12. September 2024, 19:51 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Medikamente mit dem Wirkstoff Semaglutid wie Ozempic, Wegovy und Co. dienen eigentlich der Behandlung von Adipositas und/oder Diabetes. In den vergangenen Jahren zeichnete sich jedoch der Trend ab, diese Mittel zweckzuentfremden und sie primär für eine Gewichtsreduktion einzusetzen – auch ohne, dass bereits eine Fettleibigkeit vorliegt. Nun könnten diese „Abnehmspritzen“ aber schon bald von einem anderen Wirkstoff abgelöst werden.
Allen voran scheinen besonders die Promis großes Interesse daran zu haben, überschüssige Pfunde mithilfe von Medikamenten mit dem Wirkstoff Semaglutid loszuwerden. Denn trotz sämtlicher Nebenwirkungen verspricht die Verwendung von Ozempic, Wegovy und Co. einen schnellen Abnehmeffekt ohne großen Aufwand. Forscher sind nun aber der Meinung, dass ein anderer Wirkstoff schon bald auf dem Vormarsch sein könnte. Das sogenannte Amycretin, wie sie auf der Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD) in Madrid vorstellten.
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Übersicht
Amycretin zügelt den Appetit
Der Grund, warum sich die Forscher des Pharmaherstellers Novo Nordisk – der auch Ozempic und Wegovy mit Semaglutid produziert – für Amycretin entschieden haben, ist dessen Einfluss auf den Appetit. So wirkt es auf zwei Schlüsselhormone, welche für die Appetitregulierung und das Hungergefühl verantwortlich sind. „Ein einzelnes Molekül, das sowohl auf die Amylin- als auch auf die GLP-1-Biologie abzielt, könnte einen bequemeren Ansatz bieten, um bessere Ergebnisse für Menschen mit Übergewicht oder Fettleibigkeit zu erzielen“, erklären die Wissenschaftler bei der Vorstellung ihrer Studie.1
Amycretin hat im Gegensatz zu Ozempic und Wegovy den Vorteil ist dessen einfache Verwendung: Es kann täglich als kleine Tablette eingenommen werden. Somit entfällt das lästige und oft unangenehme Spritzen des Medikaments.
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Studie erzielt nach 12 Wochen deutliche Ergebnisse
Für die Untersuchungen rekrutierten die Wissenschaftler Personen, deren Body-Mass-Index (BMI) zwischen 25,0 und 39,9 lag, was man als übergewichtig einstuft. Weitere Voraussetzung war, dass die Teilnehmer nicht an Diabetes erkrankt waren, sodass sich die Forscher ausschließlich auf die Wirkung von Amycretin hinsichtlich der Gewichtsreduzierung fokussieren konnten. Anhand dieser Vorgaben rekrutierte man insgesamt 124 Teilnehmer für die Phase-I-Studie.
Zunächst führte man einen Teil der Probanden langsam an die Einnahme des Medikaments heran, der Rest erhielt für den gesamten Untersuchungszeitraum ein Placebo. Zunächst fand eine Phase mit einer aufsteigenden Dosis von ein bis 25 Milligramm statt, danach eine zehntägige Phase mit einer Aufstockung von drei bis zwölf Milligramm. Anschließend fand eine zwölfwöchige Phase statt, in der die Teilnehmer in zwei verschiedene Gruppen unterteilt wurden, die sich hinsichtlich der täglichen Dosierung von Amycretin unterschieden:
- Gruppe 1: Tagesdosis von 50 Milligramm
- Gruppe 2: Tagesdosis von zweimal 50 Milligramm
Während der gesamten Einnahmedauer überwachten die Forscher das Gewicht, die Nebenwirkungen und die Konzentration des Medikaments im Blut. So beobachteten die Wissenschaftler einen deutlichen Gewichtsverlust bei Gruppe eins und zwei. Diejenigen, mit der geringeren Tagesdosis verloren durchschnittlich 10,4 Prozent ihres Körpergewichts. In Gruppe zwei stellte man sogar noch höhere Werte fest: Die Teilnehmer mit der doppelten Einnahme nahmen durchschnittlich 13,1 Prozent ab. Innerhalb der Placebo-Gruppe beobachtete man dagegen kaum einen Effekt.
Um die Bedeutung dessen zu verstehen, sei hier der Effekt von einer Wegovy-Verabreichung einmal erwähnt: Teilnehmer verloren nach zwölf Wochen durchschnittlich sechs Prozent an Körpergewicht. Erst nach 68 Wochen verzeichneten Probanden, die Wegovy verabreicht bekommen haben, einen Gewichtsverlust von 15 Prozent.
Leichte bis mittlere Nebenwirkungen
„Was wir im Studienzeitraum sehen, ist ein Gewichtsverlust von 13,1 Prozent mit einem Nebenwirkungsprofil, das mit dem vergleichbar ist, was wir normalerweise bei inkretinbasierten Therapien sehen, also in erster Linie gastrointestinale Nebenwirkungen“, so Martin Holst Lange, Entwicklungsleiter von Novo Nordisk.
Während der Einnahme von Amycretin wurden 242 Berichte über leichte und mittlere Nebenwirkungen aufgenommen. Am häufigsten traten Magen-Darm-Beschwerden auf wie etwa Übelkeit, Erbrechen und stark verminderter Appetit. Diese Nebenwirkungen traten besonders bei den Teilnehmern auf, die eine höhere Dosis einnahmen. Jedoch beobachtete man auch, dass eine schrittweise Erhöhung der Dosis zu einer erhöhten Verträglichkeit beitrug.
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Einschränkungen der Studie
Auch wenn die Ergebnisse vielversprechend klingen, ist noch nicht eindeutig belegt, ob Amycretin das Gewicht reduzieren kann. Denn: Es handelt sich lediglich um eine Studie in der ersten Phase. Demnach bedarf es weiterer klinischen Studien, die optimalerweise auch eine größere Studienkohorte umfassen und länger als zwölf Wochen durchgeführt werden.
Des Weiteren ist anhand bisheriger Untersuchungen noch nicht klar, wie Amycretin langfristig wirkt. Innerhalb der zwölfwöchigen Phase konnte man zwar keinen Plateau-Effekt (Stillstand der Wirkung) beobachten, jedoch ist nicht absehbar, ob sich dieses bei einer längeren Einnahme nicht doch einstellen könnte. Zusätzlich sollte in Zukunft untersucht werden, wie sich das Absetzen des Medikaments auf das Gewicht auswirkt.
Ebenfalls von Bedeutung: Die Studie wurde von dem dänischen Pharmaunternehmen Novo Nordisk finanziert und durchgeführt. Auch wenn die Ergebnisse zeigen, dass Amycretin ein potenzielles Medikament zur Gewichtsabnahme darstellt, sollte man beachten, dass durch die Finanzierung Interessenskonflikte z. B. aufgrund wirtschaftlicher Faktoren entstehen können.