5. Juni 2021, 17:13 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Verjüngend, entgiftend, gut fürs Herz – der südamerikanischen Maqui-Beere werden wahre Wunderwirkungen nachgesagt. Was ist dran am Hype? Und brauchen wir wirklich noch ein weiteres Superfood aus Übersee?
Nach Goji, Acaii, Acerola und Co. rückt seit einiger Zeit die Maqui-Beere in den Fokus der Superfood-Fans. Bei der kleinen, dunkelroten Frucht handelt es sich um die Beeren des Maquibaumes (Aristotelia chilensis ), der hauptsächlich in den Regenwäldern Chiles und Argentiniens wächst.
Übersicht
- Heilpflanze wird seit Jahrtausenden als Medizin eingesetzt
- Was die Wissenschaft über die Maqui-Beere weiß
- Anthocyane – vermutlich entzündungshemmend und zellschützend
- Es gibt auch Studien, die die Wirksamkeit bezweifeln
- Wir haben jede Menge Anthocyane zu Hause
- Brauchen wir die Maqui-Beere als Superfood? Nein!
- Ein einzelner indigener Stamm kann nicht den Superfood-Hunger der ganzen Welt stillen
Heilpflanze wird seit Jahrtausenden als Medizin eingesetzt
Maqui Beeren können nur wild und von Hand geerntet werden, was hauptsächlich Sache der dort lebenden Mapuche ist. Für die indigene Bevölkerung gilt die Pflanze als heilig und wird seit Jahrtausenden als Medizin und zur allgemeinen Stärkung eingesetzt. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sich zuerst die Wissenschaft und schließlich der Superfood-Markt für die süßlich-sauer schmeckenden Früchte interessierte. Da sie in frischer Form nicht importierbar sind, wird Maqui hierzulande als Pulver oder in Kapselform angeboten.
Was die Wissenschaft über die Maqui-Beere weiß
Der hohe Gehalt an den Vitaminen A, E und C sowie Magnesium und Eisen ist nicht weiter der Rede wert. Dies bringt zwar so ziemlich jede Beere der Welt mit sich. Was Forschenden bei einer genauen Analyse der Maqui-Beere jedoch auffiel, war der überdurchschnittlich hohe Gehalt an Anthocyanen. Dabei handelt es sich um Antioxidantien und damit wirksame Radikalfänger.1 Unter den in der Maqui-Beere vorkommenden Anthocyanen gibt es wiederum einen Stoff namens Delphinidin, der Untersuchungen zufolge als besonders wirksam gilt.2 So konnte eine kleine Interessen-basierte Studie mit 42 Personen nachweisen, dass ihre durch freie Radikale im Blut verursachte Schäden nach vier Wochen Supplementierung zurückgingen.3
Dabei handelte es sich allerdings um reines, aus der Maqui-Beere stammendes Extrakt (nicht Pulver). Auch waren die beschriebenen Schäden unter anderem auf einen ungesunden Lebensstil wie schlechte Ernährung oder Rauchen zurückzuführen. Also alles Dinge, die sich durch eine Verhaltensänderung oder Therapie nicht auch verbessern ließen.
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Anthocyane – vermutlich entzündungshemmend und zellschützend
Bei den besagten Anthocyanen handelt es sich vielen Studien zufolge um eine vielversprechende Substanz. Eine britische Untersuchung mit 93.600 Frauen jungen und mittleren Alters ergab, dass diejenigen, die sich reich an Anthocyanen ernährten ein zu 35 Prozent geringeres Risiko für Herzinfarkte aufwiesen als Frauen mit einer Anthocyan-armen Diät.4 Weitere Untersuchungen – die meisten davon sind Reagenzglas-Studien – deuten darauf hin, dass der Wirkstoff vor Hautalterung, Bluthochdruck, Diabetes, Augentrockenheit und sogar Krebs schützt.5,6,7 Das besagte „Super-Anthocyan“ Delphinidin hat laut weiteren Untersuchungen die Eigenschaft, Lichtschäden an den Augen zu reparieren.8 Alles in allem scheint die Maqui-Beere eine fruchtig-medizinische Wundertüte zu sein.
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Es gibt auch Studien, die die Wirksamkeit bezweifeln
Der Hype um die Maqui als Superfood ist also in Wahrheit ein Hype um Anthocyane. Aber sind sie wirklich Heilsbringer? Denn obwohl die Reagenzglas-Studien vielversprechend sind, heißt das noch lange nicht, dass die Wirkung sich auf den menschlichen Organismus übertragen lässt. So gibt es laut einer groß angelegten Überprüfung der „Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit“ keinen ausreichend wissenschaftlichen Beweis dafür, dass der Verzehr von anthocyanreichen Lebensmitteln vor Hautalterung oder gar für Krebs schützt.9 Tatsächlich ist die Substanz extrem lichtempfindlich und lässt sich zudem nur schlecht konservieren. Dennoch gehen führende Experten davon aus, dass Anthocyane gut für die Gesundheit sind; aber eben kein Wundermittel.
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Wir haben jede Menge Anthocyane zu Hause
Es ist also sinnvoll, regelmäßig anthocyanhaltige Lebensmittel zu essen. Nur hat die Maqui-Beere den Wirkstoff nicht für sich alleine gepachtet. So ist die rote Farbe den Anthocyanen zu verdanken und daher – kleine Eselsbrücke – enthält jede rote oder lilafarbene Obst- und Gemüsesorte Anthocyane und auch Delphinidin. Ganz vorne mit dabei:
- Johannisbeeren
- Preiselbeeren
- Brombeeren
- Blaubeeren
- lila Blumenkohl
- Rotkohl
Allesamt sind frisch vom Feld oder auf dem Markt zu haben. Richtig vollgepackt ist laut Analyse mit 888 Milligramm pro 100 Gramm übrigens die Norton Traube, eine beliebte Rebsorte für Rotwein.10 Da kann die Maqui-Beere mit errechneten 137,6 Milligramm pro 100 Gramm eigentlich einpacken.11
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Brauchen wir die Maqui-Beere als Superfood? Nein!
Es gibt absolut keinen Grund, sich eine pulverisierte Frucht über den Atlantik zukommen zu lassen, dessen Hauptwirkstoff in ebenso beachtlichen Mengen auch in heimischen und zudem frischen Produkten vorkommt. Zumal die Verbraucherzentrale davor warnt, dass das Wissen zu Maqui-Extrakten noch immer sehr lückenhaft ist.12 Es liegen kaum wissenschaftliche Studien zu möglichen (Langzeit-)Risiken, Wechselwirkungen mit Medikamenten oder auch zur Bioverfügbarkeit vor. Außerdem ist es nicht ausgeschlossen, dass exotische Superfoods beim Trocknungsprozess mit polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) oder Mineralöl belastet werden. Auch Pestizidbelastungen werden bei Superfoods immer wieder festgestellt.
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Ein einzelner indigener Stamm kann nicht den Superfood-Hunger der ganzen Welt stillen
Andererseits bestreiten viele Mitglieder der indigenen Bevölkerung durch das Sammeln und Verkaufen der Maqui ihren Lebensunterhalt. Dies gilt es natürlich zu unterstützen und lässt sich am besten bewerkstelligen, indem man bei seiner nächsten Südamerikareise die frischen Früchte auf dem Markt kostet oder einem lokalen Projekt einen Besuch abstattet. Das trägt zur Bildung und zur Gesundheit bei. Und das ist es doch, was ein Superfood doch erst so richtig super macht, oder? Und noch etwas: Ob ein einzelner indigener Stamm (auch wenn es mittlerweile teils erfolgreiche Bemühungen gibt, die Pflanze andernorts zu kultivieren) den weltweit steigenden Superfood-Hunger auf die Maqui-Beere bedienen kann, ohne ausbeuterische Nachteile zu erfahren, bleibt fraglich.
Quellen:
1. Fredes, C. et al. (2014). Anthocyanin profiling of wild maqui berries from different geographical regions in Chile
2. Watson, R.R. et al. (2015). Nutraceutical and antioxidant effects of a delphinidin-rich maqui berry extract Delphinol®
3. Davinelli, S. et al. (2015). Efficacy of Anthocyanin-Maqui Berry Extract (Delphinol®) on Oxidative Stress Biomarkers
4. Cassidy, A. et al. (2013). High anthocyanin intake associated with reduced risk of myocardial infarction in women
5. Romanucci, V. et al. (2016). Bioactive Compounds of Aristotelia chilensis Stuntz and their Pharmacological Effects
6. Alvarado, J. et al. (2016). Delphinol® standardized maqui berry extract significantly lowers blood glucose
7. Bo-Wen, L. et al. (2017). Effects of anthocyanins on the prevention and treatment of cancer
8. Tanaka, J. et al. (2013). Maqui berry (delphinidin glycoside) inhibit photoreceptor cell death induced by visible light
9. EFSA Panel on Dietetic Products, Nutrition and Allergies (2010). Scientific Opinion on the substantiation of health claims related to various food(s)/food constituent(s) and protection of cells from premature ageing, protection of DNA, proteins and lipids from oxidative damage and bioavailability of anthocyanins
10. Muñoz-Espada, A.C. et al. (2004). Anthocyanin Quantification and Radical Scavenging Capacity of Concord, Norton, and Marechal Foch Grapes and Wines
11. Escribano-Bailón, M.T. et al. (2005). Anthocyanins in berries of Maqui [Aristotelia chilensis (Mol.)
12. Verbraucherzentrale (Stand 28.4.2021) Maqui – Die neue Super-Beere?