22. Mai 2024, 20:03 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Die Laufrichtung im Stadion auf der Tartanbahn ist immer linksherum. „Geisterläufer“, die in die andere Richtung laufen sind sehr ungern gesehen und werden von ihren Mitläufern mit entnervten Blicken gestraft. Aber warum wird im Stadion eigentlich immer gegen den Uhrzeigersinn gelaufen?
„Bei Rennen mit mindestens einer Kurve muss die Lauf- und Gehrichtung nach links gerichtet sein.“ So steht es im offiziellen Regelwerk der Organisation „World Athletics“. Danach müssen alle internationalen Leichtathletik-Veranstaltungen durchgeführt werden, darauf haben sich die Dachverbände aller nationalen Sportverbände für Leichtathletik geeinigt.1 (Bis 2019 trug die Organisation den Namen „International Association of Athletics Federations“, kurz: IAAF). Die aktuellste Version dieses 134 Seiten starken Regelwerks stammt aus dem Jahr 2019. Doch natürlich haben sehr viele der dort verankerten Regeln schon sehr viel länger Bestand. So auch die Regel, um die es hier gehen soll und die seit über hundert Jahren gilt: Im Stadion wird stets linksherum gelaufen. Aber warum ist das eigentlich so? FITBOOK ist der Frage nachgegangen.
Übersicht
- Die römische Tradition
- Die griechische Tradition
- Die Pferderennen-Tradition in England
- Der natürliche Grund – Gravitationseffekte
- Anatomische Gründe
- Symbolischer Grund
- Warum laufen wir denn nun linksherum im Stadion?
- Ausnahme: Rennen in die entgegengesetzte Richtung ist möglich, wenn …
- In Deutschland laufen die Pferde auf den meisten Rennbahnen im Uhrzeigersinn
- Quellen
Die Tradition, weshalb auf der Bahn linksherum und nicht rechtsherum gelaufen wird, wurde wahrscheinlich seit der Römerzeit nicht mehr infrage gestellt. Doch dass Athleten im Stadion linksherum laufen müssen, wurde erst im Jahr 1913 im Regelbuch der Leichtathletik festgeschrieben. FITBOOK über die historischen Gründe, Theorien – und warum das überhaupt so festgelegt wurde.
Zusammengetragen hat sie Mohammad Hadi Tavakkoli von der Kerala University India 2013 – seine wissenschaftliche Untersuchung wurde damals im „International Journal of Educational Development“ veröffentlicht.2
Die römische Tradition
In Rom im Circus Maximus wurden die Wagenrennen ebenfalls gegen den Uhrzeigersinn ausgetragen. Kaiser Nero soll die Richtung von „im Uhrzeigersinn“ in „gegen den Uhrzeigersinn“ geändert haben, nachdem ein Wagenlenker ihn versehentlich mit der Peitsche getroffen hatte. Nach dieser Herleitung wurde das Linksherum also mehr oder weniger willkürlich festgelegt und dann einfach beibehalten.
Die griechische Tradition
Weil es für die meisten Menschen die natürliche Art sei, Dinge zu sehen, wenn sie von links nach rechts wandern, wollten die Zuschauer bei antiken Olympischen Wettkämpfen die Läufer ebenfalls von links nach rechts vorbeilaufen sehen – und dazu mussten die Läufer gegen den Uhrzeigersinn laufen, lautet diese Theorie.
Die Pferderennen-Tradition in England
Galopprennen veranstalteten die alten Griechen, Römer und Perser – und seit dem 18. März 1622 tun es die Engländer. Die kleine Stadt New Market gilt als Wiege des Galopprennsports und keine andere Nation der Welt steht so für Rennsport und Pferdezucht wie England. (Das Royal Ascot wird seit 1711 regelmäßig ausgetragen.)
Anders als in Europa wurden die Pferde in England hintereinander, nicht nebeneinander, eingespannt. Weil die Zügel mit der linken Hand gelenkt wurden, musste man auf der rechten Seite in der Kutsche sitzen. Für einen besseren Überblick auf der Straße fuhren die Engländer deshalb auf der linken Straßenseite. Aus diesem Grund erhielten auch Pferderennen in England einen Linkskurs. (Der Linksverkehr für Autos wurde erst 1835 eingeführt).
Aber was haben Pferderennen mit Athleten im Stadion zu tun? Man läuft linksherum im Stadion, weil das auch bei den ersten Pferderennen in England so gemacht wurde, lautet diese Theorie.
Auch interessant: Warum gibt es eigentlich in manchen Ländern Linksverkehr? (via TRAVELBOOK)
Der natürliche Grund – Gravitationseffekte
Auch viele Naturphänomene laufen gegen den Uhrzeigersinn ab. Dazu gehören die Molekülstruktur von Aminosäuren, die Form von Muscheln, die Rotationsrichtung aller Planeten (außer Venus) sowie die Umlaufrichtung der Erde um die Sonne. Peter Brown von der Universität Sheffield sagte dem Guardian, der 2011 verschiedene Wissenschaftler mit der Frage nach dem Warum des Linksherums konfrontiert hatte: „Aufgrund der Wirkung der Erdrotation hat ein Athlet, der gegen den Uhrzeigersinn läuft, einen leichten Vorteil, was zu einer schnelleren Zeit führt.“3 Demnach wurden Bahnrennen gegen den Uhrzeigersinn festgelegt, weil es Naturgesetzen folgt.
Anatomische Gründe
Rechtshänder dominieren in unserer Gesellschaft – und haben tendenziell eine stärker entwickelte Hand- und Beinmuskulatur auf der rechten Seite als auf der linken. Dies verschafft ihnen einen Vorteil, wenn sie gegen den Uhrzeigersinn auf einer Strecke laufen. Dadurch kann ihr kräftigeres Bein außen bleiben, was die Kurven erleichtert. Wenn Sie gegen den Uhrzeigersinn laufen, machen Sie mit dem rechten Bein längere Schritte, was mehr Vortrieb und Geschwindigkeit in den Kurven ermöglicht. „Wissenschaftler sind sich einig, dass die meisten von uns nicht nur Rechtshänder, sondern auch Rechtsbeiner sind“, schreibt Mohammad Hadi Tavakkoli in seiner Untersuchung. Damit soll das Linksherum-Laufen den körperlichen Fähigkeiten der Läufer entgegenkommen.
Warum sind die meisten Menschen rechtsdominant und nutzen das linke Bein zur Unterstützung? Laut Tavakkoli entwickelte sich während evolutionärer Anpassungen eine Tendenz des Körpers, in einer Kampfreaktionssituation die linke Seite zurückzuziehen und über die dominante rechte Seite Widerstand zu leisten. Über eine Studie, die Vorteile bei Linkshändern sieht, berichtete FITBOOK hier.
Deutsche Forscher widerlegten 2009 die These vom Rechts- oder Linksdrall, wenn ein Bein besser trainiert ist
Die These, dass Menschen einen Rechts- oder Linksdrall haben, weil bei vielen ein Bein länger oder besser trainiert ist, gilt inzwischen als widerlegt. Forscher vom Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik in Tübingen haben 2009 die Orientierungsfähigkeit von Probanden in der Sahara auf die Probe gestellt. Waren ihre Augen verbunden, liefen sie Kreise von etwa 20 Metern Durchmesser. Sie wichen (zufällig) mal rechts und mal links vom Kurs ab – übrigens liefen sie auch im Kreis, wenn ihre Augen nicht verbunden waren. Doch warum laufen Menschen im Kreis? Die Wissenschaftler glauben, dass die Sinnesorgane ständig kleine Fehler machen, die sich mit der Zeit im Gehirn anhäufen. Und ohne Orientierungshilfen (Gebirge etc.) wird es noch schwerer.4
Symbolischer Grund
Die vielleicht schönste Theorie, warum wir im Stadion linksherum – gegen den Uhrzeigersinn – laufen, lautet: Es symbolisiert den Lauf des Menschen „gegen die Uhr“.
Warum laufen wir denn nun linksherum im Stadion?
Aber warum laufen wir denn nun bis heute linksherum im Stadion? Sicher nicht nur, weil es die Pferde in England mussten … Nun, wer den Artikel gelesen hat, ahnt, dass es den einen Grund dafür nicht gibt. Es scheint vielmehr eine Mischung aus historischen Traditionen und vielleicht auch anatomischen Gründen zu sein, die sich manifestiert hat und irgendwann Bahn brach – in einem Regelwerk, das bis heute gilt.
Aufgesetzt wurde es 1913. Und zwar, nachdem sich 1896 bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit viele Sportler beschwert hatten, weil sie damals im Uhrzeigersinn laufen mussten – also rechtsherum. Warum sie sich im Detail beschwert hatten, wäre spannend zu erfahren, ließ sich jedoch nicht recherchieren. Vielleicht waren sie es einfach „gewohnt“, linksherum zu laufen … wobei wir wieder beim Grund für diese Tradition wären.
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Ausnahme: Rennen in die entgegengesetzte Richtung ist möglich, wenn …
Eine Regel wäre nicht eine Regel, wenn es nicht auch eine Ausnahmeregelung gäbe. In einem bestimmten Fall nämlich sind im Stadion Rennen auch rechtsherum – bzw. in die entgegengesetzte Richtung möglich. Dazu kommen wir noch einmal zurück auf den Passus im „World Athletics“-Regelwerk, wonach beim „Rennen mit mindestens einer Kurve“ die Lauf- und Gehrichtung nach links gerichtet sein muss. Weiter geht der Absatz nämlich so: „Diese Regel erlaubt, sofern die Bedingungen dies zulassen und die Strecke ordnungsgemäß vermessen ist, gerade Rennen in die entgegengesetzte Richtung, also nach rechts innen.“1
Eine Stadionrunde ist 400 Meter lang, die beiden Geraden an den Längsseiten messen 84,4 Meter (alle Bahnen). Damit greift diese Ausnahme von der Regel für Rennen mit maximal dieser Distanz.
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In Deutschland laufen die Pferde auf den meisten Rennbahnen im Uhrzeigersinn
Und wie ist das heute bei Pferderennen? In England liefen die Pferde bei Rennen traditionell linksherum – in Deutschland ist man offenbar davon abgekommen: Laut dem Düsseldorfer Reiter- und Rennverein sind die meisten Galopprennbahnen in Deutschland Rechtskurs: Die Pferde laufen im Uhrzeigersinn. Klassische Linkskurse findet man demnach nur in Baden-Baden, Hannover, München-Riem und Saarbrücken.5