9. Oktober 2024, 13:49 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Wer nach 1945 geboren ist, hat offenbar mit einem schlechteren Gesundheitsstatus zu kämpfen als gleichaltrige vorherige Generationen – so eine Studie. Forscher sprechen von einer „Generationenverschiebung der Gesundheit“. Wie diese aussieht und welche Ursachen die Wissenschaftler vermuten, erklärt FITBOOK-Redakteurin Sophie Brünke.
Forscher der Universität Oxford und des University College London veröffentlichten kürzlich überraschende Studienergebnisse. Offenbar leben Babyboomer zwar länger, sind aber kränker als ihre Vorgänger. Und das, obwohl die Medizin weiterhin Fortschritte macht und das öffentliche Gesundheitsbewusstsein wächst.
Jetzt dem FITBOOK-Kanal bei Whatsapp folgen!
Übersicht
Gesundheitsdaten von mehr als 100.000 Menschen gesammelt
In der Vergangenheit gingen Rückgänge der Sterblichkeitsraten oft mit einer Verbesserung der körperlichen Gesundheit über mehrere Generationen einher. Doch trotz steigender Lebenserwartung in vielen Ländern mit hohem Einkommen gibt es laut den Studienautoren Hinweise darauf, dass dieser positive Trend bei der jüngeren Generation, insbesondere in den USA, ins Stocken geraten könnte. Jüngere Menschen weisen dort eine schlechtere Gesundheit auf als frühere Generationen im gleichen Alter. Deshalb machten die Wissenschaftler es sich zur Aufgabe, zu prüfen, ob dieses Phänomen auch in anderen Regionen zu beobachten ist. Hierfür verglichen sie die Generationentrends in den USA, England und Kontinentaleuropa miteinander.1
Alle verwendeten Daten stammen aus landesweit repräsentativen Studien mit Erwachsenen im Alter von mindestens 50 Jahren und wurden zwischen 2004 und 2018 erhoben. Insgesamt wurden 114.526 Personen zu ihrem Gesundheitsstatus interviewt:
- 26.939 aus den USA
- 14.992 aus England
- 72.595 aus elf kontinentaleuropäischen Ländern
Hauptaugenmerk der Wissenschaftler lag auf chronischen Erkrankungen, Aufzeichnungen zu Mobilitätsproblemen und Behinderungen sowie Daten zu BMI, Griffstärke und Blutdruck.
Auch interessant: Diese Faktoren entscheiden über gesundes Altern
Diabetes, hohe Cholesterinwerte und Herzprobleme
Insgesamt hat die alters- und geschlechtsangepasste Prävalenz von chronischen Krankheiten in den USA und Europa zugenommen. Dabei nahm die Zahl der Diabetes-Erkrankungen im gleichen Maße zu, während die Zahl der Krebs- und Herzerkrankungen sowie der erhöhten Cholesterinwerte in England und Kontinentaleuropa am stärksten zunahm. Lungenerkrankungen und Bluthochdruck nahmen wiederum in Europa und den USA am stärksten zu. Die kontinentaleuropäischen Babyboomer litten zudem fast dreimal häufiger an chronischer Bronchitis oder Emphysem als früher Geborene.
Die Studie zeigt ebenfalls, dass jüngere Generationen in allen Regionen, mit Ausnahme von Südeuropa (Italien, Spanien und Griechenland), häufiger an Übergewicht leiden als frühere Generationen. In Skandinavien stieg der Body-Mass-Index (BMI) am stärksten. In Dänemark und Schweden war das Risiko der Babyboomer an Adipositas zu erkranken um das Anderthalbfach bei den Babyboomern erhöht, im Vergleich zu früher geborenen Altersgenossen.
Mobilität und Behinderungen
Während die Invaliditätsraten bei den Vorkriegsgenerationen zurückgingen, verlangsamte sich dieser Trend bei den später geborenen Generationen oder kehrte sich sogar um. Die betrifft sowohl isolierte Mobilitätseinschränkungen als auch leichte, mittelschwere sowie schwere Behinderungen. So zeigte sich beispielsweise, dass die britischen Babyboomer fast eineinhalbmal häufiger Schwierigkeiten hatten, drei oder mehr Aufgaben der persönlichen Pflege zu erledigen, wie Waschen oder Essen, als ihre früher geborenen Altersgenossen im gleichen Alter.
Einordnung der Studie
Die Stärken der Studie liegen in der Verwendung groß angelegter, harmonisierter Datensätze aus mehreren Ländern sowie einem standardisierten methodischen Ansatz. Besonders hervorzuheben ist die Berücksichtigung möglicher Auswahlverzerrungen durch ein rechnerisches Wahrscheinlichkeitsmodell. Denn Auswahlfehler (es nehmen nur Personen teil, die ein Interesse am Thema haben) könnten andernfalls das Ergebnis verfälschen. Ein weiteres Plus ist das breite Spektrum untersuchter Gesundheitsergebnisse, welches ein besseres Verständnis der gesellschaftlichen Auswirkungen von Generationstrends auf die körperliche Gesundheit bietet.
Einschränkungen der Studie bestehen darin, dass es trotz ähnlicher Studiendesigns Unterschiede in den Datensätzen gibt (z. B. Zeitpunkt der Erhebungen und gemessene Variablen). Außerdem wurden einige Krankheitskategorien (z. B. Herzprobleme, Krebs) sehr allgemein erfasst, was die Interpretation erschwert. Zuletzt führen die Autoren auf, dass die eingeteilten Generationen nicht in exakt überlappenden Altersgruppen beobachtet wurden, was zu möglichen Verzerrungen bei älteren Generationen führte.
Laut Studie Jüngere Generationen für 17 Krebsarten mehr gefährdet als ältere
Studie Der dramatische Einfluss der Frührente auf das Demenzrisiko
Forscher schlagen Alarm An Darmkrebs erkranken immer mehr jüngere Menschen
Bedeutung für das Gesundheitssystem
Hauptautorin der Studie, Laura Gimeno, äußert sich in einer Pressemitteilung des University College London besorgt. „Trotz medizinischer Fortschritte und eines größeren öffentlichen Bewusstseins für eine gesunde Lebensführung sind Menschen, die nach 1945 geboren wurden, einem höheren Risiko chronischer Krankheiten und Behinderungen ausgesetzt als ihre Vorgänger. Da in westlichen Ländern mit hohem Einkommen mittlerweile bis zu einem Fünftel der Bevölkerung über 65 Jahre alt ist, werden die steigenden Anforderungen an die Gesundheits- und Sozialfürsorge enorme Auswirkungen auf die Staatsausgaben haben.“ Sie führt jedoch an, dass die Ergebnisse nicht zwangsläufig eine schlechtere Lebensqualität der Babyboomer mit sich ziehen würde. Vorausgesetzt, ihre Erkrankungen würden gut behandelt werden. Verbringen sie jedoch viele Jahre in schlechter Gesundheit, könnten die Ausgaben im Gesundheits- und Sozialbereich erheblich steigen.2