16. August 2024, 16:27 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Schon mal das Gefühl gehabt, über Nacht gealtert zu sein? Vielleicht lagen Sie damit gar nicht so falsch. Denn der körperliche Alterungsprozess läuft nicht so kontinuierlich ab, wie wir, die wir doch einmal pro Jahr das (chronologische) Älterwerden feiern, meinen. Wie US-Forscher herausfanden, macht das biologische Alter zu mehreren Zeitpunkten im Leben einen Sprung – womit auch das Risiko für diverse Krankheiten abrupt ansteigt.
Das Altern ist ein komplexer Prozess, der in nahezu allen Krankheitsbildern eine Rolle spielt. Für ein langes, gesundes Leben ist es entscheidend, die molekularen Veränderungen des Alterungsprozesses zu verstehen. Da sich zu bestimmten Zeitpunkten im Leben altersbedingte Krankheiten häufen, ist es wichtig, auch nicht-lineare molekulare Veränderungen zu untersuchen. Forscher der Stanford University in Kalifornien identifizierten zwei Sprünge, welche unser biologisches Alter machen soll. Einer findet offenbar nach 44 und der zweite nach 60 Jahren statt.1
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Übersicht
- Forscher untersuchten tausende verschiedene Moleküle
- Mit 44 und 60 Jahren macht unser biologisches Alter einen Sprung
- Die Veränderungen in den 40ern kamen überraschend
- Alterssprünge beeinflussen das Risiko für Krankheiten
- Einordnung der Studie
- Ältere Stanford-Studie fand drei Alterssprünge
- Ergebnisse decken sich mit diversen Mäuse-Studien
- Bestimmung des biologischen Alters könnte frühzeitig auf Erkrankungen hinweisen
- Quellen
Forscher untersuchten tausende verschiedene Moleküle
An der Kohortenstudie nahmen 108 Probanden im Alter zwischen 25 und 75 Jahren teil. Diese gaben alle paar Monate Blut- und Stuhlproben sowie Haut-, Mund- und Nasenabstriche ab. Die durchschnittliche Beobachtungszeit betrug 1,7 Jahre, wobei die längste sogar knapp sieben Jahre dauerte. Im Schnitt gab so jeder Proband 47 Proben ab, welche die Wissenschaftler auf 135.000 verschiedene Moleküle (RNA, Proteine und Metaboliten) sowie Mikroben (Bakterien, Viren und Pilze im Darm und auf der Haut der Teilnehmer) untersuchten.
Mit 44 und 60 Jahren macht unser biologisches Alter einen Sprung
Die Wissenschaftler stellten fest, dass rund 81 Prozent aller untersuchten Moleküle im menschlichen Körper deutliche Veränderungen in ihrer Häufigkeit durchlaufen. Diese Veränderungen sind nicht linear, sondern treten in zwei klar abgegrenzten Altersphasen besonders stark auf: Mitte der 40er-Jahre und erneut Anfang der 60er-Jahre. Dabei zeigen die Molekülprofile in diesen beiden Phasen leicht unterschiedliche Muster. Während manche Moleküle und Mikroben in diesen Zeiträumen eine Zunahme durchlaufen, nimmt die Anzahl anderer ab. Das kann auf bedeutende biologische Umstellungen in diesen Lebensabschnitten hindeuten.
Die Veränderungen in den 40ern kamen überraschend
Dass in den frühen 60ern starke Veränderungen auftreten, war für die Wissenschaftler erwartbar. Studienautor Snyder erklärte in einer Pressemitteilung der Universität, dass bekannt sei, dass viele altersbedingte Krankheitsrisiken und andere altersbedingte Phänomene in diesem Lebensalter zunähmen.2 Doch die Häufung von Veränderungen in den Mittvierzigern kam überraschend.
Zunächst gingen die Forscher davon aus, dass die Meno- oder Perimenopause der weiblichen Teilnehmer Ursache für den Sprung in den Daten sei und die Ergebnisse für die gesamte Studienpopulation verzerre. Als sie die Teilnehmer jedoch nach Geschlecht aufgeschlüsselt analysierten, stellten sie fest, dass die Veränderung auch bei Männern gleichen Alters auftrat.
Erstautor Xiaotao Shen erläutert diese Ergebnisse: „Dies deutet darauf hin, dass zwar die Menopause oder Perimenopause zu den Veränderungen beitragen kann, die bei Frauen Mitte 40 beobachtet werden, es aber wahrscheinlich andere, bedeutendere Faktoren gibt, die diese Veränderungen sowohl bei Männern als auch bei Frauen beeinflussen. Die Identifizierung und Untersuchung dieser Faktoren sollte bei künftigen Forschungen Priorität haben.“
Alterssprünge beeinflussen das Risiko für Krankheiten
Der Sprung in den mittleren 40ern zeigte Veränderungen in Molekülen, die mit dem Stoffwechsel von Lipiden, Koffein und Alkohol sowie mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Funktionsstörungen von Haut und Muskeln in Zusammenhang stehen. Der Sprung in den frühen 60ern wurde mit dem Kohlenhydrat- und Koffeinstoffwechsel, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Haut- und Muskelerkrankungen, der Immunregulation und der Nierenfunktion in Zusammenhang gebracht.
Einordnung der Studie
Da die Studie primär die Unterschiede zwischen Individuen widerspiegelt, können aufgrund der unterschiedlichen Altersverteilung der Teilnehmer zusätzliche Störfaktoren vorhanden sein, die unberücksichtigt blieben. So hatten die Wissenschaftler bspw. deutliche Unterschiede im Alkohol- und Koffeinstoffwechsel im Alter von etwa 40 und 60 Jahren festgestellt. Diese Ergebnisse könnten jedoch durch den Lebensstil der Teilnehmer beeinflusst sein, wie Sport, Alkohol- und Koffeinkonsum. Detaillierte Daten zum Verhalten wurden jedoch nicht erhoben.
Letztlich erklären die Autoren der Studie auch die Teilnehmeranzahl von 108 Personen als Schwäche, da diese für die Untersuchung nicht-linearer Zusammenhänge gering sei. Sie planen in Zukunft, die Ursachen der Alterssprünge zu erforschen. Doch was auch immer diese sind, Snyder schließt aus der Studie: „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir versuchen sollten, unseren Lebensstil anzupassen, solange wir noch gesund sind.“
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Ältere Stanford-Studie fand drei Alterssprünge
Bereits 2019 veröffentlichte ein Forschungsteam der Universität Stanford eine Studie, in welcher sie die Entwicklung des biologischen Alters untersuchten. Im Unterschied zu der aktuellen Studie ihrer Kollegen konzentrierten sie sich hierbei lediglich auf 2925 Plasmaproteine aus Blutproben. Diese wurden einmalig entnommen und nicht über einen längeren Zeitraum. Das Haut- und Darmmikrobiom blieb unbeachtet. Es nahmen 4263 Probanden im Alter zwischen 18 und 95 Jahren teil.
Das Ergebnis: Der Anteil der Eiweißstoffe blieb über Jahrzehnte weitestgehend konstant. Aber: Bei drei Lebensjahren wurden große Schwankungen festgestellt. Mit etwa 24, 60 und 78 Jahren machte das biologische Alter laut der Studie regelrechte Sprünge.3 Da die ältesten Teilnehmer der oben beschriebene Studie nur 75 Jahre alt waren, bleibt offen, ob auch dort Veränderungen der Moleküle und des Mikrobioms jenseits der 75 aufgetreten wären. Auch zeigte die aktuelle Studie keine signifikanten Veränderungen bei 24-Jährigen.
Nichtsdestotrotz gelang es den Forschern bereits 2019, mit ihrem neuen, „disziplinübergreifenden Ansatz“ das Lebensalter der Probanden anhand derer Blutproben zuverlässig zu bestimmen, mit einer Abweichung um jeweils höchstens drei Jahre.
Ergebnisse decken sich mit diversen Mäuse-Studien
Forscher der Universität Berkeley führten 2005 und 2020 Tierversuche zum biologischen Alter durch. Diese stellten fest, dass das Blutplasma Informationen über das Alter gibt und dieses auch beeinflusst. Durch die Erzeugung von siamesischen Zwillingen aus einer jungen und einer alten Maus – sodass sich die Mäuse Blut und Organe teilten – kam es zur Umkehrung des Alterungsprozesses bei den alten Mäusen.4 Weiterhin konnten sie nachweisen, dass das Verdünnen des Blutplasmas alter Mäuse bereits für einen das Alter umkehrenden Effekt ausreichte.5
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Bestimmung des biologischen Alters könnte frühzeitig auf Erkrankungen hinweisen
Die Erkenntnisse könnten dabei helfen, anhand des biologischen Alters von Patienten altersbedingte Erkrankungen vorherzusehen und mit einer entsprechenden Behandlung zu beginnen. Bei Alzheimer etwa verhält es sich so, dass sich die negative Entwicklung der Symptome (u.a. Gedächtnisstörungen, körperliche Fehlfunktionen, Demenz) besser im Zaum halten lassen, je früher die Diagnose gestellt und die Therapie begonnen wurde.