28. März 2022, 13:47 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Wer sich mit Ernährung und insbesondere Nahrungsergänzung beschäftigt, hat sicher schon davon gehört: „Athletic Greens“. Ein Supplement mit 72 Vitaminen und Mineralien, das einfach für jeden perfekt zu sein scheint. Doch wie beurteilt ein Ernährungsexperte den Trend? FITBOOK stellt „Athletic Greens“ auf den Prüfstand.
Von Profi-Sportlern, über Entrepreneure, bis hin zu Coaches scheinen alle restlos überzeugt und begeistert von „Athletic Greens“ (AG1) zu sein. Dabei handelt es sich um ein Supplement in Pulverform, das man mit Wasser zu einem brauseartigen Getränk vermischt. Täglich getrunken, soll es Gesundheit und Leistung optimieren. FITBOOK wollte die Meinung eines Ernährungsmediziners zu „Athletic Greens“ wissen – und bei ihm steht das Produkt in der Kritik.
Übersicht
Was verspricht „Athletic Greens“?
„75 hochwertige Inhaltsstoffe aus echten Lebensmitteln. Ein Messlöffel oder Travel Pack, 250ml Wasser, einmal am Tag. Ganz einfach“, heißt es auf der Webseite von „Athletic Greens“. Wenn man das Supplement täglich einnimmt, soll es das Immunsystem und den Energiestoffwechsel unterstützen. Außerdem soll es die Darmgesundheit fördern und dazu beitragen, dass sich Muskeln erholen.
Tatsächlich hat das Produkt damit offenbar so manchen Fan gewonnen, darunter auch namhafte Sportler, die auf der AG1-Homepage ein Loblied singen. So erklärt beispielsweise Extremsportler Jonas Deichmann: „Eine ausgewogene Ernährung ist auf meinen Abenteuern sehr schwierig. AG1 optimiert dabei meine tägliche Versorgung mit Vitaminen, Mineralstoffen und mehr.“ Und auch andere Athleten scheinen sich durch die Einnahme von AG1 „energiegeladener“, „leistungsfähiger“ und „schneller erholt“ zu fühlen. Darunter u. a. Extrembergsteiger Jost Kobusch oder die Langstreckenläuferinnen Anna und Lisa Hahner. Auch in diversen Podcasts von Fitness- und Gesundheitsexperten wird das Produkt als „das einizge, das ich seit Jahren nehme“ angepriesen. Was steckt hinter dem Hype?
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Einschätzung des Ernährungsmediziners
Doch wie beurteilt ein Ernährungsexperte die Inhaltsstoffe und potenzielle Wirkung von „Athletic Greens“? FITBOOK hat zunächst Diabetologe, Ernährungsmediziner und Internist Dr. Matthias Riedl um seine Einschätzung gebeten.
Die Inhaltsstoffe
Die Zutatenliste auf der Rückseite der AG1-Verpackung macht erstmal Eindruck. So enthält das Nahrungsergänzungsmittel u. a. die Vitamine A, B, C, E, Kalzium, Magnesium, Zink, Kupfer, Natrium, Selen und Folsäure. Außerdem bietet das Produkt Pflanzenextrakte, Verdauungsenzyme und probiotische Bakterien. Für Dr. Riedl handelt es sich bei den Inhaltsstoffen von AG1 jedoch um „eine beliebige Ansammlung der meisten Vitamine und Mineralien mit einer Mini-Menge Eiweiß und Ballaststoffe.“ Warum, erschließe sich ihm nicht.
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Auf FITBOOK-Nachfrage erklärt Dr. Riedl weiter: „Insgesamt ist es ein teures, gut aufgemachtes Multivitaminpräparat. Hinzu kommen Pflanzenextrakte mit angeblichen sekundären Pflanzenstoffen. Allerdings sind viele Pflanzenstoffe verarbeitungsempfindlich. Ob diese dann hier noch wirken, muss bezweifelt werden. Die Zusetzung von Bakterien ist wissenschaftlich noch sehr umstritten.“ Auch für die Werbeaussagen des Herstellers gebe es keine wissenschaftlichen Belege, so der Ernährungsmediziner.
Vitamine und Co. lieber über die Ernährung aufnehmen
Dr. Riedl warnt davor, eine Mahlzeit durch „Athletic Greens“ zu ersetzen. Es sollte, wenn überhaupt, wirklich streng als Nahrungsergänzungsmittel – also ergänzend zum normalen Essen – genutzt werden. Während das Supplement Vitamine und Pflanzenstoffe enthält, „fehlt ihm alles andere, was Pflanzen uns bringen: Ballaststoffe, wirksame sekundäre Pflanzenstoffe, langkettige Kohlenhydrate, Eiweiß und gesunde Fette. Es kann keine Mahlzeit ersetzen, weil es keine ist.“ Damit widerspricht der Experte zum Beispiel der Aussage von Triathlet und Ironman Sebastian Kienle, der von „Athletic Greens“ wie folgt zitiert wird: „Für mich ist ‚Athletic Greens‘ nicht nur eine Nahrungsergänzung, es ist einfach ein tolles, nährstoffreiches Lebensmittel.“
Der Experte empfiehlt, lieber auf Nahrungsergänzung wie AG1 zu verzichten, und stattdessen die wichtigen Nährstoffe über die Ernährung aufzunehmen. Kritisch sieht Dr. Riedl nämlich zum Teil auch die Dosierung der „Athletic Greens“-Inhaltsstoffe – zum Beispiel im Fall von Vitamin E. „Einige sind in so wahnsinnig hohen Dosierungen enthalten, dass ich davon abraten würde.“ Das gelte gerade auch für Sportler: „Zu viele Antioxidantien können den Reiz zum Muskelaufbau schädigen. Das will man ja nicht.“
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Für wen ist „Athletic Greens“ geeignet?
Dr. Riedl hält das Supplement weder für sportlich sehr aktive noch für inaktive Menschen geeignet. „Ich sehe die Gefahr, dass die Menschen glauben könnten, dass dies gesunde Ernährung ersetzt. Stattdessen gaukelt es eine Pseudoindividualisierung vor und könnte sogar verhindern, dass sich Menschen gesund ernähren. Damit schadet es. Das Ganze ist der Versuch, Gesundes aus der Pflanzenwelt zu extrahieren und teuer zu verkaufen“, erläutert der Mediziner.
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Fazit der Experten-Kritik an „Athletic Greens“
Dr. Riedls Kritik an „Athletic Greens“ ist umfassend. Von den Inhaltsstoffen, über die Werbebotschaften, bis hin zur versprochenen Wirkung hat der Ernährungsmediziner an AG1 einiges auszusetzen bzw. anzuzweifeln. Für ihn ist der Hype des Getränks auf Pulver-Basis also nicht gerechtfertigt. Sein Urteil lautet daher ganz eindeutig: „Finger weg!“
Nach der Einschätzung des Experten, die unabhängig, aber dennoch immer subjektiv ist, wollten wir uns selbst ein Bild von „Athletic Greens“ machen – und haben das Produkt einen Monat lang getestet. Welche Erfahrungen FITBOOK-Redakteurin Melanie bei der Einnahme von AG1 gemacht hat und wie überraschend sich diese auf ihr Blutbild ausgewirkt hat – das lesen Sie im zweiten Teil unseres „Athletic Greens“-Checks.