2. September 2024, 13:28 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Bittere Lebensmittel könnten womöglich Ihr Leben retten! Forscher aus Japan liefern Hinweise darauf, dass Bitterstoffe offenbar das Risiko für Diabetes Typ 2 und Adipositas senken können. Polyphenole docken an Rezeptoren auf der Zunge und im Magen-Darm-System an und setzen dort das Hormon Inkretin frei, welches an der Unterdrückung des Appetits beteiligt ist. Ersetzen Bitterstoffe bald Ozempic und Co.?
Bitterstoffe (Polyphenole) sind Antioxidantien, die als solche ein gewaltiges Potenzial haben: Sie können Körperzellen vor Alterung und vor Schäden durch Umwelteinflüsse, Rauchen oder dem Verzehr ungesunder, hoch verarbeiteter Lebensmittel schützen. Polyphenole kommen in natürlichen Lebensmitteln wie Grapefruits, Fenchel oder Rosenkohl vor, klassische Bitterkräuter sind Löwenzahn oder Rosmarin. Ihre Wirkung ist lange bekannt, seit dem Mittelalter werden Bitterstoffe für ihren gesundheitlichen Nutzen geschätzt: Sie regeln die Verdauungssäfte im Körper an und unterstützen die Leber bei der Entgiftung. Japanische Forscher wollten den Zusammenhang zwischen Polyphenolen, Bittergeschmackrezeptoren in Magen und Darm sowie die sich daraus ergebenden gesundheitlichen Vorteile besser verstehen. Dafür analysierten die Forscher die bestehende Studienlage zur möglichen Wirkung von Bitterstoffen. Das Ergebnis ihrer Analyse könnte weitreichende Folgen für die Prävention der Volkskrankheit Diabetes mellitus haben, an der in Deutschland sind 6,7 Millionen Menschen erkrankt sind. Schätzungsweise zwei Millionen wissen noch nicht von ihrer Erkrankung.1
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Übersicht
- Was sind Bitterstoffe (Polyphenole) und worin sind sie reichlich enthalten?
- Rezeptoren auf Zunge, in Magen und Darm – so wirken Bitterstoffe
- Hoffnung bei Adipositas und Diabetes – Bitterstoffe können Glukosetoleranz verbessern
- Wie geht das? Polyphenole fördern Absonderung von GLP-1
- Weniger Nebenwirkungen – lösen Bitterstoffe zukünftig GLP-1-Analoga wie Ozempic ab?
- Quellen
Was sind Bitterstoffe (Polyphenole) und worin sind sie reichlich enthalten?
Polyphenole sind eine Art chemischer Stoff, der in natürlichen Lebensmitteln vorkommt, aber auch künstlich hergestellt werden kann. In der Natur bieten sie Pflanzen einen natürlichen Schutz gegen Fressfeinde. Wir Menschen haben sensible Geschmackssensoren für Bitteres – denn so konnten unsere Vorfahren giftige Inhaltsstoffe in Pflanzen wahrnehmen. Bitterstoffe etwa in Kürbissen, Zucchinis oder Gurken können sogenannte – bitter schmeckende – Cucurbitacine bilden, die zu Übelkeit, Erbrechen und Durchfall führen können. Doch der Großteil der insgesamt über 8000 Polyphenolen, die für den bitteren Geschmack in Pflanzen sorgen, sind überaus gesund.
Hier stecken natürliche Bitterstoffe drin: Artischocken, Brokkoli, Aubergine, Rosenkohl, Spargel, Fenchel, Sellerie, Spinat oder Radieschen enthalten. Auch die Salatsorten Radicchio, Rucola, Endivie und Chicorée warten reichlich mit Bitterstoffen auf. Genauso wie Grapefruits, Pomelos und Zitronen. Zu den klassischen Bitterkräutern gehören Beifuß, Ingwer, Kardamom, Lavendel, Löwenzahn, Rosmarin, Salbei, Schwarzkümmel, Zimt und Wermut. Tipp: Je natürlicher eine Pflanze wachsen durfte, desto mehr Bitterstoffe enthält sie.
Rezeptoren auf Zunge, in Magen und Darm – so wirken Bitterstoffe
Bitterstoffe regen die Verdauungssäfte im Körper an. Zunächst reizen sie die Bittergeschmackrezeptoren (TR2 genannt) auf der Zunge, wodurch der Speichelfluss gesteigert wird und die darin enthaltenen Enzyme mit der Vorverdauung starten. Auch im Magen und später im Darm docken die Polyphenole noch einmal an TR2-Rezeptoren an: Der Magen produziert vermehrt Salzsäure, wodurch die Magenschleimhaut besser durchblutet wird. Auch in Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse und Darm wird die Ausschüttung von Verdauungssäften und -enzymen gefördert. Bei Morbus-Crohn-Patienten etwa können sich Polyphenole positiv auf den Verlauf der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung auswirken.2
Hoffnung bei Adipositas und Diabetes – Bitterstoffe können Glukosetoleranz verbessern
Ihr breitestes Potenzial entfalten Bitterstoffe jedoch in der Prävention von Übergewicht, speziell Adipositas, und den damit verbundenen Krankheiten, von denen so viele Menschen betroffen sind und die zu einer exzessiven Mortalität führen (siehe metabolisches Syndrom, dem in der Regel eine Insulinresistenz zugrunde liegt). Polyphenole können die Glukosetoleranz verbessern.
Bei jedem zweiten Mann und jeder dritten Frau ab 50 Jahren entwickelt sich ein Typ-2-Diabetes, wenn Adipositas vorliegt.3 Bei diesen Menschen kann der Körper das Hormon Insulin nicht ausreichend nutzen. Folglich bleibt der Zucker im Blut, der Blutzuckerspiegel steigt: Die Glukosetoleranz ist gestört.
Um den Zusammenhang zwischen Polyphenolen, Bittergeschmackrezeptoren im Magen-Darm-System und der Glukosetoleranz genau zu verstehen, startete Naomi Osakabe, Professorin der Abteilung für Biowissenschaften am Shibaura Institute of Technology in Japan, eine umfangreiche Review, die nun vorgestellt wurde. Sie und ihr Team analysierten Studien, die sich mit eben diesem Thema bereits auseinandergesetzt hatten und zu spannenden Ergebnissen gekommen waren. Diese fügten die japanischen Forscher nun zu einem großen Bild zusammen.4
Wie geht das? Polyphenole fördern Absonderung von GLP-1
Die Wissenschaftler fanden heraus: Der Schlüssel zur positiven Wirkung auf die Glukosetoleranz liegt in der Absonderung von Darmhormonen, die an der Unterdrückung des Appetits beteiligt sind. Sie werden abgesondert, wenn die Bittergeschmackrezeptoren in Magen und Darm gereizt werden. Genauer ist die Rede von Ikretinen und Cholexystokinin. Cholecystokinin – zu Deutsch: Gallenblasenbeweger – ist beteiligt an der Auslösung des Sättigungsgefühls. Inkretine hemmen, genauso wie das Medikament Semaglutid, die Produktion des Insulin-Gegenspielers Glukagon. Um das zu bewirken, ahmt Semaglutid das Darmhormon Glucagon-like Peptide-1 (kurz: GLP-1) nach. Polyphenole fördern die Absonderung von GLP-1– auf natürliche Weise.
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Weniger Nebenwirkungen – lösen Bitterstoffe zukünftig GLP-1-Analoga wie Ozempic ab?
Osakabe ist nicht glücklich damit, Typ-2-Diabetes und Adipositas nur noch mit sogenannten „Abnehmspritzen“ bzw. Diabetesmedikamenten – also Wirkstoffen wie Semaglutid in etwa Ozempic – zu bekämpfen. Mit ihrer Forschung setzt sie sich dafür ein, neue Wege zu entwickeln, Blutzuckerspiegel und Appetit zu regulieren. Sie weist darauf hin, dass jene Medikamente auch missbraucht würden, um Fettleibigkeit vorzubeugen, indem sie den Appetit unterdrücken. „Diese Medikamente haben immer Nebenwirkungen und sind daher eine riskante Wahl für die Verwendung durch die Allgemeinbevölkerung zur Vorbeugung von Fettleibigkeit und Diabetes“, zitiert „Medical News Today“ die Forscherin.
Anders Polyphenole: Sie seien im Blut „praktisch nicht vorhanden“ und verursachten „nachweislich nur wenige Nebenwirkungen“. Okasabe argumentiert: „Wir glauben, dass die Einnahme von Polyphenolen vorzuziehen ist, da diese sicherer sind und ähnliche Wirkungen zeigen. Angesichts der oben genannten Punkte besteht das Potenzial, aktuelle GLP-1-gerichtete Medikamente zu ersetzen.“