8. Mai 2024, 11:12 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Die Frage, ob er nicht zu klein für Basketball ist, hat sich TECHBOOK-Redakteur und FITBOOK-Autor Woon-Mo Sung in seinem Leben schon oft anhören müssen. Doch davon ließ er sich nie abhalten, denn er weiß: Es gibt viele Wege, auch näher am Boden der Tatsachen das Spielgeschehen an sich zu reißen.
Basketball ist eine dieser Sportarten, bei denen augenscheinlich ein bestimmter Körpertypus besonders im Vorteil zu sein scheint: groß. Richtig groß. Mehr noch – riesig. So wie der Franzose Victor Wembanyama, der mit nur 20 Jahren und 2,24 Metern mit seinem Talent in der US-Profiliga NBA Köpfe verdreht und Nacken versteift. Seine Dimensionen, zu denen auch eine Spannweite von 2,43 Metern zählt, helfen ihm eindeutig, den Ball durch den in 3,05 Metern Höhe befindlichen Korb zu befördern. „Wemby“ ist ganz sicher nicht zu klein für Basketball.
Und ich? Tatsächlich musste ich mir die Frage, ob ich nicht zu winzig für diese Disziplin bin, schon oft gefallen lassen. Dass ich es trotzdem über die Jahre immer wieder geschafft habe, mich gegen Größere durchzusetzen, hat mehrere Gründe. Basketballer kennen diese auch schon längst. Aber wer den Sport einfach mal ausprobieren möchte und noch an sich zweifelt, dem sage ich: Auch für uns Zwerge gibt es jede Menge Spaß zu holen.
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Übersicht
- Der deutsche Durchschnittsmann ist knapp 1,79 Meter groß
- Schneller, höher, weiter – von wegen zu klein für Basketball
- Auch ohne Athletik zum Erfolg
- Zur richtigen Zeit am richtigen Ort gilt auch im Basketball
- David gegen Goliath unterm Korb
- Das ganze Arsenal nutzen, mit dem Mut zur Lücke
- Niemand ist zu klein für Basketball
- Quellen
Der deutsche Durchschnittsmann ist knapp 1,79 Meter groß
Na gut, „Zwerge“ ist relativ und natürlich kommt es immer auf den Kontext an. Dennis Schröder ist zum Beispiel 1,88 Meter, was unter normalen Umständen recht hoch, aber auf einem professionellen Platz nur sehr klein ist. Trotzdem zeigte er bei der vergangenen WM, zu was er imstande ist.
Meine letzte Größenmessung liegt jedenfalls schon lange zurück. Ich war gerade einmal knuffige 18 Jahre alt und befand mich bei der Musterung zum Wehrdienst (ja, der war damals noch Pflicht und ja, ich bin älter als ich aussehe). Das Ergebnis waren gigantische 1,69 Meter, die ich bei der Erstellung des nächsten Personalausweises großzügig aufrundete: auf 1,72! Damals kam es mir doch auf die Größe an und jeder Zentimeter zählte.
Aber ob mit oder ohne Schummelei: Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes betrug noch 2021 die durchschnittliche Körpergröße für Männer in Deutschland 178,9 Zentimeter (Frauen: 165,8 Zentimeter).1 Die unterbiete ich doch recht deutlich, weshalb ich mich mindestens als unterdurchschnittlich bezeichnen kann oder der Einfachheit halber als klein.
Zu klein für Basketball? Nicht doch. Zwar gibt es noch heute Situationen, in denen ich voller Neid zu den menschlichen Türmen (ab 1,80 Meter aufwärts) um mich herum hochschaue und meine eigene Genetik zugleich verteufel. Aber schon damals, als ich mit dem Spielen begann, merkte ich sehr schnell, dass ich andere Vorzüge besaß.
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Schneller, höher, weiter – von wegen zu klein für Basketball
Apropos schnell: Gemäß dem olympischen Motto „schneller, höher, weiter“ bin ich einfach schneller gerannt und höher und weiter gesprungen als meine Gegenspieler. Noch bis vor einigen Jahren besaß ich zumindest eine solide Athletik, mit der ich meine defizitäre Körperhöhe locker wieder wettmachen konnte.
Mal eben nach schnellem Antritt kurz hinter der Freiwurflinie abheben und an den ausgestreckten Armen der Verteidiger vorbeisegeln? Michael Jordan wäre stolz auf mich gewesen. Oder nach gegnerischem Fehlwurf die gesamte Länge des Spielfeldes absprinten, während der Mitspieler den Ball einfach quer zum anderen Korb wirft? Den sogenannten Baseballpass habe ich dann souverän in einen Touchdown – Verzeihung – Korbleger verwandelt.
Und beim Kampf um den Rebound (Abpraller einsammeln) den Ball über dem ahnungslosen Kopf des viel größeren Mitspielers wegschnappen? Jemand fragte mich deswegen mal, ob ich dunken könnte, also den Ball direkt mit den Händen in den Korb stopfen. Kann ich leider nicht, aber damals hatte nicht viel gefehlt. Dafür konnte das der ehemalige NBA-Spieler Spud Webb – der ist nur 1,68 Meter hoch.
All dies führte jedenfalls dazu, dass ich mir auf den Freiplätzen den ein oder anderen Spitznamen verdiente: „High Flyer“, „Speedy Gonzalez“, „Peter Pan“ oder „Flummi“ wurde ich schon genannt.
Auch ohne Athletik zum Erfolg
Wer körperlich noch voll im Saft steht und leistungsfähig ist, kann also mit Verve und Schmackes über sich hinauswachsen. Ich kann das aber ehrlich gesagt selbst nicht mehr.
Vor einigen Jahren sagte ein Orthopäde zu mir: „Sie sind 35, sehen aus wie 25, haben aber Knie wie ein 85-Jähriger.“ Tatsächlich ist der Knorpelabrieb in meinen Gelenken recht fortgeschritten, besonders für meine 40 Lenzen. Früher bekam ich wiederholt Schmerzen und Schwellungen in den Knien, eine Arthroskopie zur Knorpelglättung half nur vorübergehend.
Ohne Bandagen spiele ich nur noch ungerne und ich bin darauf bedacht, nicht mehr zu oft in der Woche zu lange Sitzungen einzulegen. Um den Gelenken etwas zu helfen, mach ich Krafttraining auch für die Beine und fahre viel mit dem Rad für die Extraportion Bewegung.
Jetzt bin ich also nicht nur zu klein für Basketball, sondern auch noch zu kaputt? Da ich mich nicht mehr allein auf meine Athletik verlassen kann, um meine Größe zu kompensieren, muss ich es anders regeln. In diesem Fall empfiehlt es sich, aufmerksam zu sein, ein paar Tricks zu kennen – und sich im richtigen Moment korrekt zu positionieren.
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort gilt auch im Basketball
Ich gestehe, ich war nie in einem Verein und habe mir Basketball weitestgehend selbst beigebracht. Ich hatte einfach nie Lust auf Konditionstraining oder Taktiken. Aber simple Aktionen wie ein Cut zum Korb oder das Pick and Roll verstehe auch ich.
Das Spielfeld ist groß genug und bietet immer wieder Stellen, in denen sich gerade niemand befindet. Wenn zum Beispiel ein Teamkamerad die Aufmerksamkeit des gegnerischen Teams auf sich zieht, ist der Moment für mich gekommen, mich freizulaufen und aktiv anzubieten. Zieht sich mein Verteidiger ein wenig zurück oder ist einfach unachtsam, kann ich mich einige Meter davonstehlen. Oder mein Mitspieler hält mir meinen Verteidiger mit einem Block vom Leib. Und plötzlich steh ich frei und kann ungehindert einen Wurf probieren – das kommt öfter vor, als man denkt.
Auch sehr wichtig ist Antizipation. Statistisch tendieren Würfe von links, bei Misserfolg nach rechts abzuprallen und umgekehrt. Ist der Ball in der Luft, beobachte ich dessen Flugbahn und versuche zu erahnen, wo und wie er danebengehen könnte.
David gegen Goliath unterm Korb
Dann gilt es, auszuboxen. Das heißt, den Gegenspieler möglichst mit dem eigenen Körper davon abhalten, den Rebound zu holen. Stattdessen will ich ihn mir unter den Nagel reißen. Dabei wird stets gerangelt und geschoben. Als kleinere Person muss ich mich dann besonders anstrengen, das funktioniert aber ganz gut. Schließlich kann ich nicht einfach umgerannt werden, das wäre ja ein Foul – und das mache ich mir zu Nutze.
Ich suche also sehr gerne möglichst früh irgendwen Großes und stelle direkten Körperkontakt her. Dann gehe ich in eine breitere und tiefere Position (als ob ich nicht schon klein genug wäre) für maximale Standfestigkeit, schiebe meinen Hintern ein wenig raus und versuche, meinen Gegenspieler daran zu hindern, näher an den Korb zu kommen.
Vielleicht fliegt auch der eine oder andere Ellenbogen in die Rippen des Gegner, dafür bekomme ich sie hingegen auch oft ins Gesicht (früher trug ich eine Brille und musste sie mir alle paar Wochen richten lassen). Jedenfalls kann ich mir so einen Abpraller schnappen – und dafür muss ich auch nicht alle anderen im Sprung überragen. Ein wenig Lust auf Gerangel ist hier aber ein klarer Vorteil.
Das ganze Arsenal nutzen, mit dem Mut zur Lücke
Wer aber keine Lust auf ein Wrestling-Match hat, sollte mit Mut zur sprichwörtlichen und wortwörtlichen Lücke spielen. Nicht selten nutze ich meine Wendigkeit, um mich zwischen zwei größeren Verteidigern hindurchzuwuseln. Oder ich schleiche mich einfach an den größeren Leuten vorbei und bringe mich in eine gute Stellung, während ihre Blicke auf den Ball in der Luft gerichtet sind.
Besonders in der Offensive nutze ich außerdem möglichst viele Manöver, um mir einen Vorteil zu verschaffen: Aus dem vollen Lauf plötzlich abbremsen und werfen, funktioniert für mich blendend und Wurffinten gehören zum Standardrepertoire. Steht jemand links von mir, versuche ich, mit meinem Körper den Ball abzuschirmen und mit der rechten Hand den Ball ins Ziel zu befördern.
Mit einem energischen Sternschritt verlagere ich das Gleichgewicht des größeren Gegenspielers und kombiniere Pirouetten mit Finten, um aus dem Stand eine Öffnung zu finden. Einen Korbleger kann ich nicht nur vorwärts, sondern auch rückwärts machen. Ich muss aber nicht immer direkt unter den Korb, wo die Riesen auf mich warten. Ein paar Schritte davon entfernt gibt es mehr Platz und Möglichkeiten. Und selbst wenn ich nicht punkten möchte, kann ich das Spiel mit Pässen und anderen Dingen beeinflussen.
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Niemand ist zu klein für Basketball
Klar, gegen Leute mit reichlich Vereinserfahrung sehe ich schnell so alt aus, wie ich tatsächlich bin. Auch flinke Teenager, groß oder klein, können es mir sehr schwer machen. Aber so ist das halt, es gibt immer jemand Besseren – aber das hat selten etwas mit meiner Körpergröße zu tun.
Denn dazu habe ich zu oft mir selbst und anderen bewiesen, dass ich mitspielen kann. Verstecken muss ich mich dabei nie und in den besten Momenten verdiene ich mir dabei ein wenig Respekt. Denn es gibt viele Wege, eine gute Figur auf dem Platz zu machen. Wer ein wenig das Dribbeln und Werfen übt und sich so eine solide Basis schafft, wird dann genau wie ich rasch feststellen, dass niemand zu klein für Basketball ist.