13. Juni 2024, 3:46 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Das Angelman-Syndrom ist eine Erkrankung, die aufgrund eines Gendefekts an einem Chromosom (Chromosom 15) verursacht wird. Dabei weisen die Betroffenen „puppenähnliche“ Gesichtszüge auf.
Das Angelman-Syndrom zählt zu einer seltenen Erkrankung, die genetisch bedingt ist. Sie hat eine Verzögerung der geistigen und körperlichen Entwicklung sowie Sprachstörungen zur Folge. Typisch ist zudem, dass Betroffene ein Puppen-ähnliches Aussehen und einen auffällig fröhlichen Gesichtsausdruck haben. Neben einer stark reduzierten Sprachenentwicklung haben Erkrankte Schwierigkeiten beim Laufen, bewegen sich steif oder strecken oft ruckartig die Arme hoch. FITBOOK erklärt, welche Symptome es noch gibt, welche Ursachen hinter dem Angelman-Syndrom stecken und wie die Erkrankung verläuft.
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Übersicht
Was ist das Angelman-Syndrom?
Das Angelman-Syndrom (AS) wird durch einen genetischen Defekt auf dem Chromosom 15 verursacht, der dazu führt, dass die körperliche und geistige Entwicklung der Betroffenen beeinträchtigt wird. Dabei sorgt die Erkrankung für Entwicklungsverzögerungen, besonders bei der Sprache. Die Sprachentwicklung erfolgt langsam oder bleibt sogar vollständig aus.
Zudem lachen die Betroffenen auffallend häufig und haben teilweise starke intellektuelle Beeinträchtigungen. Während sie alle Emotionen empfinden können, scheint ihr Ausdrucksrepertoire oftmals eingeschränkt zu sein. Das zeigt sich darin, dass sie vor allem Freude ausdrücken können. Ebenso können Wirbelsäulenverkrümmungen, Schlafstörungen, Pigmentstörungen, Hyperaktivität und eine Verringerung der Muskelspannung auftreten. Oftmals kommt es zu epileptischen Anfällen.1
Das Angelman-Syndrom tritt sowohl bei Männern als auch bei Frauen auf und hat schätzungsweise eine Häufigkeit von etwa 1:15.000 bis 1:20.000.2
„Happy Puppet“
Die Erkrankung wurde nach ihrem Entdecker Dr. Harry Angelman benannt, welcher als Kinderarzt im Jahr 1965 Krankheitsbilder dreier Kinder verglich. Sie alle wiesen puppenhafte Gesichtszüge auf, lächelten und lachten auffällig viel oder machten ruckartige Bewegungen – fast schon so wie Marionetten. Daher führte die Symptomatik der Erkrankung auch dazu, dass sie die englische Bezeichnung „Happy-Puppet-Syndrome“ bekam, was sich auf Deutsch mit „fröhlicher Puppe“ übersetzen lässt.
Wie entsteht die Erkrankung?
Ausgelöst wird die Erkrankung durch einen genetischen Defekt auf Chromosom 15, der die Funktionen des Gens UBE3A stört. Problematisch hierbei ist, dass das Gen für die Produktion eines Enzyms zuständig ist, welches die Aufgabe hat, beschädigtes oder überflüssiges Eiweiß in Zellen abzubauen. Dieser Abbau stellt die normale Funktion der Zellen sicher.3
Bei ungefähr 90 Prozent der Fälle des Angelman-Syndroms ist es möglich, die genetische Veränderung nachzuweisen. Allerdings bleibt die Ursache bei den restlichen zehn Prozent weiterhin unklar.
Ist das Angelman-Syndrom vererbbar?
Ein Wiederholungsrisiko ist in der Regel gering. Tatsächlich verhält es sich in den meisten Fällen so, dass der Gendefekt nicht von den Eltern vererbt wird, sondern erst in der Eizelle entsteht. Daher können auch genetische Tests der Eltern das Risiko für ein mögliches Angelman-Syndrom nicht mit Sicherheit vorhersagen. Es ist aber trotzdem ratsam, eine genetische Beratung in Anspruch zu nehmen, wenn man von der Erkrankung betroffen ist.4
Diese Symptome hat das Angelman-Syndrom
Symptome der Erkrankung werden grundsätzlich nicht unmittelbar nach der Geburt deutlich, sondern erst im weiteren Verlauf der Erkrankung sichtbar. Erst im Säuglings- und Kleinkindalter fallen die körperlichen und kognitiven Entwicklungsstörungen zunehmend auf.
Der Schweregrad der Beeinträchtigungen und wie sie sich äußern, sind sehr individuell. Ein charakteristisches Merkmal der Erkrankung ist der bereits erwähnte fröhliche Gesichtsausdruck, gepaart mit einem häufigen unangebrachten Lachen oder Lächeln – beispielsweise, wenn das Kind Schmerzen empfindet. Betroffene strecken zudem oft die Zunge heraus oder klatschen in die Hände. Weitere Symptome der Erkrankung wären:
- Keine oder geringe Sprachentwicklung
- Verzögerte motorische Entwicklung
- Gestörte Koordination
- Verringerte Intelligenz
- Hyperaktivität
- Lachanfälle und Lachen (oft grundlos)
- Freudige Gesten
- Sabbern (übermäßiger Speichelfluss)
- Häufiges Herausstrecken der Zunge
Noch dazu werden bei manchen Kindern mit der Erkrankung folgende Merkmale beobachtet:
- Mikrozephalie (abnorm kleiner Kopf), tritt im Verlauf der weiteren körperlichen Entwicklung auf
- Epilepsie
- Skoliose
- Hohe Wärmeempfindlichkeit
- sehr helle Haut und Augen aufgrund von verminderter Pigmentierung (Hypopigmentierung)
- Schielen (Strabismus)
Wie ist der Krankheitsverlauf?
Im ersten Lebensjahr
Bei Babys äußert sich das Angelman-Syndrom oft mit Schwierigkeiten beim Stillen, denn sie können nicht richtig saugen oder schlucken. Gleichzeitig strecken sie dann oft die Zunge raus und sabbern viel. Häufig ist es auch so, dass die Kinder viel spucken oder sich übergeben müssen, was zu einer gefährlichen Abnahme des Gewichts führen kann. Ungefähr im Alter von drei bis sechs Monaten beginnen die Entwicklungsstörungen dann sichtbar zu werden. So beginnen die Kinder, häufig zu lächeln, zu gurgeln und die Zunge herauszustrecken, wenn sie fröhlich sind. Zudem fällt es ihnen schwer, zu krabbeln und zu sitzen. In einigen Fällen bekommen die Kinder schon im Alter von zwölf Monaten erste Krampfanfälle.5
Kleinkindalter
In dem Zeitabschnitt der ersten drei Jahre wird die Entwicklungsstörung der Betroffenen deutlich. Die Kinder sind teilweise hyperaktiv und überreizt – was sich auch darin äußern kann, dass sie sich ihre Hände oder Spielsachen in den Mund stecken. Es kommen weitere Symptome wie übermäßiges Lachen, mit ausgestreckten Armen winken, vermehrte Krampfanfälle oder Aufgeregtheit hinzu. Die Sprachentwicklung ist ebenso von der Einschränkung betroffen: Zwar verstehen die Kinder die Sprache, sind aber nicht in der Lage sich zu äußern und können nur vereinzelte Laute von sich geben.
Erwachsenenalter
Im Erwachsenenalter bleibt eine Entwicklung der Sprache oft aus, obwohl ein allgemeines Sprachverständnis vorliegt. Neurologische Beeinträchtigungen scheint es nicht zu geben. Auch in ihrer Geschlechtsreife entwickeln sich die Betroffenen normal. Sollten Krampfanfälle auftreten, lassen sie sich mit Medikamenten behandeln.
Wie wird das Angelman-Syndrom diagnostiziert?
Anamnese
Allgemein gilt: Um die Symptomatik der Erkrankung einzuordnen, ist es ratsam, einen Kinderarzt oder Kinderneurologen (Neuropädiater) aufzusuchen. In einem Gespräch versucht dieser dann herauszufinden, ob körperliche Beschwerden vorliegen, das Kind auffällig froh ist oder in unangebrachten Situationen lachen muss.
Körperliche Untersuchung
Danach überprüft man die motorische und geistige Entwicklung durch Übungen, wie etwa das Greifen nach bestimmten Gegenständen. Zudem achtet man auf die Mimik des Betroffenen oder ob „puppenhafte“ Gesichtszüge vorliegen.
Genetische Tests
Hierfür entnimmt man Zellen in Form einer Probe durch eine Blutabnahme oder einen Abstrich aus der Mundschleimhaut. Danach kann die DNA dieser Zellen in einem Labor genauer untersucht werden. Weitere Tests helfen dann dabei, die Ursache der Erkrankung zu bestimmen. Beispielsweise lässt sich auch das Erbgut der Eltern untersuchen und feststellen, ob bereits dort ein Gendefekt vorlag.6
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Kann die Erkrankung geheilt werden?
Bisher ist es nicht möglich, das Angelman-Syndrom zu heilen, da sich die genetische Ursache nicht behandeln lässt. Es ist aber möglich, durch bestimmte Maßnahmen wie Physio- und Ergotherapie oder Logopädie, die körperliche und geistige Entwicklung positiv zu beeinflussen. Mit den richtigen Übungen kann das Risiko von Folgeerkrankungen wie Skoliose reduziert werden.
Zwar haben die Betroffenen eine normale Lebenserwartung – können aber aufgrund ihrer geistigen Einschränkung kein eigenständiges Leben führen und auf Betreuung angewiesen.7
Dieser Artikel wurde fachlich geprüft von Prof. Dr. med. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung.