19. Oktober 2023, 17:17 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Bei der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, denken wohl viele zunächst an unruhige Kinder. Manche tun die Krankheit auch als Modediagnose ab. Doch ADHS ist weder ein Trend noch eine reine Kinderkrankheit. Denn auch im Erwachsenenalter kann man von der Störung betroffen sein – häufig, ohne es selbst zu wissen. Unter anderem deshalb, weil die Symptome bei Erwachsenen anders sein können als bei Kindern und Jugendlichen. FITBOOK-Redakteurin Sophie Brünke stellt Ihnen die Ergebnisse eines Reviews vor, welches die Prävalenz bei Erwachsenen offenlegt.
ADHS ist die häufigste psychiatrische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen. In Deutschland sind etwa fünf Prozent der 13- bis 17-Jährigen betroffen, wobei die Störung bei Jungen viermal häufiger diagnostiziert wird. Bei einem Teil der Betroffenen beruhigen sich die Symptome im Erwachsenenalter, bei 60 Prozent bestehen jedoch wesentliche Symptome fort.1 Viele Erwachsene sind sich ihrer ADHS allerdings überhaupt nicht bewusst, da sie nie eine Diagnose erhalten haben. Eine Übersichtsarbeit hat nun erstmals Studien analysiert, um die ADHS-Prävalenz bei Erwachsenen zu quantifizieren. Außerdem: Inwieweit sich ADHS-Symptome bei Erwachsenen von denen, die für Kinder typisch sind, unterscheiden können.
Übersicht
Was ist ADHS?
Die Abkürzung ADHS steht für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Sie ist angeboren oder entwickelt sich kurz nach der Geburt. Gekennzeichnet ist die Störung durch Konzentrationsschwierigkeiten, eine kurze Aufmerksamkeitsspanne, eine übermäßige Aktivität und nicht dem Alter des Kindes entsprechende Impulsivität. Diese Faktoren beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit oder Entwicklung.2
Die ADHS wird in drei Formen unterteilt:
- ADHS- I: unaufmerksame Form
- ADHS-HI: hyperaktive Form
- ADHS-C: kombinierte Form
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Welche ADHS-Symptome gibt es bei Erwachsenen?
Auch wenn ADHS bereits im Kindesalter auftritt, ist es möglich, dass sie erst im Jugend- oder Erwachsenenalter erkannt wird. Neurologische Unterschiede gibt es allerdings vorwiegend im Kindes- und Jugendalter, Erwachsene mit ADHS leiden eher an Verhaltensauffälligkeiten.
Typische Symptome im Erwachsenenalter sind:
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Schwierigkeit, Aufgaben zu beenden
- Ruhelosigkeit
- Stimmungsschwankungen
- Ungeduld
- Schwierigkeiten, Beziehungen aufrechtzuerhalten
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Studie zeigt erschreckend hohe Zahlen von unerkannten ADHS-Fällen bei Erwachsenen
Ein internationales Forscherteam analysierte insgesamt 57 Studien, welche gebündelt 21 Millionen Teilnehmer umfassten.3
Dabei trat die unaufmerksame Form ADHS-I am häufigsten auf mit einer Prävalenz von drei Prozent. Am zweithäufigsten folgt die hyperaktive Form ADHS-HI mit 2,95 Prozent und die kombinierte Form ADHS-C weist eine Prävalenz von 2,44 Prozent auf.
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Warum ADHS bei Erwachsen so lange unerkannt bleibt
Für gewöhnlich wird ADHS in der Kindheit bis zum zwölften Lebensjahr diagnostiziert, da spätestens bis zu diesem Zeitpunkt Symptome auftreten. Im Erwachsenenalter kann die Diagnosestellung verkompliziert sein, denn die Symptome können denen anderer psychischer Erkrankungen ähneln, so unter anderem einer Depression.
Zudem fokussieren sich die genutzten Diagnoseinstrumente sich auf die hyperaktive Form bei Kindern, weshalb Erwachsene schnell durch das Raster fallen. Weiterhin wird dem Krankheitsbild aufgrund des üblicherweise frühen Diagnosezeitpunkts in der Kindheit unzureichend Aufmerksamkeit geschenkt.
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Unbehandelt kann ADHS eine Gefahr für die Gesundheit sein
ADHS tritt häufig mit weiteren psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Substanzabhängigkeit auf, welche die Betroffenen zusätzlich belasten.
Zudem zeigt eine US-Kohorte mit 109.218 Probanden, dass ADHS signifikant das Risiko erhöht, an Demenz zu erkranken. Auch wenn andere Risikofaktoren für Demenz berücksichtigt wurden, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, erhöhte ADHS allein das Risiko um 2,77 Prozent.4
Wo können Erwachsene sich auf ADHS testen lassen?
Bei Verdacht auf ADHS gibt es verschiedene geeignete Ansprechpartner. Sie können sich an Psychotherapeuten sowie Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie wenden. Auch Neurologen können helfen. Außerdem für Erwachsene mit ADHS auch Spezialambulanzen, welche Sprechstunden anbieten.
Für die Diagnostik müssen Erwachsene einen ausführlichen Fragebogen zu aktuellen Problemen sowie solchen in der Kindheit beantworten. Beispielweise, ob die Noten in der Schule stark schwankten oder man sich leicht ablenken lässt. Möglicherweise werden hierfür auch Schulunterlagen geprüft, um Hinweise auf Unaufmerksamkeit oder Impulsivität zu finden.
Ebenso wird überprüft, ob die Symptome auf eine andere psychische oder körperliche Erkrankung zurückzuführen sind.
Mehr Informationen zur Selbsthilfe finden Sie bei ADHS Deutschland e. V.
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Quellen
- 1. ADHS Deutschland e. V. Häufigkeit. (aufgerufen am 19.10.2023)
- 2. MSD Manual. Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). (aufgerufen am 19.10.2023)
- 3. Ayano, G., Tsegay, L., Gizachew, Y. et al. (2023). Prevalence of attention deficit hyperactivity disorder in adults: Umbrella review of evidence generated across the globe. Psychiatry Research.
- 4. Levine, S. Z., Rotstein, A., Kodesh, A. et al. (2023). Adult Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder and the Risk of Dementia. JAMA Network Open.