29. November 2024, 21:51 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Das Asperger-Syndrom ist eine Form einer autistischen Entwicklungsstörung. Betroffene der Erkrankung haben Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und zeichnen sich durch eingeschränkte Verhaltensmuster und Interessen aus. FITBOOK-Redakteurin Julia Freiberger erklärt Ursachen und Symptome des Krankheitsbilds.
Die Erkrankung zeichnet sich häufig dadurch aus, dass Betroffene nur ein geringes Interesse an sozialen Kontakten haben, zusätzlich fällt es ihnen schwer, bestimmte soziale Situationen zu verstehen. Oft haben Erkrankte Schwierigkeiten, Emotionen und Gefühle anderer Menschen zu erkennen und nachzuvollziehen. Folgen davon können soziale Isolation und Diskriminierung sein. Weil Asperger-Autismus nicht heilbar ist, stellt er für die Betroffenen eine lebenslange Herausforderung dar.1
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Übersicht
- Das verbirgt sich hinter dem Asperger-Syndrom
- Ursachen von Asperger
- Was sind typische Symptome des Asperger-Syndroms?
- Asperger-Autisten haben meist Inselbegabung
- Unterschiedliche Formen von Autismus
- Wie wird Asperger diagnostiziert?
- Unterschiedliche Wahrnehmung der Störung
- Berühmte Personen mit Asperger
- Quellen
Das verbirgt sich hinter dem Asperger-Syndrom
Einerseits bedeutet Autismus laut den diagnostischen Kriterien, dass Betroffene hinsichtlich ihrer sozialen und kommunikativen Fähigkeiten eingeschränkt sind. Ihnen fällt es z. B. schwer, Gesichtsausdrücke zu deuten oder Ironie zu verstehen. Ihre Kommunikation wirkt oft ungewöhnlich direkt und kann von anderen als wenig einfühlsam empfunden werden. Menschen mit Asperger-Syndrom haben eine normale bis überdurchschnittliche Intelligenz und weisen auch keine ausgeprägten Sprachverzögerungen auf – darin unterscheidet sich das Asperger-Syndrom von anderen Autismus-Formen.
Das zweite entscheidende Merkmal für Autismus ist, dass Betroffene zu Monotonie neigen. Sie haben etwa den Wunsch nach Ritualen, den immer gleichen Speisen oder Gesprächsthemen. Meist leiden sie auch darunter, wenn Sinneseindrücke zu stark werden: Licht und Geräusche erscheinen ihnen extrem hell beziehungsweise laut. Um Autismus und das Asperger-Syndrom ranken sich aber nach wie vor einige Mythen. Und in manchen Aspekten sind sich sogar Wissenschaftler nicht einig.
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Ursachen von Asperger
Das Asperger-Syndrom beruht auf neurologischen Entwicklungsbesonderheiten. Genauer gesagt auf den spezifischen Veränderungen innerhalb der Funktion und Struktur der Nervenzellen sowie bei der Vernetzung verschiedener Gehirnregionen.
Die genauen Ursachen für die Entstehung des Asperger-Syndroms sind bisher unbekannt. Forscher gehen jedoch davon aus, dass ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren zur Entstehung der Erkrankung beitragen kann. Dazu gehören:
Genetische Einflüsse
Die Genetik des Menschen scheint bei der Entstehung eine Rolle zu spielen, weil viele Betroffene nahe Verwandte mit einer Form des Asperger-Autismus oder mit ähnlichen Symptomen haben. Zudem wurden auch mehrere genetische Veränderungen identifiziert, die ebenfalls das Risiko für autistische Störungen, wie das Asperger-Syndrom erhöhen können.
Alter der Eltern
Auch ein höheres Alter der Eltern kann die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der Erkrankung oder anderer Autismus-Spektrum-Störungen erhöhen.
Äußere Faktoren während der Schwangerschaft
Zu den nachgewiesenen Risikofaktoren während einer Schwangerschaft zählen Infektionen wie Röteln, eine Diabeteserkrankung der Mutter, eine zu frühe Geburt oder Atemprobleme bei Neugeborenen. Auch die Einnahme bestimmter Medikamente, die während der Schwangerschaft erfolgen (wie Antiepileptika) stehen im Diskurs, mögliche Risikofaktoren zu sein.
Biochemische und neurologische Besonderheiten
Weiteren Risikofaktoren stellen biochemische und neurologische Besonderheiten dar. Dazu gehören unter anderem Abweichungen im Aufbau bestimmter Hirnregionen, Unregelmäßigkeiten der elektrischen Hirnaktivität und Veränderungen der Zusammensetzung von Neurotransmittern (Botenstoffe im Gehirn).2
Was sind typische Symptome des Asperger-Syndroms?
Die meisten Kinder oder Erwachsenen mit Asperger-Autismus haben kaum kognitive oder sprachliche Defizite. Allerdings gibt es neben den Schwierigkeiten beim sozialen Agieren und dem Drang zu sich wiederholenden Verhaltensweisen noch andere Symptome, die ihr Leben zum Teil beeinträchtigen. Dazu gehören:3
- zwanghaftes, ausgeprägtes Interesse und Kenntnisse zu einem bestimmten Thema
- Überempfindlichkeit bei Geräuschen, Gerüchen und Berührungen
- übertriebene emotionale Reaktionen
- Schwierigkeiten, sich in andere hineinzuversetzen
- wenig bis kein Interesse an sozialen Kontakten
- Vermeiden von Augenkontakt
- frühzeitige Sprachentwicklung und ausgefeilter Sprachstil
- Ungeschicklichkeit beim Gehen bzw. beeinträchtigte motorische Koordination
Menschen mit dem Asperger-Syndrom erleben die Symptome nicht alle gleich. Möglicherweise hat jemand nur ein paar der Symptome oder erlebt sie in unterschiedlicher Ausprägung.4
Betroffene sind nicht empathielos
Autisten wird nachgesagt, sich nicht in andere hineinfühlen zu können – fälschlicherweise, wie der Autismusforscher Simon Baron-Cohen, von der Universität Cambridge, erklärt. Viele hätten zwar Schwierigkeiten, sich gedanklich in Mitmenschen hineinzuversetzen. Aber Empathie habe – neben diesem kognitiven – auch einen affektiven Teil, das heißt eine emotionale Reaktion auf andere Menschen. In diesem Bereich schneiden Asperger-Autisten nicht schlechter ab als gesunde Personen.
Asperger-Autisten haben meist Inselbegabung
Auch wenn Autisten in sozialen Bereichen häufig Probleme haben, gelten sie in anderen oft als Genies. Speziell Asperger-Autisten werden als hochintelligent porträtiert. Etwa im Film „Rain Man“, in dem Dustin Hoffman einen Autisten spielt, dessen enorm gutes Gedächtnis sich beim Kartenspiel auszahlt.
Manche Unternehmen beschäftigen sogar speziell Autisten, weil sie als besonders detailorientiert gelten. Das kann etwa bei Fehleranalysen im IT-Bereich hilfreich sein. „Autistische Talente können in allen Bereichen auftauchen, in denen Muster analysiert werden können“, so Baron-Cohen. Zum Beispiel auch in der Musik.
Doch Menschen mit (Asperger-)Autismus sind längst nicht immer hochbegabt. Außergewöhnliches Können ist meist eine Inselbegabung. Das heißt, dass die besondere Fähigkeit sich nur auf einen Bereich auswirkt. Dies nennt sich auch Teilleistungsstärke oder Savant-Syndrom, und nur wenige Autisten sind Savants. Der Begriff „Savant“ stammt ursprünglich aus dem Französischen und lässt sich mit „Wissender“ übersetzen.
Unterschiedliche Formen von Autismus
Ärzte und Psychologen unterschieden lange verschiedene Autismus-Varianten anhand des Intelligenzgrades. Menschen mit Asperger oder einem sogenanntem „hochfunktionierenden“ Autismus haben eine höhere Intelligenz als Menschen mit „klassischem“ Autismus, dem Kanner-Autismus. Leo Kanner hatte das Autismus-Krankheitsbild 1943 erstmals beschrieben. Ein Jahr später veröffentlichte Hans Asperger seine Habilitation, die der anderen Autismusvariante einen Namen gab.
Asperger ist übrigens ein Beispiel dafür, warum Wissenschaftler dafür plädieren, Erkrankungen nicht nach Personen zu benennen: Er soll eine bedenkliche Nähe zum Nationalsozialismus gehabt haben.5
Wie wird Asperger diagnostiziert?
Problematisch an der Erkrankung ist, dass es sich schwierig erweist sie von anderen neurologischen oder psychischen Störungen wie Zwangsstörungen, Entwicklungsstörungen oder Persönlichkeitsstörungen zu unterscheiden. Dafür ist detaillierte ärztliche Diagnose notwendig. Bei Kindern ist dafür ein Kinder- und Jugendpsychiater zuständig, während bei den Erwachsenen ein Facharzt für Psychiatrie oder Psychotherapie die Diagnose stellt.
Bei einem Verdacht auf Asperger umfasst die Diagnose folgende Schritte:
- Gespräche mit dem Patienten und dessen Angehörigen
- Erfassung früherer oder aktueller Erkrankungen
- Berücksichtigung von Berichten und Befunden anderer Ärzte
- Ausführliche psychiatrische, körperliche, neurologische und labormedizinische Untersuchungen
- Informationen von Personen aus dem Umfeld des Betroffenen (z. B. Lehrer, Freunde usw.)
Um eine Diagnose zu stellen, achtet man auf typische Merkmale des Asperger-Syndroms. Kinder mit der Diagnose zeigen z. B. oft ein weniger fantasievolles Spielverhalten im Vergleich zu Gleichaltrigen auf. Zudem wirkt ihre Mimik monoton, während ihre Ausdrucksweise als ungewöhnlich detailverliebt aufgenommen wird. Es kommt ebenfalls selten vor, dass sie auf emotionale Reize wie persönliche Bemerkungen oder ein Lächeln reagieren. Stattdessen kann man die Vermeidung von körperlicher Nähe und Blickkontakt beobachten.
Die Diagnose des Asperger-Syndroms gestaltet sich bei Erwachsenen um einiges schwieriger, da die auffälligen Verhaltensweisen bei ihnen oft nicht so stark ausgeprägt sind wie bei Kindern. Es kann ebenfalls vorkommen, dass sich betroffene Erwachsene nicht an die spezifischen Herausforderungen ihrer Kindheit erinnern. Auch Bewältigungsstrategien, die im Verlauf der Zeit entwickelt worden sind, um im Alltag „normal“ zu wirken, erschweren eine Diagnose enorm. Oft suchen die Betroffenen erst einen Arzt aufgrund unterschiedlicher Begleiterkrankungen (wie Depressionen, Angststörungen etc.) auf – sodass dann erst die Diagnose gestellt werden kann.6
Asperger-Syndrom als Diagnose wird infrage gestellt
Erst 1980 war es in den Diagnosekatalog aufgenommen worden – und schon jetzt wird von Wissenschaftlern wieder infrage gestellt, ob es das Asperger-Syndrom tatsächlich gibt. Im aktuellen Diagnostik-Katalog, nach dem Psychiater Erkrankungen einteilen, taucht das Syndrom nicht mehr auf. In der Fachliteratur (etwa im sogenannten „DSM 5“, der fünften Ausgabe des Buches „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“) wurden 2013 die bisher getrennten Krankheitsbilder zur sogenannten Autismus-Spektrum-Störung zusammengefasst. Seitdem gilt Autismus als ein Gesundheits-Krankheits-Kontinuum, also ein Zustand zwischen „vollständiger Gesundheit“ und „absoluter Krankheit“. Auch die aktuelle 11. Ausgabe Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) fasst alle Varianten unter dem einheitlichen Begriff „Autismus-Spektrum-Störungen“ zusammen.7
Kann man Asperger behandeln?
Wie bereits erwähnt, ist die Erkrankung bislang nicht heilbar. Die Therapie der Betroffenen konzentriert sich stattdessen darauf, den Alltag durch zielgerichtete Förderung zu erleichtern: indem man z. B. soziale Kompetenzen verbessert. Es ist aber wichtig, zu beachten, dass nicht für jedes Asperger-Syndrom eine Behandlung notwendig ist. Dies hängt von den individuellen Bedürfnissen und der Intensität der Symptome des Betroffenen ab.
Unterschiedliche Wahrnehmung der Störung
Tatsächlich sind auch Betroffene nicht einig. Manche sehen Autismus als Behinderung, andere betonen unter dem Stichwort Neurodiversität, dass sie nur eine andere Art der Wahrnehmung hätten. Wo Autismus anfängt, ist in der Tat unklar. Nach den neuen Diagnose-Kriterien würden viele Asperger-Autisten gar nicht mehr als Autisten gelten – das träfe laut einer Analyse auf jeden Vierten zu.
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Berühmte Personen mit Asperger
Es gibt einige berühmte Persönlichkeiten mit dem Asperger-Syndrom, die gezeigt haben, dass die Autismusform mit außergewöhnlichen Begabungen einhergehen kann. Dazu gehört die mittlerweile 21-jährige Klimaaktivistin Greta Thunberg. Sie teilte vor einigen Jahren ihre Erfahrungen auf Facebook und thematisierte offen, dass ihre Schwierigkeiten im ‚Socializing‘ ein entscheidender Grund dafür waren, anfangs allein für das Klima protestiert zu haben. „Wenn ich ‚normal‘ und gesellig gewesen wäre, hätte ich mich einer Organisation angeschlossen oder selbst eine gestartet.“ Außerdem schrieb bei Twitter: „Ich habe Asperger und das bedeutet, dass ich manchmal ein bisschen anders als die Norm bin. Und – unter den richtigen Umständen – kann Anderssein eine Superkraft sein.“
Auch Tesla- und SpaceX-Gründer Elon Musk hat bereits vor Jahren bekannt gegeben, mit dem Asperger-Syndrom diagnostiziert worden zu sein. In seiner Biografie beschreibt er u. a., dass er sich Menschen nur analytisch nähern könne und emotionale Signale schlechter wahrnehme als andere Menschen. Elon Musk sprach zusätzlich offen darüber, dass er anders denke als viele andere Menschen und dies als Stärke empfinde.8