7. Oktober 2020, 6:07 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Wie gesund sind Vitalpilze? Können sie bei Potenzstörungen, Erkrankungen oder gar gegen Krebs helfen? Es gibt viele Befürworter, Experten hingegen warnen. Setzt man die Pilze ohne Absprache mit dem Arzt ein, geht der Schuss schnell nach hinten los.
80.000 Euro für ein Kilogramm Cordyceps sinensis? Dann muss der Chinesische Raupenpilz ja wirklich gesund machen, die Potenz steigern oder gar vor Krebs schützen. Das versprechen zumindest Anbieter sogenannter Vitalpilze. Stolze Preise wie dieser verleiten gewiefte Händler offenbar aber auch zum Schummeln: gutgläubigen Kunden würden günstigere Pilze untergejubelt. Davor warnen Experten vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL).
Wie gesund sind Vitalpilze?
Es gibt eine Reihe von Inhaltsstoffen in den Pilzen, denen man eine heilsame Wirkung nachsagt. So sollen bestimmte pflanzliche Stoffe das Zellwachstum und Tumore unterdrücken oder das Immunsystem anregen. Das wird in vielen Studien belegt. Allerdings zweifeln Experten, wie aussagekräftig diese Studien sind. In den meisten Fällen wurden kleine Zellkulturen in Laboratorien angelegt und untersucht. Die Ergebnisse seien so nicht auf den Menschen übertragbar.
Auch Julia Sausmikat von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hegt mehr als Zweifel. Die Verbraucherschützerin aus dem Bereich Ernährung und Umwelt sagt: „Ausreichende wissenschaftliche Belege für die behaupteten Wirkungen von Vitalpilzen bei diversen Erkrankungen aus aussagekräftigen und belastbaren klinischen Studien beim Menschen liegen nicht vor. Berichte einer traditionellen Anwendung beginnend in Zeiten, als es die moderne Medizin noch nicht gab, ändern daran nichts.“ Dass Vitalpilze überhaupt etwas könnten, sei für Sausmikat äußerst fraglich.
Bei den Versprechungen in Bezug auf heilende Kräfte gegen Krebs warnen Experten, das klinische Studien zur Wirksamkeit von Vitalpilzen gegen Krebs und andere Erkrankungen häufig nur wenige Patienten umfassten. Die US-Krebsgesellschaft zweifelt am Nutzen der im Handel erhältlichen Pilz-Produkte. Auf keinen Fall sollte man eine Krebstherapie durch Vitalpilze ersetzen.
Wo liegt der Haken?
Immunanregend klingt erstmal gesund. Das kann jedoch auch bedeuten, dass ein Vitalpilz Allergien erst auslöst. So wie der Shitake, der zudem Lippenentzündungen oder Hautausschlag verursachen kann, warnt das Bundesinstitut für Risikobewertung in einer Stellungnahme.
Überhaupt können Heilpilze für den Menschen giftige Substanzen enthalten. Abhängig von der falschen Zubereitung kann der Schuss dann schnell nach hinten losgehen. Allein schon bei einer unsachgemäßen Lagerung beim Händler werden Vitalpilze schnell von anderen Pilzen befallen. Ausgerechnet der teure Raupenpilz ist anfällig für toxinbildende Schimmelpilze.
Julia Sausmikat weist auf ein weiteres Problem hin: „Da die Produkte häufig aus Asien importiert werden und es kein flächendeckendes Kontrollsystem gibt, gelangen auch Nahrungsergänzungsmittel mit Vitalpilzen auf den Markt, die zum Beispiel mit Schwermetallen verunreinigt sind.“ Weiter sagt sie, dass bei diesen Pilz-Produkten weder Nebenwirkungen, Sicherheit oder tatsächliche Wirkungen geprüft seien. „Damit sind Vitalpilze sicher keine harmlosen Placebos, die Einnahme gleicht eher einem russischen Roulette.“
Unbedingt Finger weg von Vitalpilzen
Verbraucherschützerin Sausmikat rät, unbedingt die Finger von Nahrungsergänzungsmitteln mit Vitalpilzen zu lassen. „Ihr Nutzen ist nicht belegt, gleichzeitig birgt die Anwendung Risiken. Damit muss von der Einnahme abgeraten werden. Bestimmte Vitalpilze, wie z. B. die Schmetterlingstramete, sind in Europa als Lebensmittel gar nicht verkehrsfähig, da es sich um ein neuartiges Lebensmittel handelt, das nach Novel-Food-Verordnung erst zugelassen werden müsste“, erklärt Sausmikat.
Wer dennoch Vitalpilz-Produkte verwenden will, sollte in jedem Fall den behandelnden Arzt informieren. Patienten mit Krebs sollten sich vorab beim Krebsinformationsdienst in Heidelberg über alternative Heilmethoden informieren. Keinesfalls sollten Vitalpilze eine herkömmliche Therapie ersetzen, rät die Verbraucherzentrale.
Was sind eigentlich Vitalpilze?
Das sind Pilze, die in der Regel so grauenhaft schmecken, dass sie nicht als Speisepilze durchgehen. Ihnen wird jedoch eine gesundheitsfördende Wirkung nachgesagt. In der traditionellen chinesischen Medizin und im Ayurveda werden rund 80 verschiedene Pilzarten seit langer Zeit zur Pilztherapie (Mykotherapie) verwendet. Dabei wird meist eine Mischung verschiedener Heilpilze für den Patienten zusammengestellt.
In Deutschland boomt der Markt mit Heil- oder Vitalpilzen, die gesund machen sollen. Häufig werden diese nicht als Pilz-Mix, sondern als Nahrungsergänzungsmittel in Form von Pulvern und Kapseln verkauft. Neben Angeboten für Menschen gibt es auch Präparate für Haus- und Nutztiere.
Übrigens: Vitalpilz ist ein reiner Marketing-Begriff. Verbraucherschützerin Sausmikat: „Der Begriff Vitalpilz ist nicht geschützt, es ist also unterschiedlich, welcher Pilz in welcher Dosierung gerade gemeint ist. Die Inhaltsstoffe solcher Produkte sind damit variabel, Verbraucher sollten genau hinsehen. Eine sinnvolle Einnahmemenge ist ebenso wenig bekannt wie eine ’sichere‘ Dosis.“ Darüber hinaus weist sie darauf hin: „Zugelassene Arzneimittel mit Vitalpilzen existieren nicht“.
Folgende Pilze werden oft in der asiatischen Volksheilkunde eingesetzt
- Klapperschwamm (Maitake) bei Diabetes, Übergewicht, Osteoporose
- Igelstachelbart (Hericium) bei Magen-Darm-Beschwerden und Nervosität
- Mandelpilz (Agaricus) bei Asthma und Allergien
- Mu-Err (Auricularia) für die Durchblutung
Der bekannteste unter den Heilpilzen dürfte der Shitake (Lentinula edodes) sein. Bei richtiger Zubereitung kann man den Pilz auch essen – er fehlt in keinem China-Restaurant. Helfen soll Shitake gegen Infekte, Grippe, Erschöpfung, Arteriosklerose, Cholesterin und Bluthochdruck – um nur einige Krankheiten zu nennen.
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Der Trick mit der Werbung
Die Pilze werden meist in neutraler Verpackung angeboten. Bedeutet: Auf der Verpackung stehen kein Krankheitsbezug und keine Anwendungsinformation. Drauf stehen nur der Name des Pilzes und Verzehrhinweise. Warum? Die Pilzprodukte gelten rechtlich als Nahrungsergänzungsmittel, die wiederum zu den Lebensmitteln gehören. Über diese dürfen in Deutschland keine krankheitsbezogenen Aussagen gemacht werden.
Jetzt der Trick: Was nicht auf der Verpackung steht, steht auf unzähligen Seiten im Internet. Oder in Broschüren, die auf Gesundheitsmessen verteilt und in Arztpraxen ausgelegt werden. Wer sich so über die Pilze informiert, bekommt meist nur positive Infos serviert. Und denkt, es handele sich um ein zugelassenes Arzneimittel.