23. August 2023, 4:35 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Nimmt die Coronapandemie im Herbst 2023 wieder an Fahrt auf? Experten beobachten jedenfalls aktuell die Entwicklung von gleich drei neuen Virusvarianten. Von diesen gibt vor allem eine Anlass zur Sorge. FITBOOK-Medizin-Redakteurin Melanie Hoffmann erklärt, um welche es sich handelt – und warum.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Eris (EG.5) und Fornax (FL1.5.1) als „Varianten von Interesse“ eingestuft. Die beiden von der Omikron-Linie XBB abstammenden Omikron-Varianten, hätten das Potenzial, ansteckender zu sein und sich schneller zu verbreiten. Fälle von schwereren Krankheitsverläufen gab es bisher aber glücklicherweise nicht (FITBOOK berichtete). Deshalb bereiten diese Varianten Wissenschaftlern aktuell keine Kopfschmerzen. Anders sieht das bei einer dritten neuen Variante aus: BA.2.86, auch als Pirola bekannt.
Übersicht
BA.2.86 – neue „Variante unter Beobachtung“
Vor wenigen Tagen gab die US-amerikanische Gesundheitsbehörde U.S. Centers for Disease Control and Prevention über die Marketing-Plattform „platform x“ bekannt, dass sie eine neue Coronavariante beobachteten. Das berichtete die Nachrichtenagentur „Reuters“. Bei der neuen Variante handele es sich um BA.2.86. Wie alle Coronavarianten erhielt auch diese schnell einen Spitznamen: Pirola. Nachgewiesen hat man BA.2.86 bisher in den USA, Dänemark, Israel und Großbritannien.
Auch die WHO hat BA.2.86 auf dem Radar – und das, obwohl erst sechs Proben (Sequenzen) aus vier Ländern für Untersuchungen bereitstünden. Die Experten der WHO stuften Pirola als „variant under monitoring“ (dt.: Variante unter Beobachtung) ein.
Was bedeutet „variant under monitoring“?
Um das Tracken von Coronavarianten zu priorisieren, arbeitet die WHO mit einem Stufensystem.1 Je nach Situation, die eine neue Variante mit sich bringt (darunter Mutationen, Potenzial für Übertragung und Verbreitung, Schweregrad der Erkrankung oder Wirksamkeit von Impfstoffen) ordnen Experten Coronavarianten verschiedenen Stufen zu. Die Priorisierung dieser sieht wie folgt aus:
- Prio 1: „variant of concern“ (VOC) – deutsch: besorgniserregende Variante
- Prio 2: „variant of interest“ (VOI) – deutsch: Variante von Interesse
- Prio 3: „variant under monitoring“ (VOM) – deutsch: Variante unter Beobachtung
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Pirola – stark mutierte Coronavariante
BA.2.86 (Pirola) weist 36 Mutationen auf, die es von der aktuell vorherrschend Omikron-Linie XBB.1.5 unterscheiden. Diese könnten Auswirkungen darauf haben, wie ansteckend die neue Coronavariante wird und wie schwer die Symptome im Fall von Erkrankung sein könnten. Da die Datenlage diesbezüglich noch dünn ist und entsprechende Untersuchungen und Analysen noch fehlen, gilt BA.2.86 aktuell wie erwähnt noch als VOM (Variante unter Beobachtung). Sobald die Forscher mehr Details kennen und verifizierte Daten vorliegen haben, könnte es sein, dass sie Pirola hochstufen und offiziell als VOI (Variante von Interesse) oder sogar als VOC (besorgniserregende Variante) kennzeichnen. Wie wahrscheinlich dies ist, kann zurzeit aber niemand sicher einschätzen.
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Unterschied zu Eris und Fornax
Während EG.5 (Eris) und FL.1.5.1 (Fornax) von der Omikron-Linie XBB abstammen, scheint dies bei Pirola nicht der Fall zu sein. Wie die Bezeichnung BA.2.86 bereits verdeutlicht, gehen Experten davon aus, dass die Coronavariante von BA.2. abstammt. Diese Linie war für einen starken Anstieg von Coronafällen im Herbst 2022 verantwortlich. Wie es in einem Bericht des Fachmagazins „Nature“ heißt, weist das Spike-Protein BA.2.86 aber 34 Veränderungen auf, die es von der ursprünglichen BA.2-Linie unterscheiden. Zur Erinnerung: Bei dem Spike-Protein handelt es sich um das Molekül, mit dem SARS-CoV-2 in Zellen eindringt.
Darum sind Experten beunruhigt
Soweit also, was man über BA.2.86 weiß: Die Variante weist viele Mutationen auf, ist zugleich aber noch nicht genügend erforscht, um eindeutige, verifizierte Angaben zu Ansteckung, Verbreitung und Schwere von Krankheitsverläufen zu machen. Warum also zeigen sich Experten bereits beunruhigt?
Unvorhergesehene Entwicklung
Das liegt daran, dass diese neue Coronavariante nicht dem bisher geradlinigen und vorhersehbaren Entwicklungsverlauf von Omikron-Varianten folgt – so wie etwa die anderen beiden neuen Varianten Eris und Fornax. Demnach unterscheide sich Pirola drastisch von anderen weit verbreiteten Coronavirusvarianten und erinnere an die Entstehung von Omikron und frühen Pandemievarianten wie Alpha und Delta.
„So wie Omikron ein wenig aus dem Rahmen fiel, so fällt auch BA.2.86 ein wenig aus dem Rahmen“, wird Ashish Jha, Forscher für Public Health an der Brown University in Providence (Rhode Island) und ehemaliger Covid-19-Koordinator des Weißen Hauses im besagten „Nature“-Beitrag zitiert. Und weiter: „Es gibt genug, um uns alle dazu zu bringen, aufmerksam zu werden.“
Geografische Verteilung
Ein weiterer Punkt, der die Aufmerksamkeit der Experten auf sich zog: BA.2.86 trat an verschiedenen Orten zeitgleich auf. Dabei scheinen die erfassten Fälle in keinem Zusammenhang zu stehen. Dies könne darauf hindeuten, dass Pirola bereits vielfach übertragen worden und weit verbreitet sei. Wenn man die aktuell noch wenig erscheinenden bekannten Fälle zudem vor der Situation bewertet, dass kaum noch auf Corona getestet wird, lässt sich vielleicht besser nachvollziehen, warum Experten Gründe zur Beunruhigung sehen.
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Fragen, die es nun zu klären gilt
Forscher weltweit sind nun dabei, die Verbreitung und das Gefahrenpotenzial von BA.2.86 zu ermitteln. Dafür werden Patienten- und Abwasserproben gleichermaßen untersucht. In Laboren wird derweil erforscht, inwieweit Pirola die Fähigkeit hat, neutralisierende Antikörper zu umgehen – also inwieweit die neue Variante einer Immunisierung durch frühere Covid-Infektionen und Impfungen entgehen könnte.
Da an die XBB-Linie angepasste Impfstoffe bereits für Herbst erwartet werden, gilt es zu klären, inwieweit diese auch vor BA.2.86 (Pirola) schützen können. Oder ob eine weitere Aktualisierung zum Schutz der Menschen notwendig wäre.
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Besteht Grund für Angst vor BA.28.6?
Auch wenn Experten die neue Variante genau im Blick haben und eine gewisse Beunruhigung verspüren, gibt es aktuell keinen Grund, jetzt wieder große Angst vor Corona zu haben.
Denn – das glauben die Forscher bislang auch – es sei wahrscheinlich, dass frühere Covid-Erkrankungen und/oder Impfungen immer noch genügend Immunität böten. Daher seien schwere Krankheitsverläufe wohl eher nicht zu erwarten. Weiteren Schutz würden – wenn nötig ein weiteres Mal angepasste – Vakzine bieten können.
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Quellen
- 1. World Health Organization. Tracking SARS-CoV-2 variants. (aufgerufen am 22.8.2023)