7. April 2021, 11:23 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Während die einen es lieben, scharf zu essen, kommt es für andere einer Tortur gleich. Aber ist es denn wirklich gesund, tief ins Gewürzglas zu gucken? Oder reizen Chili, Pfeffer und Co. nicht vielmehr die Magenschleimhaut? FITBOOK hat diesbezügliche Studien gesichtet und mit Experten gesprochen.
Scharf ist – anders als süß, salzig, bitter, sauer und umami – keine Geschmacksrichtung. Vielmehr handelt es sich um einen Sinneseindruck, hervorgerufen von den Wärme- und Schmerzrezeptoren der Schleimhäute in Mund, Nase und Rachen. Also um eine Art Schmerz.
Übersicht
Dass der Verzehr von Schärfe brennt (und das gerne auch zwei Mal), könnte ja eigentlich bewirken, dass man lieber einen Bogen darum macht. So geht es immerhin Fraßfeinden – evolutionär betrachtet der Grund dafür, dass Pflanzen überhaupt Scharfstoffe produzieren. Tatsächlich soll es für den Menschen sogar gesund sein, scharf zu essen. Das wird auch von einigen Wissenschaftlern bestätigt.
Scharf essen für die Linie
Diplom-Ökotrophologe Prof. Nicolai Worm ist mit dem Paprika-Schärfestoff Capsaicin sehr firm. Kurz zur Erklärung: In grünen, gelben und roten Paprikaschoten ist Capsaicin in wesentlich geringerer Konzentration vorhanden als beispielsweise in Peperoni, die in Form von Cayennepfeffer oder Chiliflocken Speisen eine ordentlich pikante Note verpassen können.
Worm, der u.a. als Ernährungsberater für Übergewichtige arbeitet, nennt Capsaicin einen „Energie-Booster“. Denn: „Capsaicin schafft es, den Kalorienverbrauch anzuheben, ohne dass dafür schweißtreibende Muskelarbeit nötig wäre.“ Das bedeutet natürlich nicht, dass man nur durch scharfes Essen abnimmt. Es regt es jedoch den Stoffwechsel an und soll somit den Trainingserfolg unterstützen können.
Die gleiche Auffassung vertritt Ernährungswissenschaftler Uwe Knop. Er bestätigt uns, dass Chili verdauungsfördernd sein kann, da es die Produktion von Säften im Magen und Hals anregt.
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Krankheiten verhindern durch Scharfstoffe?
Und angeblich profitiert nicht nur eine Diät, sondern auch die Lebenserwartung von scharfem Essen. Das ist etwa das Ergebnis einer etwas älteren Studie der Uniklinik Peking, die 2010 im „Britsh Medical Journal“ erschien. Ein internationales Forscherteam hatte die Essgewohnheiten von Probanden über einen Zeitraum von sieben Jahren untersucht und dabei herausgefunden, dass diejenigen, die häufig scharf essen, ein um 14 Prozent geringeres Risiko auf Herzkreislauferkrankungen, Krebs und Atemwegsleiden hatten.
Prof. Worm überrascht das nicht. „Es gibt zahllose wissenschaftliche Daten dafür, dass die Scharfstoffe, beispielsweise aus Chili, relevante Organe im Herz-Kreislaufsystem schützen und damit helfen können, Diabetes und Bluthochdruck vorzubeugen.“
Auch Erkältung und andere Ansteckungskrankheiten könnte man durch scharfes Essen ein Stück weit verhindern. Der Reiz verbessert die Durchblutung der Schleimhäute, deren Funktion für das Immunsystem, sprich zur Abwehr von Erregern wichtig sind.
Arzt bestätigt antibakterielle Eigenschaft
Im Gespräch mit FITBOOK schreibt auch Dr. Ralph-Detlev Dettmer, Facharzt für Innere Medizin und Naturheilverfahren aus Frankfurt am Main, Chilischärfe antibakterielle Eigenschaften zu. Es sei kein Zufall, dass in einigen orientalischen Ländern und an Orten, „an denen es in puncto Hygiene schwierig ist“, das Essen tüchtig scharfgemacht wird. „So kann Mageninfekten vorgebeugt werden“, weiß der Experte.
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Unterschiedliche Schärfetoleranzen
Von diesem positiven Effekt auf die Gesundheit können nicht alle Menschen profitieren. Denn während die einen gar nicht genug Chili bekommen können, empfinden die anderen bereits „leicht pikant“ als Körperverletzung. Das ist laut Dr. Dettmer keine Veranlagungssache, sondern eine Frage der Gewohnheit. Man könne auch von Training sprechen.
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Je schärfer, desto besser?
Einige Restaurants und Supermärkte führen Lebensmittel, die auf der Scoville-Skala (hilft bei der Einschätzung der Schärfe von Capsaicinhaltigem) teilweise hoch angesiedelt sind. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) untersucht, ab welchem Schärfegrad Würzsaucen und ähnliches eine Gesundheitsgefahr darstellen.
„Das Institut kommt zu dem Schluss, dass die orale Aufnahme von Chilifrüchten, ihren Zubereitungen und entsprechenden scharf bis sehr scharf gewürzten Speisen etwa der traditionellen afrikanischen, arabischen, südamerikanischen oder asiatischen Küche im Rahmen des international üblichen Verzehrs nicht mit akut gesundheitsschädigenden Wirkungen verbunden ist“, heißt es in einer entsprechenden Stellungnahme. Ausgeschlossen seien hier natürlich Fälle von Unverträglichkeiten.
Die Dosis macht das Gift
Sicherlich eine Übertreibung sind Scharf-Ess-Wettbewerbe, bei denen Kandidaten einander in puncto Schärfetoleranz zu überbieten versuchen – und weit entfernt von gesund. 2016 etwa berichtete die Fachzeitschrift „Journal of Emergency Medicine“ von einem damals 47-jährigen Mann, der bei einer solchen Veranstaltung einen Burger mit Püree aus Bhut-Jolokia-Chilis gegessen – und sich dabei Löcher in der Speiseröhre sowie Blutergüsse auf der Lungenhaut zugezogen hatte. Er überlebte nur dank einer Not-Operation und verließ das Krankenhaus nach 14 Tagen mit einer Magensonde.
Hierbei handelt es sich logischerweise um einen extremen Extremfall. Er zeigt jedoch, dass zu viel des Guten sehr gefährlich werden kann. So sollten auch Menschen mit gesundheitlichen Vorbelastungen (z.B. des Herz-Kreislauf-Systems) ihre Grenzen kennen und nicht überschreiten. „Und natürlich spielen auch etwaige Vorerkrankungen von Speiseröhre oder Magen eine Rolle“, sagt der Frankfurter Gastroenterologe Dr. med. Harald Gutberlet auf FITBOOK-Nachfrage. „Wenn eine schwere Refluxerkrankung oder Magenschleimhautentzündung besteht, wird diese durch scharfes Essen verschlechtert.“
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Fazit
Sich regelmäßig mit scharfem Essen einzuheizen, kann sich positiv auf die Linie und die allgemeine Gesundheit auswirken. Deshalb ist auch laut unseren Experten der Verzehr von Scharfstoffen zu empfehlen – „vorausgesetzt, man mag und verträgt sie“, fügt Ernährungswissenschaftler Knop hinzu. Wichtig sei auf jeden Fall, dass der Magen-Darm-Trakt nicht rebelliert und das, was Genuss sein sollte, nicht zur Mutprobe wird. Wenn scharfes Essen nur wehtut, schadet es mehr, als dass es hilft.