17. September 2024, 13:27 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Antibiotikaresistenz bedeutet, dass bakterielle Erreger auf zur Bekämpfung eingesetzte Arzneimittel nicht reagieren. Dies kann bei schwerwiegenden Infekten tödlich enden. Es gilt bereits als Fakt, dass Antibiotikaresistenzen eine zunehmende globale Bedrohung darstellen. Und wie ernst zu nehmen diese ist, zeigt nun eine aktuelle Studie.
Viele Menschen scheuen die Einnahme von Antibiotika grundsätzlich. Denn zum einen haben die stark wirksamen Mittel in vielen Fällen verschiedene Nebenwirkungen. Zum anderen weiß man, dass ihr (unnötiger) Einsatz Resistenzen begünstigen kann. Die Folge kann sein, dass in der Zukunft widerstandsfähige Krankheitserreger ungehindert walten können. Denn: „Empfindliche Bakterien werden abgetötet – die resistenten jedoch überleben und vermehren sich weiter.“ Dies kann man dazu auf der Website des Robert-Koch-Instituts (RKI) nachlesen.1 Dabei können bei verschiedenen Infektionen die auf Bakterien abzielenden Medikamente über Leben und Tod entscheiden. Auf Basis ihrer Forschung fordern bereits seit Jahren Wissenschaftler Maßnahmen, um die zunehmende Bedrohung durch Antibiotikaresistenzen unter Kontrolle zu bekommen. Eine aktuelle Studie verleiht dieser Forderung weiter Nachdruck.
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Übersicht
Laut Studie bald 39 Millionen Todesfälle durch Antibiotikaresistenzen zu erwarten
Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Dr. Mohsen Naghavi vom Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) in Washington hat die potenziellen Auswirkungen von Antibiotikaresistenzen – in der Arbeit abgekürzt als AMR – auf der ganzen Welt untersucht. Informationen dazu sind in einer Pressemitteilung veröffentlicht.2
„Zwischen 1990 und 2021 starben weltweit jedes Jahr mehr als eine Million Menschen an AMR“, heißt es dort. Und: „Zukunftsprognosen zeigen, dass die Zahl der Todesfälle durch AMR in den kommenden Jahrzehnten stetig ansteigen wird.“ Konkret rechnen die Studienautoren mit einer Steigerung um rund 70 Prozent bis 2022. Das wären bis zum Jahr 2050 rund 39 Millionen Todesfälle.
Details zur Untersuchung
Die Arbeit basiert auf mehr als 520 Millionen Gesundheitsdaten aus insgesamt 204 Ländern. Diese stammten aus einer Vielzahl an Quellen, heißt es in der Veröffentlichung, darunter Krankenhäuser, Behandlungsprotokolle und Sterberegister. Der Erhebungszeitraum war von 1990 bis 2021. In jedem dieser 30 Jahre sollen weltweit mehr als eine Million Menschen an den Folgen von Antibiotikaresistenzen gestorben sein. Alarmierende Zahlen. Ziel der Studie war es nun, die zu erwartende Entwicklung beurteilen zu können.
Das Team setzte dabei nicht völlig neu an. Seine aktuelle Studie erfolgte im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts „Global Research on Antimicrobial Resistance (GRAM)“. Sie steht in Bezug zu einer ersten im Jahr 2022 veröffentlichten Studie.3 Die verantwortlichen Forscher stellten damals fest, dass im Jahr 2019 mit weltweit 1,2 Millionen Todesfällen AMR mehr Opfer gefordert hatten als Erkrankungen an HIV/AIDS oder Malaria. Zu weiteren 4,95 Millionen Toten sollen widerstandsfähige Bakterien zumindest indirekt beigetragen haben.
Ablauf
Die jüngste Arbeit ist die Erste, die die globalen gesundheitlichen Auswirkungen von AMR bis zum Jahr 2050 und für 204 Länder prognostiziert. Dabei konzentrierten sich die Forscher auf 22 bekannte bakterielle Krankheitserreger und insgesamt 84 mögliche Erreger-Wirkstoff-Kombinationen. Sie untersuchten elf Infektionskrankheiten bei Menschen aller Altersgruppen und nutzten statistische Modelle, um bewerten zu können, wie viele der Todesfälle direkt auf Antibiotikaresistenzen zurückzuführen und bei wie vielen davon sie zumindest eine Rolle gespielt hatten. Auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung historischer Trends – etwa war die Zahl der AMR-Todesfälle im Jahr 2021 niedriger als 2019, was mit den aufgrund der Corona bedingten Kontaktbeschränkungen insgesamt reduzierten Zahl an bakteriellen Infektionskrankheiten zusammenhängen dürfte – rechneten sie die Entwicklung für die aktuellen Jahre (mit Start im Jahr 2022) bis 2050 hoch.
Zu den Erkenntnissen, die die Forscher bei der Auswertung gewonnen haben, zählte eine auffällige Altersverschiebung bei den weltweit durch allgemeine Krankheiten bedingten Todesfällen. Etwa waren insgesamt weniger Tode im Kindesalter dokumentiert. Dies sei durch verbesserte präventive Maßnahmen (z. B. Impfprogramme) bei Säuglingen und Kleinkindern zu erklären. Jedoch stieg die Zahl der speziell durch Antibiotikaresistenzen verursachten infektiösen Todesfälle bei Kleinkindern. Parallel zeigte sich ein noch erheblicherer Anstieg der AMR-Todesfälle bei Erwachsenen höheren Alters (ab 70 Jahren), in diesem Fall um rund 80 Prozent.
Die Forscher folgern, dass Infektionen bei Kindern zwar erfreulicherweise seltener geworden, doch auf der Negativseite schwerer zu behandeln seien. „Außerdem wird die Bedrohung älterer Menschen durch AMR mit der Alterung der Bevölkerung weiter zunehmen“, heißt es in der Pressemitteilung. Die Erklärung hierfür ist offenbar die rasche Alterung in der Bevölkerung und eine größere Anfälligkeit älterer Menschen für Infektionen.
Bedeutung der Studie zu Antibiotikaresistenzen
Um der zu erwartenden Entwicklung Einhalt zu gebieten, seien gezielte und möglichst zeitnahe Maßnahmen wichtig. Denkbar wären in diesem Zusammenhang Investitionen in neue, verbesserte Medikamente und eine weiterreichende, intensive Forschung. Grundsätzlich wäre eine verbesserte Infektionsvermeidung sinnvoll und in diesem Fall die Einhaltung von Hygienemaßnahmen speziell z. B. in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Optimierte Diagnoseverfahren könnten dabei helfen, schneller das richtige Antibiotikum für einen Infekt zu finden. So müssten Patienten sich nicht zunächst an womöglich ungeeigneten versuchen und dann gegebenenfalls wechseln, was die Entstehung von Antibiotikaresistenzen bekanntlich fördern kann.
Vor allem scheint die Aufklärung über den korrekten Einsatz der bereits existierenden Mittel wichtig zu sein. Denn umgekehrt zeigt ein Bericht aus der Vergangenheit (FITBOOK berichtete), wie der Missbrauch von Antibiotika die verheerende Entwicklung begünstigt hat.4 Die Datenerhebung konzentrierte sich damals auf Todesfälle durch Antibiotikaresistenzen speziell in Europa. Dabei habe sich u. a. gezeigt, dass viele Europäer ohne bzw. aus einem falschen Grund Antibiotika eingenommen hatten – etwa bei ersten Krankheitssymptomen oder gegen virale Infekte wie z. B. eine Grippe oder das Coronavirus. Antibiotika sind gegen Viren nicht wirksam.
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Einschränkungen der Studie
Die Studienautoren räumen gewisse Einschränkungen der Ergebnisse ein. So haben etwa nur wenige Daten für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen vorgelegen. Um für sie Schätzungen vornehmen zu können, müsste in die medizinische Infrastruktur investiert werden. Weiterhin seien Fehler oder Verzerrungen von Daten aus speziell einigen der untersuchten Länder nicht auszuschließen. Und zuletzt habe es an belastbaren Daten zu Antibiotikaresistenzen für die Jahre vor 2000 gefehlt. Dies könne in der Studie die Aussagekraft der historischen Schätzungen beeinträchtigt haben.