25. Dezember 2020, 17:47 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
„Trink einen Schnaps.“ So lautet gemeinhin die Empfehlung, wenn man sich nach einem schweren Essen unwohl fühlt. Aber ob Obstler, Ouzo oder Grappa – lindert der vermeintliche „Verdauungsschnaps“ wirklich Magenbeschwerden? FITBOOK hat sich schlaugemacht.
Weihnachten bedeutet meist: Gans mit knuspriger Haut, dazu Beilagen und extraviel Soße, gefolgt von Dessert. Doch dem Genuss folgt oft ein weit weniger schönes Völlegefühl. Hilft nun der Griff zum Verdauungsschnaps?
Studienlage zu Alkohol und Verdauung
Tatsächlich hat es schon Studien gegeben, in denen die Wirkung von Alkohol auf die Verdauung untersucht wurde. Davon berichtet uns Prof. Dr. med. Christian Prinz, Facharzt für Gastroenterologie am Helios Universitätsklinikum Wuppertal.
Prof. Prinz erinnert an eine Untersuchung aus dem Jahr 1993, damals erschienen und weiterhin abrufbar im Fachjournal „National Center for Biotechnology Information (ncbi)“. Dabei wurde gezielt die Wirkung von Alkohol auf die Magensekretion untersucht. Einen Teil dessen stellt Säure dar. Und Magensäure wird für eine funktionierende Verdauung benötigt.
Interessant: Wie die Untersuchung zeigte, „haben alkoholische Getränke mit einem Gehalt von mehr als 20 Prozent Alkohol keinen signifikanten Effekt auf die Magensäureproduktion des Menschen“, fasst der Experte zusammen. Dabei ist es meistens Hochprozentiges, das als Verdauungsschnaps angeboten wird. Glaubt man Prof. Prinz, wäre der Griff zu Wein, Portwein oder Bier die verdauungsförderlichere Wahl.
„Verdauungswein“ oder „-bier“ zum Essen
„Vor allem Wein und Bier scheinen insbesondere über die Induktion der Gastrin-Freisetzung im Magen zu wirken“, erklärt Prof. Prinz. Gastrin ist ein im Magen ausgeschüttetes Hormon, das sich indirekt und dadurch verzögert auf die Säuresekretion auswirke. „Dabei spielt die Histamin-Freisetzung eine wichtige Rolle, ebenso wie die Magendurchblutung.“ Und zwar offenbar nicht erst als „Verdauungssdrink“ nach dem Essen. „Die Aufnahme erscheint auch vor oder während der Mahlzeit sinnvoll zu sein“, so Prinz. Besser als ein Verdauungsschnaps wirke demnach ein bspw. Ouzo oder Sherry als Aperitif, „ebenso der Verzehr eines Pils‘ oder Weins zum Essen“.
Verdauungsschnaps hat auch Genuss- und Traditionswert
Unabhängig von der wissenschaftlichen Lage und messbaren Parametern, zeigt Alkohol natürlich auch weitere Wirkungen auf den Körper. Darüber hat FITBOOK mit dem Ernährungswissenschaftler Uwe Knop gesprochen. So tut Genuss des Lieblingsdigestifs vor allem etwas für den Geist. „Mit der Verdauung an sich hat dieser Verdauungsschnaps dann wenig zu tun – es ist eher ein Nach-dem-Essen-Seelen-Entspanner“, sagt Knop.
Zudem geht es einigen beim Kurzen nach einem schönen, zünftigen Essen um den Traditionswert. Vielleicht deshalb tun beispielsweise Kräuterliköre einigen Menschen gut. Vielleicht liegt es aber auch an den enthaltenen Bitterstoffen, von denen man sich erhofft, dass sie die Verdauung anregen. Das würde dann aber heißen, dass auch andere Lebensmittel mit Bitterstoffen – beispielsweise Enziantee, Chicorée oder Artischocken – einen ähnlichen Effekt hätten. Das wäre aber natürlich nicht das gleiche wie der kollektive (und immerhin belustigende) Griff zum Verdauungsschnaps.
Erfahrungswerte schlagen Studienergebnisse
Grundsätzlich lautet die Lösung wie so oft: ausprobieren. „Wer nach einem ausgiebigen Menü das Bedürfnis nach einem Verdauungsdrink hat, wer genau spürt, was und welcher Drink ihm wohl bekommt“, so Ernährungswissenschaftler Knop, „der sollte den Drink der Wahl genießen.“ Anderen wiederum wird es nach einem Schnaps erst recht flau und schwer im Magen. Diese Menschen sollten vom Verdauungsschnaps natürlich die Finger lassen.
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Achtung: Alkohol nicht mißbrauchen!
Was man trotz allem nicht vergessen darf: Alkohol ist ein Nervengift. Dies bedeutet in letzter Konsequenz eher verdauungshemmende Eigenschaften, da Alkohol die Magenentleerung verlangsamt. Das bestätigt uns Gastroenterologe Prinz.
Dass man sich trotzdem bei Völlegefühl kurzfristig besser zu fühlen scheint, dürfte an einer Art Betäubung liegen. Das vermutet etwa Antje Gahl, Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). „Der gefühlte Effekt, dass Alkohol den Magen aufräumt, kommt wohl eher daher, dass er eine leicht narkotische Wirkung hat“, so Gahl. „Das unangenehme Völlegefühl wird also abgemildert.“
Also selbst wenn zur Weihnachtszeit der Genuss im Vordergrund steht – Alkohol erfordert immer einen verantwortungsvollen Umgang. Alkoholkonsum kann die Gesundheit gefährden und abhängig machen. Egal, wie zünftig das Essen gewesen und wie „nötig“ ein Verdauungsschnaps gewesen sein mag – unter Alkoholeinfluss ist die aktive Teilnahme am Straßenverkehr tabu. Zudem sind natürlich die Vorschriften zum Jugendschutz zu beachten.
Zum Glück gibt es eine gesündere und noch wirksamere Alternative zum Verdauungsschnaps: Bewegung. Antje Gahl von der DGE empfiehlt daher einen Verdauungsspaziergang. „Damit der Magen Essen verdauen kann, muss er Magensäure produzieren – und Bewegung kann diese Säureproduktion anregen.“
Übrigens: Völlegefühl nach dem Essen ist zwar unangenehm, aber nur in seltenen Fällen Zeichen einer Krankheit. Auch ist es nicht immer ein Hinweis darauf, dass man ungesund gegessen hat. „Es sind nicht nur die fettigen, ungesunden Lebensmittel, die schwer im Magen liegen – Hülsenfrüchte zum Beispiel, ballaststoffreiches Essen also, können den gleichen Effekt haben“, sagt Gahl. Allerdings hält die unangenehme Wirkung hier nicht ganz so lange an.