6. Juli 2020, 21:03 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Viele Deutsche scheinen sich mit Alkohol über die Coronakrise hinwegtrösten zu wollen. Suchtexperten hatten ein solches Szenario vorhergesagt, und offenbar wird in Zeiten von Homeoffice, Kontaktbeschränkungen und abgesagten Veranstaltungen tatsächlich deutlich mehr getrunken. Was kann man dagegen tun?
Eine Studie des Mannheimer Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Kooperation mit dem Klinikum Nürnberg zeigt: Der Alkoholkonsum ist bei rund einem Drittel der Erwachsenen seit Beginn deutlich gestiegen. 3000 Teilnehmenden haben an der anonymen Online-Umfrage teilgenommen. 35,5 Prozent von ihnen gaben an, mehr oder viel mehr Alkohol getrunken zu haben als vor der Corona-Pandemie.
Umfrage zeigt ungesunde Tendenz
Die Erhebung ist nicht repräsentativ. Sie zeigt aber ungesunde Tendenzen auf, was den Konsum von Alkohol in Zeiten von Corona betrifft.
So berichten Suchtberatungsstellen und Selbsthilfegruppen von deutlich mehr Interessenten. „Die Frequenz bei den Anrufen und bei den schriftlichen Anfragen, dem sogenannten Erste-Hilfe-Button, hat deutlich zugenommen“, heißt es von Mitarbeitern der Anonymen Alkoholiker.
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Was hat Corona mit Alkohol zu tun?
„Risikofaktoren für eine Vermehrung des Konsums waren zum Beispiel der Wechsel des Arbeitsstatus, etwa ins Homeoffice, ein hohes gefühltes Stressniveau und Zweifel daran, dass die Krise gut gemanagt wird“, sagt Anne Koopmann vom ZI in Mannheim. Menschen mit einem hohen Stresslevel und geringerem sozialen Status gaben demnach eher an, in der Krise mehr Alkohol zu trinken. Menschen in systemrelevanten Berufen, die weiter arbeiten konnten, tranken den Angaben zufolge dagegen eher weniger oder behielten ihren Konsum bei.
Wirtschaftliche und emotionale Krise
„Die Coronakrise ist für viele Menschen auch eine emotionale Krise: Sowohl gesundheitsbezogene als auch finanzielle Sorgen und Ängste sind für viele Menschen sehr präsent. Alkohol ist ein Mechanismus, eine kurzfristige Linderung dieser Sorgen zu erleben“, erklärte Koopmann. Das könnte auch erklären, warum der Konsum bei Menschen mit einem niedrigeren sozialen Status ausgeprägter war. „Hier mehren sich die Sorgen und es gibt weniger Kompensationsmöglichkeiten.“
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Coronakrise deckt bestehenden Alkoholismus auf
Zudem habe die Coronakrise bereits bestehende Alkoholprobleme vieler Menschen sichtbar gemacht. Das erklären die Mitarbeiter der Anonymen Alkoholiker. Personen, die bisher ihr Trinkverhalten verborgen konnten – etwa auf dem Weg zur Arbeit, am Arbeitsplatz, in der Kneipe – seien aufgrund der Corona-Maßnahmen „gezwungen“ gewesen, zu Hause zu trinken. An dem Ort, an dem sich Konflikte in den Familien und Partnerschaften entladen. Vielen, die bei den Anonymen Alkoholikern anrufen, sei ihr Problem in der Krise bewusst geworden.
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WHO-Empfehlung zum Thema Alkoholkonsum
Zu Beginn der Krise hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlen, den Alkoholkonsum während der Covid-19-Pandemie weitgehend einzuschränken. „Es ist wichtig zu verstehen, dass Alkohol Risiken für Ihre Gesundheit und Sicherheit birgt und Sie während Zeiten der häuslichen Isolation oder Quarantäne den Konsum von Alkohol vermeiden sollten“, hieß es in der Empfehlung.
Gefahr auf Alkoholsucht
„Diese Krise ist einmalig und es ist noch unklar, was das für langfristige Auswirkungen hat“, so Koopmann. Sie betont, dass das Mehr-Trinken über einen längeren Zeitraum nicht zwangsläufig in eine Abhängigkeit führen müsse. Das Risiko darauf erhöhe sich jedoch signifikant. Das sollen Studien im Zusammenhang mit früheren Pandemien gezeigt haben. Offenbar erfüllten Probanden, die länger in Quarantäne gewesen waren, noch Jahre mehr Kriterien für eine Alkohol-Abhängigkeit als andere.
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JETZT ist die Zeit zum Handeln
„Jetzt sind wir in der Situation, dem noch entgegenzuwirken“, sagt die Ärztin. Jede und jeder könne sein Trinkverhalten genau beobachten und bspw. mithilfe eines Tagebuchts dokumentieren. „Wenn ich mir über mehrere Wochen und Monate ein gewisses Trinkmuster angewöhne, muss ich schon aktiv dagegen arbeiten, um wieder von diesem Muster wegzukommen“, erklärt Koopmann. Ggf. empfehle sich das Gespräch mit einem Arzt oder die Kontaktaufnahme mit einer Beratungsstelle.
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Die Mitarbeiter der Anonymen Alkoholiker wissen, wie schwer es ist, auf die eigene Sucht zu reagieren. Das Einzige, was helfe, sei Offenheit, Ehrlichkeit und Konsequenz. Für Angehörige bedeute das oft auch, Konflikte auszuhalten. Außerdem müsse die Politik die Bevölkerung mit spezifischen Maßnahmen für die Problematik und Besonderheit dieser Situation sensibilisieren, meint Koopmann.