29. Januar 2024, 20:19 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Bluthochdruck ist der weltweit führende Faktor für Schlaganfall und Herzinfarkt – das allein macht klar, dass er dringend in den Griff zu bekommen ist. Weniger bekannt ist die Erkenntnis, dass er auch neurotisch macht. Stimmt das wirklich?
Der Zusammenhang zwischen körperlicher und geistiger Gesundheit ist Gegenstand vieler Studien. 2022 beschäftigten sich Forscher aus Shanghai mit den psychischen Folgen von erhöhtem Blutdruck. Ihre These: Menschen mit Bluthochdruck haben ein erhöhtes Risiko, die Welt sehr negativ wahrzunehmen. Mit anderen Worten: Bluthochdruck macht Angst. Das ist durchaus interessant, weil fast jeder dritte Erwachsene in Deutschland im Laufe seines Lebens die Diagnose Bluthochdruck erhält.1 Sind diese Menschen alle potenziell neurotisch? Verändert Bluthochdruck die Persönlichkeit? FITBOOK hat sich die Studie genauer angesehen.
Übersicht
Studie zu Blutdruck- und Persönlichkeitsmerkmalen
Forschende der Shanghai Jiao Tong University wollen festgestellt haben, dass der diastolische Blutdruck mit emotionaler Labilität in Verbindung steht. Gemeint ist der sogenannte Neurotizismus – eine Persönlichkeitseigenschaft bzw. -Dimension von Menschen, die als ängstlich, launisch, empfindlich, depressiv, reizbar und labil beschrieben werden. Vereinfacht ausgedrückt, behaupten die Forscher also, Bluthochdruck mache neurotisch.
Diesen vermeintlich kausalen – also ursächlichen – Zusammenhang zwischen Bluthochdruck und Neurotizismus hat in diesem Fall eine sogenannte Mendelsche Randomisierung zutage gebracht. Mit der Methode lassen sich kausale Beziehungen zwischen genetischen Risikofaktoren und gesundheitlichen Auswirkungen vergleichen.
Konkret betrachteten die Forschenden Genomdaten von über 700.000 Menschen hinsichtlich genetischer Anzeichen für verschiedene Persönlichkeitsmerkmale sowie bestimmte genetische Varianten, von denen man weiß, dass sie für die Blutdruck-Merkmale verantwortlich sind: den systolischen sowie diastolischen Blutdruck, Pulsdruck sowie Bluthochdruck (über 140/90 mmHg) – dieser Wert gilt als Bluthochdruck, der medikamentös behandelt werden sollte.
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Hohe Übereinstimmung bei Bluthochdruck und Neurotizismus
Am Ende zeigte sich eine Übereinstimmung von beeindruckenden 90 Prozent zwischen Neurotizismus und einem hohen diastolischen Blutdruck – sprich: es besteht durchaus ein Zusammenhang zwischen einem Bluthochdruck und der Persönlichkeit.
So hätten Menschen mit Hypertonie ein erhöhtes Risiko, die Welt sehr negativ wahrzunehmen, schreiben die Autoren. Betroffene könnten Stress nicht gut verarbeiten, hätten sich in belastenden Situationen weniger gut unter Kontrolle und würden zu psychosomatischen (psychophysiologischen) Störungen neigen, heißt es in der Studie, die in der Fachzeitschrift General Psychiatry veröffentlich wurden.2
Gemeint sind Krankheiten, die sowohl von der psychischen Seite (Persönlichkeitsstruktur, Konflikte, biografische Belastungen) als auch von der physiologischen Seite (erhöhte Adrenalinausschüttung, verstärkte Magensekretion, Histaminausschüttung und eben Bluthochdruck) fassbar sind. Psychosomatische Symptome sind etwa Kopfschmerzen, Schwindel, Herzrasen, Atemnot, Schweißausbrüche … häufig hervorgerufen und verstärkt durch seelische Belastungen wie Trauer, Stress oder Angst.3
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Fazit – verändert Bluthochdruck die Persönlichkeit? Weshalb die These gewagt ist
Ohne Zweifel: Erlebter Stress, etwa ausgelöst durch Neurotizismus, kann zu erhöhtem Blutdruck und weiter Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Diese Wirkungsrichtung ist lange bekannt und plausibel. Aus der hohen Übereinstimmung jedoch eine Kausalität in die andere Richtung abzuleiten, scheint allerdings etwas gewagt – auch wenn die gewählte statistische Methode große Stichprobenumfänge mit kausalen, also ursächlichen, Vergleichen erlaubt. Viel schwerwiegender als die Frage, ob Bluthochdruck die Persönlichkeit verändert, sind seine dramatischen Folgen für die Gesundheit: Eine Hypertonie erhöht das Risiko für Schlaganfälle, Sehstörungen, Demenz, Herzinfarkt sowie Herzschwäche, Nierenversagen – mehr zu den dramatischen Folgen und wie man der Erkrankung vorbeugen kann, lesen Sie hier.
Die Beziehung zwischen psychischer Gesundheit, Emotionen und Blutdruck müsse nun weiter erforscht werden, denn: Neurotizismus ist in all seinen Dimensionen – emotionale Verfassung, Labilität, Gehemmtheit – ein komplexes Merkmal. Eine mögliche umgekehrte ursächliche Beziehung, dass nämlich ein erhöhter Neurotizismus über erhöhten Stress einen erhöhten Blutdruck verursachen könnte, hatten die Autoren der Studie durch die Methodik weitgehend ausgeschlossen. Denkbar sei auch eine Einschränkung der vorliegenden Studienergebnisse dadurch, dass hauptsächlich genetische Informationen aus europäischen Populationen einflossen.