper umzugehen. Das umfasst eine ausgewogene Ernährung und Bewegung genauso wie Vorsorgeuntersuchungen. Diese Strategie führt nicht nur zu einem gesünderen, fitteren und frischerem Aussehen, sondern kann auch durch Lifestyle bedingte Erkrankungen vorbeugen.