20. Dezember 2017, 10:01 Uhr | Lesezeit: 3 Minuten
Glutenfreie Ernährung ist hip. Auch Menschen ohne Unverträglichkeit verzichten auf das Klebstoffeiweiß. Doch das kann für Nicht-Allergiker sogar Herzerkrankungen begünstigen. FITBOOK klärt auf.
Nur etwa zwei bis drei Prozent der Deutschen leiden an einer Glutenunverträglichkeit, medizinisch auch Zöliakie genannt; ein weiteres Prozent hat mit einer Weizenallergie oder Glutensensivität zu kämpfen. Für diese Menschen ist der Verzehr von glutenhaltigen Lebensmitteln natürlich schädlich. Dünndarmentzündungen, Blutarmut und Osteoporose können die Folge sein.
Dass der Verzicht auf das Klebereiweiß aber für jeden Menschen grundsätzlich gesund sei, ist ein Irrtum, der sich in den vergangenen Jahren zunehmend verfestigt hat.
Auch interessant: Das bedeutet „leere Kalorien“
Kein Gluten ist schlecht fürs Herz
Vor allem im Hinblick auf Herzerkrankungen beziehungsweise deren Vorbeugung sei eine komplett glutenfreie Ernährung für gesunde Menschen nicht zu empfehlen – das hat eine Untersuchung unter der Leitung der US-amerikanischen Wissenschaftler Andrew Chan von der Harvard Medical School und Benjamin Lebewohl von der Columbia University in New York ergeben, die online in der Fachzeitschrift BMJ veröffentlicht wurde.
Hierfür hatten die Forscher die Daten zweier US-Langzeitstudien, die zwischen 1986 und 2010 erhoben worden waren, ausgewertet. Im Zeitraum von 26 Jahren waren insgesamt 121 000 Frauen und 51 500 Männer alle vier Jahre zu ihren individuellen Ernährungsgewohnheiten befragt worden. Anschließend hatte man die Teilnehmer je nach Menge der verzehrten glutenhaltigen Lebensmittel in Gruppen eingeteilt.
„Sogar in der Gruppe mit dem niedrigsten Glutenkonsum gab es dieselben Raten an koronarer Herzerkrankung wie in der Gruppe mit dem höchsten Konsum“, erläutert Studienleiter Chan. Weiter heißt es sogar: „Eine diätbedingte Reduktion von Gluten kann zu einem geringeren Konsum von Vollkornlebensmitteln führen, die das Risiko von kardiovaskulären Erkrankungen reduzieren.“
Auch interessant: Was Sie über Glutenintoleranz wissen sollten
So gefährlich kann glutenfrei sein
Auch der Ernährungsexperte Sven-David Müller sieht einen Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel ohne vorhandene Unverträglichkeit problematisch. Im Gespräch mit FITBOOK erklärt er: „Glutenfreie Lebensmittel sind ganz anders zusammengesetzt als normale Produkte. Es fehlt zum Teil an wichtigen Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralstoffen, die für gesunde Menschen wichtig sind.“
Dies könne etwa zu einer Erhöhung des Cholesterin- und Zuckerspiegels im Blut führen, das Diabetesrisiko steigern, Übergewicht begünstigen und gegebenenfalls zur Veränderung der Darmflora führen, die die Darmtätigkeit reguliert.
Außerdem schützt das in Vollkornprodukten enthaltene Vitamin B das Herz. „Es ist schon zu Herzinfarkten gekommen, weil sich ein gesunder Mensch auf Dauer glutenfrei ernährt hat. Das Ganze ist höchst gesundheitsgefährdend. Und um mit dem Vorurteil aufzuräumen: Man nimmt davon definitiv nicht ab“, sagt der Experte.
Auch interessant: Warum wir bei Stress ungesund essen wollen
Dünn durch Glutenverzicht? Nein!
Das große Problem sei laut Müller nämlich, dass glutenfreie Ernährung so populär geworden sei, weil viele glauben, sie mache schlank. „Menschen, die an einer Unverträglichkeit leiden, sind häufig sehr dünn. Wohlgemerkt aber bevor sie sich glutenfrei ernähren. Andere Menschen sehen das und denken: Die essen glutenfrei und sind superdünn, das will ich auch! Und schon ist glutenfrei essen hip. Gesund ist das aber nicht.“
Weizenunverträglichkeit Der Unterschied zwischen Weizensensitivität, Zöliakie und Weizenallergie
Mäusestudie Gluten hat offenbar nicht nur negativen Effekt aufs Gewicht, sondern auch aufs Gehirn
Entstehung, Symptome, Ernährung Zöliakie – was Sie über Glutenintoleranz wissen sollten
Experten: Gesunde Kinder nicht unnötig glutenfrei ernähren
Kinder sollten glutenfreie Produkte nur essen, wenn sie unter Zöliakie leiden, rät der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ).
(von Anna Saglam)