27. Mai 2020, 17:29 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Bald vier Monate meiner Vegan-Challenge sind verstrichen. In dieser Folge meiner Kolumne wage ich mich einmal an eine Überprüfung der Vorurteile, die mir in der Vergangenheit oft begegnet sind oder denen ich mich selbst schon bedient habe.
Bei jeder geselligen Runde ist das Thema pflanzliche Ernährung immer noch ein Kassenschlager. Kaum fällt das Wort „vegan“, sind hitzige Debatten vorprogrammiert. Ich habe selbst schon an unzähligen dieser bisweilen ausufernden Unterhaltungen teilgenommen. Jedoch meist auf der Seite der Fleischesser. Nach über drei Monaten als Veganer will ich jetzt mal versuchen, mit meinen damaligen Klischees etwas aufzuräumen. Manche lassen sich bestätigen, einige relativeren und andere sind völliger Humbug!
„Teuer und kompliziert“
Auf den ersten Blick ist dieses Vorurteil völlig berechtigt, wenn man sich die Preise veganer Ersatzprodukte auf der Zunge zergehen lässt. Vegane Wurst und veganer Käse sprengen nicht nur den Geldbeutel, sondern sind auch noch vollgestopft mit Chemie – Farb- und Konservierungsstoffe sowie jegliche Zusatzbuchstaben, die das Alphabet zu bieten hat. Wer sich vorher nicht mit der eigenen Ernährung auseinandergesetzt hat oder wem die Lust fehlt, zu neuen Ufern aufzubrechen, für den wird der Ausflug in die vegane Küche teuer.
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Zumal ich denselben Fehler begangen habe: Nach dem Motto „Nicht den Kopf zerbrechen“ dachte ich, es würde reichen, das Fleisch gegen Tofu sowie Wurst- und Filet-Imitate auszutauschen. Mein Geldbeutel hat es mir nicht gedankt – und mein Magen ebenso wenig.
Es wurde Zeit, sich mehr mit der Materie zu beschäftigen und Fertigprodukte links liegen zu lassen. Schlagartig wurde der Einkauf billiger. Im Gegensatz zu einem Kilo Fleisch pro Tag (ob nun vegan oder echtes) sind Linsen, Bohnen, Erbsen und Co. auch für den schmalen Taler zu erstehen. Selbst das Kochen ist nicht komplizierter als vorher. Wer einfach kochen will, kann das nach wie vor. Es ändern sich schließlich nur die Zutaten und nicht das Gericht. Der Vorteil: Der eigene Horizont lässt sich erweitern und das eigene Handwerk beim Kochen verbessern.
„Veganismus ist Mangelernährung“
Völliger Quatsch, finde ich! Pauschalisieren erscheint mir hier fehl am Platze. Auch eine fleischliche Kost kann zu Mangelernährung führen, wenn diese zu einseitig ist. Wer sich täglich nur Pute, Eier und Reis reinschaufelt (hallo alter Flavio), kann es ebenfalls mit Mangelerscheinungen zu tun kriegen. Mein starker Vitamin-D-Mangel lässt sich beispielsweise durch zu wenig Fisch, Pilze und Avocados erklären. Ob ich mir als ehemaliger Fleischesser nun Gedanken um eine Supplementierung von Vitamin D oder als Veganer Gedanken wegen zu wenig Vitamin B12 machen muss, ist doch eigentlich gehopst wie gesprungen
Bei einer ausgewogenen Ernährung sind Mangelerscheinungen unwahrscheinlich. Beim nächsten Klischee wird die Sache jedoch komplizierter!
„Pumpen ist ohne Fleisch nicht möglich“
Das Thema „Muskelaufbau und Veganismus“ polarisiert. Medial haben sich zwei Lager aufgebaut. Die einen sind der festen Überzeugung, dass „ohne Fleisch kein Muskeln“. Die anderen bestreiten diese These vehement.
Meine Einschätzung nach bald vier Monaten: Kraftsport ist auch vegan möglich. Mit der richtigen Vorbereitung und Umstellung auf eine ausgewogene Ernährung lässt sich auch ohne Fleisch natural trainieren. Kraftverluste sind dementsprechend nicht zu befürchten.In den ersten zwei Monaten konnte ich weiterhin fünf Mal die Woche meine geliebte Pumperhöhle aufsuchen. Erschöpfung gab es bis dahin nicht. Ich war im Modus – auf die Hanteln hatte die Umstellung keine Auswirkung und ich konnte wie gewohnt weiter trainieren. Der große Vorteil: Ich habe zusätzlich ordentlich Gewicht auf der Waage verloren.
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„Fleisch ist zu lecker“
Das Totschlagargument am Ende einer jeden Diskussion. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Dennoch möchte ich das hier tun. Zumal ich auch schon diesen Joker gezogen habe, um aus Gesprächen zu entkommen und mich dem nächsten Bier widmen zu können. Eigentlich ist dieses Argument schnell zu entkräften – wer erinnert sich noch wirklich genau an den Geschmack seines letzten verdrückten Huhns? Wahrscheinlich niemand – und ich auf keinen Fall! Zumindest nicht mehr. Mein Kopf hat inzwischen jede Verbindung zum Fleisch gekappt, vielleicht auch aus Selbstschutz.
Stattdessen haben sich neue Synapsen gebildet, die mir so gar nicht schmecken. Durch die Katzen einer mir sehr vertrauten Person hat mein Gehirn den Geruch von Huhn mittlerweile mit Katzenfutter verknüpft. Da bleibe ich dann lieber bei meinen Tofuwürstchen.