23. Oktober 2024, 16:35 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Während man seit Jahren immer wieder Umweltfaktoren aufdeckt, die das Risiko für Krebserkrankungen erhöhen, scheinen Forschungen zur Heilung häufig in einer Sackgasse zu enden. Erkenntnisse einer aktuellen Studie wecken jetzt neue Hoffnung auf diesem Gebiet.
Eigentlich findet man die sogenannten Schizosaccharomyces-pombe-Zellen vor allem in den Bierbrauereien. Denn dabei handelt es sich um Bierhefe, die ein essenzieller Bestandteil des Allerweltsgetränks ist. Und ebendiese Form der Hefe ist auch unter den Wissenschaftlern beliebt – nicht aber etwa als Feierabendbier. Die Zellen der Bierhefe ähneln den menschlichen Zellen, sodass man sie häufig als Modellorganismen verwendet. Eine neue Studie mit S. pombe liefert nun auch erste Hinweise darauf, dass die Bierhefe in Zukunft vielleicht gegen Krebs eingesetzt werden könnte.
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Übersicht
Hungrige Hefezellen passen sich an
Die Forscher des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie (EMBL) Heidelberg und der University of Virginia School of Medicine wollten in ihrer Studie eigentlich untersuchen, wie Zellen auf einen Nährstoffmangel reagieren.1 Da, wie bereits erwähnt, S. pombe den menschlichen Zellen sehr ähneln, verwendeten sie diese für ihre Untersuchungen. Dass die Erkenntnisse über die Bierhefe später zur Forschung für Krebs dienen könnten, war zu Anfang ihrer Studie noch nicht absehbar gewesen.
Die Wissenschaftler setzten die Hefezellen in ihrer Studie Hunger aus. Dabei stellten sie fest: Ihre Mitochondrien, also die Kraftwerke der Zelle, werden als Reaktion von den sogenannten Ribosomen umhüllt, die wiederum Proteine produzieren. „Eine Möglichkeit für eine Zelle, Stressfaktoren tagelang zu überstehen, besteht darin, ihren Energieverbrauch auf ein Minimum zu reduzieren“, erklärte Olivier Gemin, Postdoktorand im Team von Studienleiter Simone Mattei.2 „Die Produktion von Proteinen erfordert viel Energie, die durch die Blockierung von Ribosomen eingespart werden kann.“ Demzufolge sei es typischer, dass das Proteinkraftwerk eher abgestellt werde, als dass die Ribosome sich nach außen kehren und die Mitochondrien umhüllen würden – und die beobachtete Reaktion der Zellen auf den Hunger daher überraschend.
Diesem Phänomen gingen die Wissenschaftler auf den Grund. Hierfür kultivierten sie S. pombe mit Glucose, um anschließend die Ribosome isolieren zu können. Das geschah mittels einer speziellen Zentrifugation. Nachdem man die Proteinfabriken isoliert hatte, wendete man zwei wissenschaftliche Verfahren an: die Einzelpartikel-Kryoelektronenmikroskopie und Kryoelektronentomografie.
Zellen werden in „Winterschlaf“ versetzt
Unter dem Mikroskop stellten die Experten dann fest, dass die Ribosome der hungrigen Hefezellen nichts produzieren, während sie auf der Oberfläche der Mitochondrien haften. Die Wissenschaftler beschreiben diesen Zustand als eine Art „Winterschlaf“, der den Zellen beim Überleben hilft. „Bisher war bekannt, dass Ribosomen nur über ihre große Untereinheit mit Membranen interagieren. Doch in ausgehungerten Zellen haben wir gesehen, dass sie dies umgekehrt tun, nämlich über die kleine Untereinheit!“, erklärt Teamleiter Simone Mattei die Bedeutung dieses bislang unbekannten Verhaltens von Hefezellen. Die kleine Untereinheit ist im Ribosom für die Entschlüsselung der genetischen Information verantwortlich.
„Es könnte verschiedene Erklärungen geben“, so Mattei.3 „Eine ausgehungerte Zelle beginnt irgendwann, sich selbst zu verdauen, sodass die Ribosomen die Mitochondrien möglicherweise umhüllen, um sie zu schützen. Sie könnten sich auch anheften, um eine Signalkaskade innerhalb der Mitochondrien auszulösen.“
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Bedeutung für die Krebsforschung
Aber was hat dieses Verhalten der Zellen von Bierhefe mit Krebs zu tun? Die Art und Weise, wie die Hefezellen auf Hunger reagieren, weist Ähnlichkeiten mit den Krebszellen auf. Denn die Zellen eines aggressiven Tumors wachsen so schnell, dass ihr Nährstoffbedarf zunächst nicht gedeckt werden kann. Bedeutet: Auch Krebszellen hungern ständig und fallen in einen Ruhezustand, um zu überleben und dem Immunsystem zu entfliehen.
„Deshalb müssen wir die Grundlagen der Anpassung an Hunger verstehen und wissen, wie diese Zellen in einen Ruhezustand versetzt werden, um zu überleben und dem Tod zu entgehen“, betont Co-Autor Ahmad Jomaa, Assistenzprofessor und Gruppenleiter an der medizinischen Fakultät der University of Virginia. „Dazu verwenden wir zunächst Hefe, weil wir diese viel einfacher manipulieren können. Darüber hinaus versuchen wir auch, kultivierte Krebszellen auszuhungern, was nicht einfach ist, um herauszufinden, wie sie den Hunger überwinden und manchmal zu einem Rückfall der Krebserkrankung führen können.“
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Einordnung der Studie
Die Forschung hat nicht nur einen bislang unentdeckten Prozess bei hungrigen Zellen der Bierhefe aufgedeckt, sondern vielleicht auch einen wichtigen Meilenstein in der Erforschung der Heilungsmethoden von Krebs gelegt. Und dennoch: Es müssen Studien an diese Erkenntnisse anknüpfen, um den Mechanismus zu verstehen. Erst dann kann man Wege finden, um die Behandlung von Krebs zu verbessern, indem man die Zellen aushungern lässt.
Des Weiteren handelt es sich hierbei um eine reine Laborstudie. Das bedeutet, dass nicht klar ist, ob sich die Erkenntnisse bei Hefezellen tatsächlich auf die Prozesse von Krebszellen im menschlichen Körper abbilden lassen.