
12. März 2025, 10:56 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Impfungen sind aus einer Vielzahl an Gründen wichtig. Noch vor Jahren gab es hierzulande Infektionskrankheiten wie Diphtherie, Keuchhusten oder Kinderlähmung, die für Kinder lebensgefährlich sein konnten. Dank der Impfung konnten diese Erkrankungen eingedämmt, wenn nicht fast schon ausgerottet werden. Doch trotz der Empfehlung der WHO wurden wohl nicht alle Kinder – auch außerhalb Deutschlands – ausreichend geimpft.
Infektionskrankheiten wie Diphtherie, Keuchhusten, Mumps und Masern sind hochansteckend und können sich schnell ausbreiten. Besonders im Kindesalter kann eine Erkrankung lebensbedrohlich werden. Deshalb rät das europäische Impfinformationsportal dazu, Kinder gegen diese und fünf weitere Infektionskrankheiten impfen zu lassen.1 Besonders Masern sind extrem ansteckend und erfordern eine Impfquote von 95 Prozent, um eine Herdenimmunität zu erreichen – eine höhere Schwelle als bei vielen anderen Impfungen. Trotz der Empfehlung stagniert die globale Impfabdeckung seit Jahren und hat sich während der COVID-19-Pandemie weiter verschlechtert. Im Ergebnis werden weltweit inzwischen immer mehr Masern-Fälle gezählt (FITBOOK berichtete).
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Übersicht
- Masern zählen weiterhin zu den häufigsten tödlichen, aber vermeidbaren Kinderkrankheiten weltweit
- Forscher gingen Frage nach: Wie viele Kinder haben ihre erste Masern-Impfung verpasst?
- Analyse der Impfabdeckung
- Analyse zeigt: Mehr als 20 Millionen Kinder nicht ausreichend geimpft
- Was bedeutet diese große Impflücke?
- Einordnung der Studie
- Quellen
Masern zählen weiterhin zu den häufigsten tödlichen, aber vermeidbaren Kinderkrankheiten weltweit
„Im Jahr 2019 starben weltweit schätzungsweise 1,5 Millionen Kinder unter fünf Jahren an durch Impfungen vermeidbaren Krankheiten. Masern sind nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen bei Kindern aufgrund von durch Impfungen vermeidbaren Krankheiten“, steht in der Einleitung einer aktuellen Studie, mit der Forschende die globale Durchimpfungsrate für Masern und DTP, also die Dreifachimpfung gegen Diphterie, Tetanus und Keuchhusten auf den Grund gegangen sind.
Die Epidemiologin Stephanie Vaccher und andere Wissenschaftler interessierten sich auch für einen möglichen Zusammenhang: Sie wollten auch herausfinden, ob Kinder, die die DTP-Impfung verpasst hatten, auch keine Masern-Impfung erhalten hatten.
Forscher gingen Frage nach: Wie viele Kinder haben ihre erste Masern-Impfung verpasst?
Zuletzt gingen sie der Frage nach, ob die derzeitigen Definitionen für unterimmunisierte Kinder tatsächlich alle gefährdeten Kinder erfasst. Als „unterimmunisiert“ betrachtet man ein Kind, wenn es nicht alle drei DTP-Dosen erhalten hat. (Mit „Zero-Dose-Kind“ sind Kinder gemeint, bei denen die erste DTP-Impfung ausgelassen wurde). Eine ausgelassene Masern-Impfung fällt hingegen nicht in den Begriff mit hinein – aus Sicht der Forscher ein generelles Problem, da Masern hochansteckend sind und ihre Impflücke ein ebenso kritischer Indikator für die Gesundheitsversorgung sein könnte.
Die Forscher stellten sich deshalb die Fragen: Wie viele Kinder weltweit haben 2019 und 2022 ihre erste Masern-Impfung verpasst? Wie unterscheidet sich diese Gruppe von Kindern, die keine DTP-Impfung erhalten haben? Und welche Länder sind besonders betroffen? Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Vaccines veröffentlicht.2 FITBOOK hat sich die Ergebnisse genauer angesehen.
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Analyse der Impfabdeckung
Die Forscher verwendeten öffentlich verfügbare Daten der WHO/UNICEF-Schätzungen zur nationalen Impfabdeckung (WUENIC) für die Jahre 2019 und 2022. Die Impfquoten für erste und dritte DTP-Impfung und die erste Masern-Impfung wurden analysiert und mit den Bevölkerungszahlen von Kindern unter zwei Jahren aus den UN-Bevölkerungsschätzungen kombiniert.
Die Analyse berücksichtigte auch die sozioökonomische Situation der Länder anhand der Weltbank-Klassifikation (niedrig-, unter-, obermittel- und hochentwickelte Länder). Um die Diskrepanz zwischen den Impfquoten zu untersuchen, wendete man gängige statistische Verfahren an. Zudem wurde das sogenannte „Dropout“ berechnet – also die Differenz zwischen Kindern, die eine Impfung erhielten sowie jenen, die keine weitere Dosis verabreicht bekamen.
Analyse zeigt: Mehr als 20 Millionen Kinder nicht ausreichend geimpft
Die Analyse der Forschenden macht eine besorgniserregende Entwicklung sichtbar. Demnach sollen 2022 weltweit rund 14 Millionen Kinder die erste DTP-Impfung (DTP1) nicht erhalten haben. Bei der Masern-Impfung fällt die Zahl sogar noch höher aus: Bei 21 Millionen Kindern wurde demnach die erste Masern-Impfung ausgelassen. Zu 96 Prozent lebten diese „unterimmunisierten“ Kinder in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen.
Impfabdeckung 2022 im Vergleich zu 2019 – das fanden die Forschenden noch heraus:
- 2022 lag die DTP1-Impfquote bei 95 Prozent, die der Masern-Impfung bei nur 90 Prozent. In Ländern mit niedrigem Einkommen sank letztere im Vergleich zu 2019 sogar auf 83 Prozent.
- Der Unterschied zwischen der ersten DTP- und ersten Masern-Impfung ist besonders groß in ärmeren Ländern. Während in Hochlohnländern 2022 nur zwei Prozent weniger Kinder die Masern-Impfung erhielten als die erste DTP-Impfung, lag die Differenz in Ländern mit niedrigerem Einkommen bei sechs Prozentpunkten.
- Einige Länder mit den höchsten Zahlen an ungeimpften Kindern – etwa Indien, Nigeria und Pakistan – sind in allen Kategorien stark betroffen. Andere Länder wie Montenegro haben zwar eine sehr niedrige Masern-Impfquote, tauchen aber nicht unter den Ländern mit der schlechtesten DTP-Abdeckung auf.
Diese Ergebnisse zeigen, dass die derzeitige Definition von „unterimmunisierten“ Kindern viele Kinder übersieht, die speziell bei Masern-Impfungen unterversorgt sind.
Was bedeutet diese große Impflücke?
Die hohe Infektiosität der Masern und die große Impflücke machen es notwendig, Masern-Impfungen als eigenständiges Kriterium für Unterimmunisierung zu berücksichtigen. Die Studie zeigt, dass Kinder, die DTP-Impfungen erhalten, nicht zwangsläufig gegen Masern geschützt sind – und umgekehrt. Das bedeutet, dass die aktuelle Definition von „unterimmunisierten“ Kindern Lücken aufweist, da sie sich nur auf DTP konzentriert und Masern-gefährdete Kinder ignoriert.
Besonders problematisch ist dies für Länder mit instabilen Gesundheitssystemen: Wer Kinder nur anhand ihrer DTP-Impfung als unterimmunisiert definiert, unterschätzt möglicherweise das Risiko für Masern-Ausbrüche. Diese wiederum können nicht nur Kinderleben kosten, sondern ganze Gesundheitssysteme überlasten.
Masern sind zudem eine Krankheit, die in ärmeren Ländern besonders schwere Folgen hat. Neben akuten Komplikationen wie Lungenentzündungen oder Enzephalitis gibt es langfristige Auswirkungen wie subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE). SSPE ist eine entzündliche, neurodegenerative Erkrankung des Gehirns und tödliche Spätfolge von Maserninfektionen.
Einordnung der Studie
Die Ergebnisse der Studie basieren auf jeweiligen Bevölkerungsdaten der einzelnen Länder, sodass keine individuellen Vergleiche möglich sind. Zudem fehlen innerhalb der Länder regionale und demografische Daten, die detailliertere Analysen ermöglichen würden.
Trotzdem bietet die Studie wertvolle Einblicke in die Lücken globaler Impfprogramme. Die vorgeschlagene Ergänzung der Definition von „unterimmunisierten“ Kindern um die Masern-Impfung könnte dazu beitragen, Impfstrategien gezielter auf Regionen auszurichten, die ein besonders hohes Risiko für Masern-Ausbrüche haben.
Eine zentrale Herausforderung bleibt der Zugang zu Impfungen. Die Studie hebt hervor, dass Maßnahmen wie der Übergang von 10-Dosis- zu 5-Dosis-Impfampullen oder die Entwicklung von Mikronadelpflastern für Masern-Impfstoffe helfen könnten, mehr Kinder zu erreichen.

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Fazit
Die Analyse belegt, dass Kinder, die Masern-Impfungen verpassen, nicht zwangsläufig dieselben sind wie Kinder, die DTP-Impfungen verpassen. Wer sich nur auf DTP-Impfquoten verlässt, könnte daher viele gefährdete Kinder übersehen.
Um Masernausbrüche besser zu verhindern und die globale Impfabdeckung zu verbessern, sollte die erste Masern-Impfung als Indikator für Unterimmunisierung in globale Berichte aufgenommen werden. Nur so können gezielte Impfprogramme entwickelt werden, um die gefährdetsten Kinder zu erreichen.